Warum sich der Traum vom eigenen Haus in Schweden leichter erfüllt


„Ein Sommer wie dieser – dann ist Schweden unbeschreiblich schön“, sagt die ursprünglich aus Deutschland stammende Nicole. Symbolfoto: pixabay
„Ein Sommer wie dieser – dann ist Schweden unbeschreiblich schön“, sagt die ursprünglich aus Deutschland stammende Nicole. Symbolfoto: pixabay | Foto: pixabay

Gut 50.000 Deutsche leben aktuell in Schweden – und es werden jährlich um die 1000 mehr. Das Land gilt als friedlich, freundlich, weltoffen und es hat Platz für alle. Deutschland ist zehnmal so dicht besiedelt: In Schweden leben pro Quadratkilometer 23 Menschen, in Deutschland 231. In der Nähe von Stockholm hat FOCUS Online eine Deutsche besucht, die ihren Platz ganz in der Nähe von Schloß Drottningholm gefunden hat, wo König Carl Gustav und Königin Silvia wohnen.


von FOCUS-Online-Autor Ralph Grosse-Bley

Nicole Gläser Eriksson (49) steht in ihrem Gemüsegarten und zeigt stolz ihre Weintrauben. Nach diesem Super-Sommer trägt der Rebstock tolle Früchte. Weintrauben in Schweden? Ein bisschen Heimatgefühl muss sein, sagt Nicole, und lächelt. Wir duzen uns. Alle duzen sich in Schweden. Jeder Chef mit jedem Mitarbeiter. Wer „Sie“ sagt, macht sich verdächtig.

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Die deutsche Auswanderin Nicole Gläser Eriksson in ihrem Gemüsegarten. Foto: Ralph Grosse-Bley/FOCUS Online

Nicole stammt aus Ludwigshafen/Rhein. Da ist Wein kein Getränk, sondern ein Lebensgefühl. Das ändert sich auch nicht, wenn man wie Nicole schon seit 14 Jahren in Schweden lebt.

Die gelernte Landschaftsarchitektin hat sich damals nicht in das Land verliebt, sondern in einen Mann – beim Skifahren in Österreich. Roger (heute 52), Mitarbeiter bei IBM in der Nähe von Stockholm. Das war 2002. Nicole, damals 33, startete das Abenteuer ihres Lebens. 2004 gab Nicole in Deutschland alles auf, zog zu ihrem Roger. 2006 kauften sie ein Haus auf der kleinen Insel Ekerö, eine halbe Autostunde von der Stockholmer City entfernt, und nur 5 Autominuten von Schloß Drottningholm.

Man könnte schon neidisch werden: Das typisch schwedische Haus (viel Holz) liegt direkt am Mälaren-See, der in der Nähe in die Ostsee mündet. Zum Haus gehört ein eigener Bootssteg, davor der Gemüsegarten, wo außer Weintrauben auch Bohnen, Gurken, Erdbeeren und Spargel wachsen.

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Keine Probleme mit Schulden



Das Haus hat sicher mehr als eine Million Euro gekostet. Aber das hat Nicole und ihren Mann nicht geschreckt. Geld leihen kostet in Schweden schon seit vielen Jahren praktisch nichts. Deshalb haben die Leute in den vergangenen Jahren wie verrückt Immobilien gekauft, im Raum Stockholm stiegen die Preise um 25 Prozent. Aber Schulden machen ist für die Schweden kein Problem, erklärt Nicole. Auch sie hat mit ihrem Mann (2010 hat sie Roger geheiratet) einen Kredit über 50 Jahre aufgenommen. Bei aktuell 0,7 Prozent Zinsen. Die beiden haben nicht vor, das Haus je abzubezahlen – sie wollen es in einigen Jahren verkaufen. Mit kräftigem Gewinn, versteht sich.

So machen das ganz viele Schweden, erzählt Nicole. Sie weiß, dass das nur funktioniert, wenn die Immobilienpreise immer weiter steigen. Im vergangenen Jahr hat die Regierung die Bedingungen für diese Immobilien-Geschäfte etwas verschärft. Ein bisschen Eigenkapital wäre schon schön.

Nicole arbeitet bei einem Telekommunikations-Unternehmen, macht digitales Marketing. Heute arbeitet sie von Zuhause: Homeoffice-Day mit Blick aufs Wasser. Im Sommer macht sie manchmal zwei Wochen Homeoffice am Stück – „wenn alle in den Ferien sind, brauche ich nicht allein im Büro zu sitzen“. Die Schweden sind da ganz entspannt. Nicole hat eine 40-Stunden-Woche, verdient ganz gut, sagt sie. Wieviel Steuern sie zahlt, weiß sie nicht genau. Vielleicht ein Drittel des Gehalts, das ist in Schweden der Durchschnitt.

Bei Leuten, die mehr als 5000 Euro im Monat verdienen, greift sich der Staat aber schon etwa 47 Prozent ab. Die Steuern in Schweden – ein All-inclusive-Paket. Krankenkasse, Rentenversicherung, und eben Steuern, alles ist dabei. Für die Schweden ein guter Deal, auch, „wenn man gar nicht so genau weiß, was von den Steuern jetzt eigentlich wohin fließt“, sagt Nicole. Aber der Staat kümmert sich gut um seine Bürger, das ist das große Gefühl in der Bevölkerung.

Schweden sagen zwei Wörter nicht



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FOCUS-Online-Autor Ralph Grosse-Bley mit Nicole und ihrem Mann. Foto: Ralph Grosse-Bley/FOCUS Online

Muss Nicole wie ihr Mann voll arbeiten, damit sie sich das Haus leisten können? Sie lacht. Die Frage stellt man sich in Schweden gar nicht. „In Schweden arbeiten sowieso alle, außer sie sind mit ihren Babys daheim.“

Das ist anders als in Deutschland. Die schwedischen Frauen arbeiten nicht mit. Sie arbeiten. Punkt. Das gefällt Nicole. Dass Männer und Frauen wie selbstverständlich gleichberechtigt arbeiten. Das entspreche dem schwedischen Prinzip: „Gleiche Voraussetzungen für alle.“

Egal, ob die Leute in Stockholm, Göteborg oder Lappland leben. Gleicher Urlaub, gleiche Medizin, gleiches Internet: „Alle müssen irgendwie dabei sein“, sagt Nicole. Das gilt auch in der Firma. Ja, die Meetings dauern länger, es wird mehr diskutiert, jeder redet mit – aber alle fühlen sich dadurch gehört, ja, gleichberechtigt. Und am Ende heißt es dann gern mal: „Wir probieren das jetzt einfach mal.“ Ein neues Projekt, eine schräge Idee. Einfach mal testen. „Da sind die Schweden lockerer.“

Außer dem förmlichen „Sie“ ist bei den Schweden noch ein zweites kurzes Wort ungebräuchlich: Nein. Wenn der Schwede Nein meint, verpackt er das hässliche Wort in eine hübsche Geschenk-Verpackung aus Lob, Anerkennung, Schmeichelei. Wird also in der Firma ein Konzept verworfen, heißt es statt Nein eher: „Das Konzept ist sehr spannend, ein kluger Ansatz, darüber lohnt es sich weiter nachzudenken“. Nein eben. Der Weg zum Nein in Schweden ist ähnlich lang wie das Land selbst.

Was mag Nicole an ihrer Wahlheimat? Den billigen Strom zum Beispiel. Den gibt es in Schweden dank Kern- und Wasserkraft. Und was noch? „Unsere zwei Golfclubs, die bei hier gleich bei uns um die Ecke sind.“ In beiden ist sie mit ihrem Roger Mitglied, aber wenn sie ihre Runde gespielt haben, dann fahren immer alle wieder heim.

„Das fehlt hier manchmal“, sagt Nicole, „dieses Beisammensein. In Deutschland trifft man sich doch zum Sport, um danach einen Wein trinken zu gehen.“ Sie lacht. Aber so ist es. Schweden ist da ganz anders. Mit den Golfern im Club noch zusammensitzen und was trinken - das gab es noch nie. Das machen die Schweden einfach nicht. „Hier zählt in allererster Linie die Familie, andere soziale Kontakte sind eher zweitrangig.“ So hat Nicole auch wenig mit den Nachbarn zu tun – sicher nette Leute, aber jeder sitzt auf seiner Terrasse, auf seinem Bootssteg. „Stockholm ist da eher eine Ausnahme. Da hat sich die Kultur des Ausgehens in den letzten Jahren schon sehr weiter entwickelt.“

Wenn nicht gerade Sommer ist, ist Winter



„Ein Sommer wie dieser – dann ist Schweden unbeschreiblich schön“, sagt Nicole. Aber das Land kann eben auch anders. Wenn nicht gerade Sommer ist, herrscht gefühlt Winter. Ab Anfang Oktober musst du mit Schnee rechnen, gerne mal liegt er bis April oder Mai. Aber die Kälte ist für Nicole nicht so das Problem: „Diese Dunkelheit – das ist schon schwer!“ Im Dezember verschwindet die Sonne ab 14.30 Uhr. Dann düst Nicole mit ihrem Mann am liebsten nach Florida, über Weihnachten und Neujahr. Sie haben keine Kinder, müssen sich nach keinen Ferien richten, wenn sie in die Sonne wollen.

Für immer will Nicole nicht in Schweden bleiben: „Wir wollen möglichst früh in den Vorruhestand – und dann in Italien oder Portugal leben. Wenn es nach Roger ginge, am liebsten schon nächstes Jahr. Wir wollen einfach mehr draußen leben.“

Ein bisschen wird es aber noch dauern. Erstmal will Nicole Schwedin werden, sie hat den Pass beantragt. Warum jetzt erst? Nicole wollte ihre Stimme abgeben, unbedingt. Im September war Wahl in Schweden, die rot-grüne Minderheitsregierung wackelte kurz vorher. Die„Schwedendemokraten“, Rechtspopulisten nach dem Muster der AfD, haben starken Zulauf. 2014 kamen sie auf 12,9 Prozent, jetzt schafften sie 17,5 Prozent. „Da kann man nicht einfach so zusehen“, sagt Nicole. Deshalb will sie dringend Schwedin werden. In ihrem Gefühl schuldet sie das dem Land.

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