Deutschland. Auffällig viele Kinder sind aktuell von Infektionskrankheiten betroffen. Insbesondere beim sogenannten Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) beobachtet das Robert-Koch-Institut in den letzten Wochen einen starken Anstieg bei ein- bis vierjährigen Kindern. In der Kinderklinik des Klinikums Braunschweig habe es laut Chefarzt Prof. Dr. Hans Georg Koch im letzten Jahr keinen einzigen Fall gegeben. Dass diese nun vermehrt und besonders früh auftreten, sei laut dem Experten ein Späteffekt des Corona-Lockdowns. Auch der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte warnt, dass das Gesundheitssystem an seine Grenzen kommen könnte.
"Es ist jetzt bereits schwierig, Betten für die stationäre Betreuung von 'Infektkindern' zu finden. Das ist eine Situation, die wir sonst häufig am Gipfel der Infektwelle sehen, jetzt bereits von Anfang an", bemerkt Tanja Brunnert, Sprecherin des Bundesverbandes der Kinder und Jugendärzte e.V. (BVKJ) und äußert die Befürchtung, dass das ärztliche und pflegerische Personal für die stationäre Behandlung von Kindern und Jugendlichen ausgehen könnte. Der frühe und bereits jetzt heftige Verlauf der Infektsaison sei ungewöhnlich.
"Wir befürchten bei dem frühen Beginn bereits im Sommer eine zunehmende Intensität und dadurch mehr Krankheitsfälle."
Koch erklärt, dass viral bedingte Atemwegsinfektionen bei Kindern normalerweise erst in den Wintermonaten auftreten, also von Oktober oder November bis März, spätestens April: "Im letzten Winter hatten wir, wie andere Kliniken auch, keinen einzigen Fall mit RSV-Infektion. Dafür treten diese Fälle jetzt ungewöhnlicherweise bereits ab August auf." Die Zahl der Fälle schwanke von Jahr zu Jahr, aktuell würde die Kinderklinik in Braunschweig laut Koch jedoch zwei bis drei Fälle wöchentlich aufnehmen: "Wir befürchten bei dem frühen Beginn bereits im Sommer eine zunehmende Intensität und dadurch mehr Krankheitsfälle."
Was ist das RS-Virus?
Den BVKJ beschäftigen laut Brunnert zum überwiegenden Teil "banale Infekte, wie sie die Kinder auch üblicherweise in der Infektsaison durchmachen". Die Sprecherin zählt auf: "Husten, Schnupfen, Magendarminfekte. Echte Grippe sehen wir noch nicht." Das RS-Virus hingegen ist vor allem bei der Gruppe relevant, die beim Coronavirus eher milde Verläufe erlebt. Es ist bei Säuglingen und Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren laut dem Helmholtz-Zentrum in München der häufigste Auslöser von akuten Atemwegsinfektionen.
"Das RS-Virus ist eines dieser Viren, die Atemwegsinfekte (Husten, Schnupfen) auslösen, die bei größeren Kindern und Erwachsenen in der Regel einen harmlosen Verlauf nehmen", erklärt Koch und hebt hervor: "Bei Säuglingen und Kleinkindern entwickelt sich jedoch häufiger eine ausgeprägte Bronchitis, die zur Luftnot führen kann und im Krankenhaus behandelt werden muss. Zusätzlich können sich auch Grippe-Viren ausbreiten. In diesem Sommer haben wir jedoch noch keine Fälle mit klassischer Grippe beobachtet." Grund ist laut dem Helmholtz-Zentrum in München, dass die Atemwege von Säuglingen relativ eng seien. Dadurch wirken sich Entzündungen in den unteren Atemwegen stärker aus. Tödlich ist ein Infekt jedoch nur in den seltensten Fällen. Gefährdet sind vor allem Frühgeborene mit Lungenschaden und Kinder mit Herzfehlern. In diesen Gruppen verlaufen etwa 5 Prozent der Fälle tödlich.
Eltern und Ärzte gestresst
Nach den Daten der Arbeitsgemeinschaft Influenza des Robert-Koch-Instituts hat sich die Zahl der Positivnachweise des RSV-Erregers seit Ende August wöchentlich verdoppelt. Entsprechend gehen auch mehr Eltern zum Arzt. Das belastet laut Brunnert die ärztliche Versorgung: "Durch die allgemeine Verunsicherung kommt es viel früher zu einer Vorstellung der eigentlich größtenteils nur wenig betroffenen Kinder. Dies bindet viel kinder- und jugendärztliche Kapazität und wir leisten viel Aufklärungsarbeit in den Praxen." Auch die Familien seien dadurch sehr belastet, die Eltern rasch gestresst: "Nach der langen Pandemie sind die Ressourcen geringer, viele Eltern haben schon reichlich Pflegetage für ihre Kinder in Anspruch genommen. Dies stresst die Familien zusätzlich."
Lockdown und Schutzmaßnahmen wohl ursächlich
"Die Atemwegsinfektionen werden in gewisser Weise nachgeholt"
Brunnert und Koch sind sich bei der Ursache der frühen Infektionswelle einig. Der Braunschweiger Experte erklärt: "Bedingt durch Kontaktbeschränkung, Lockdown und Mund-Nasen-Schutzpflicht konnten sich die Viren, die Atemwegsinfektionen auslösen, im letzten Jahr nicht ausbreiten. Bei der jetzt erlebten Lockerung der Kontaktbeschränkungen treffen die Viren auf mehr Kinder, die noch keinen immunologischen Infektionsschutz entwickelt haben, das heißt, die Atemwegsinfektionen werden in gewisser Weise nachgeholt", Brunnert ergänzt, dass das Immunsystem nach der langen Phase ohne Stimulation durch banale Viren erst mal wieder trainiert werden müsse: "Wir reden da von einer 'Immunschuld'.
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