Wenn weg, dann weg - Grippeimpfstoffe könnten trotz Überschuss knapp werden

Bundesweit sollen etwa 26 Millionen Impfdosen für die kommende Grippesaison zur Verfügung stehen. Es gibt dennoch die Befürchtung, dass Arztpraxen am Ende mit leeren Händen dastehen könnten.

von und


Symbolbild.
Symbolbild. | Foto: Pixabay

Region. Die Grippesaison 2020/2021 steht bereits in den Startlöchern. Infolge der Corona-Pandemie interessieren sich in diesem Jahr mehr Menschen für eine Impfung gegen die saisonale Grippe. Janina Gander vom Klinikum Braunschweig spricht von einem "moderaten Anstieg" der Nachfrage nach Grippeimpfungen. Mit den 20 Millionen Impfdosen, die bereits produziert und freigegeben sind, könnte zwar jeder dritte Bundesbürger geimpft werden, dennoch hält das Klinikum einen Engpass für möglich. regionalHeute.de hat nachgeforscht, wie es dazu kommt.


Für das laufende Jahr sollen 26 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen. Das versprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im September im Interview mit Focus Online. Nach der Produktion bei den Pharmaunternehmen werden die Impfdosen durch das Paul-Ehrlich-Institut überprüft und dann zur weiteren Verteilung freigegeben - 20 Millionen stehen demnach laut dem stellvertretenden Landesvorsitzenden des Landesapothekerverbandes Dr. Matthias Grau bereits zur Verfügung. Sechs Millionen weitere Dosen wurden bereits Mitte des Jahres durch das Bundesgesundheitsministerium bestellt, als klar wurde, dass die Nachfrage steigen könne. "Die befinden sich jetzt auch gerade in den letzten Zügen der Produktion und müssen dann auch vom Paul-Ehrlich-Institut freigegeben werden. Ende Oktober bis Mitte November werden die dann voraussichtlich zur Verfügung stehen", erläutert Rau. Das seien dann insgesamt 10 Millionen Impfdosen mehr als im vergangenen Jahr. Detlef Haffke, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) rechnet das auf Niedersachsen herunter. Auf Niedersachsen würden demnach als klassisches "Zehn Prozent-Land" bis zu 2,6 Millionen Impfdosen entfallen. "In der vergangenen Saison sind insgesamt rund 1,2 Millionen Dosen in Niedersachsen verimpft worden", erläutert Haffke dazu. Im Vergleich zum letzten Jahr entspricht die neue "Reserve" also einem Plus von etwa 20 Prozent.

Der Bedarf steht noch nicht abschließend fest


So viel zu den trockenen Zahlen. "Mittlerweile wollen sich aber nicht mehr nur die von der ständigen Impfkommission empfohlenen Patientenkreise impfen lassen, also Personen über 60, immungeschwächte oder vorerkrankte Personen, sondern auch Kinderärzte empfehlen eine Grippeimpfung. Die Kinder sitzen in der Schule und bedingt durch Corona und die Lüftungsproblematik ergeben sich da ja im Winter ganz andere Herausforderungen", schildert Matthias Grau und schlussfolgert: "Wir haben also dieses Jahr einen ganz neuen Patientenkreis im Impfspektrum."

Auch Haffke sieht diese Entwicklung. "Die Praxen impfen jetzt schon teilweise, obwohl wir immer empfohlen haben, erst Mitte Oktober damit zu beginnen - Die Nachfrage scheint zumindest in einigen Praxen schon da zu sein." Die Apotheke des Klinikums in Braunschweig hat insgesamt 1.700 Impfdosen auf Lager, die Anfang September geliefert worden sind. Im vergangenen Jahr waren es 1.600 Stück. Die Nachfrage sei moderat gestiegen. "Man kann feststellen, dass sich die Risikogruppen nun vermehrt über die Impfung informieren", berichtet Klinikumssprecherin Janina Gander. Haffke merkt an, dass nicht wirklich absehbar sei, wie viele zusätzliche Menschen sich tatsächlich in diesem Jahr impfen lassen werden. Doch dann könnte es eng werden. Gander: "Sicherlich könnte eine erhöhte Nachfrage zu einer Knappheit führen. Die Apotheke hat ihren Impfstoff in Absprache mit der Arbeitsmedizin bestellt. Eine Nachbestellung kann über die entsprechenden Firmen getätigt werden. Ob der bestellte Grippeschutz dann geliefert wird, ist nicht sicher."

Grippeimpfstoffe können nicht nachproduziert werden


Ein großes Problem bei den Grippeimpfungen sei, dass die Dosen für dieses Jahr größtenteils bereits im Februar bestellt worden sind. "Die Produktion von Grippeimpfstoffen ist ein spezielles Gebiet. Die kann man nicht von jetzt auf gleich nachproduzieren", schildert Matthias Grau und erklärt: "Die werden aus Hühnereiweißzellen produziert und Hygiene-technologisch behandelt. Es dauert vier bis sechs Monate bis man den Impfstoff nutzen kann." Andere Impfstoffe seien innerhalb von einer Woche einsatzbereit. "Wenn dieser saisonale Impfstoff aber einmal produziert worden ist, dann ist der Ofen aus. Der lässt sich auch so leicht nicht wieder anschmeißen."

Vom Hersteller bis in die Praxis


Doch woher wissen die Hersteller überhaupt, wie viel sie produzieren müssen? "Es ist dieses Jahr durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) so, dass alle Ärzte an die Krankenversicherungen melden mussten, welchen Impfstoff sie durchschnittlich in den letzten Jahren verimpft haben", erklärt Grau. Hier seien den Krankenkassen 16 Millionen gemeldet worden. "Da schlägt man dann einen Sicherheitspuffer von etwa 20 Prozent auf und dann wird produziert."

Mit Abschluss der Produktion ist aber noch nicht Schluss. Die Impfdosen werden vor der Freigabe vom Paul-Ehrlich-Institut überprüft. "Das klappte mit der ersten Charge im August relativ schnell. Mit der zweiten Charge hat es dann schon Verzögerungen gegeben. Dann die Verzögerung durch Transport zu den entsprechenden Großhandlungen, die dann an die Apotheken liefern, die dann an die Arztpraxen liefern", so Grau zum langen Weg eines Impfstoffes.

Neues Gesetz bereitet Probleme


Teilweise hätten die Ärzte jedoch laut Grau für dieses Jahr nicht vorbestellt, "weil sie gedacht haben, mit ihrer Meldung an die Krankenversicherung haben sie ihre Pflicht und Schuldigkeit getan und jeder weiß, wie viele Impfstoffe sie brauchen." Die Verteilung und Vorbestellung seitens der Ärzte läuft über die Apotheken "Wenn die aber nicht weiß, dass sie vorbestellen soll, bestellt sie auch nicht", kommentiert Grau. Diese Kommunikationsprobleme seien vor allem dem neuen Gesetz geschuldet und müssten für das kommende Jahr ausgeräumt werden.

Die Logistik ist entscheidend


Neben allen Widrigkeiten und deren Klärung steht letztendlich der Vertrieb und die Logistik. "Es gibt einen einzigen Transportdienst, der gekühlte medizinische Ware in Deutschland transportieren kann, und das ist ThermoMed", erklärt Grau und fährt fort: "Und sobald man an einen Monopolisten gerät, kann man sich vorstellen, was passiert. Da kommen Verzögerungen rein, die keiner vorher auf der Platte hat." Grau berichtet von Verzögerungen um die zehn Tage.

Das Klinikum Braunschweig habe seine Lieferung zwar pünktlich erhalten. Pressesprecherin Janina Gander schildert: "Schaut man allerdings in die öffentlichen Apotheken, ist dort bereits jetzt ein Lieferengpass zu verzeichnen. Zumindest über den Großhandel kann man derzeit keinen Grippeimpfstoff bestellen."

Grippesaison könnte Überraschungen bergen


Sollten sich also tatsächlich überdurchschnittlich viele Menschen dazu entschließen, sich gegen die Grippe impfen lassen zu wollen, könnte es Lieferverzögerungen bei erhöhtem Bedarf geben, die über den empfohlenen und wirksamen Zeitraum der Grippeschutzimpfung zwischen Mitte Oktober und Anfang Dezember hinausgehen. Es gibt jedoch auch eine zweite Sichtweise: "Im Augenblick ist es so, dass auf der südlichen Erdhalbkugel die Grippesaison schon vorbei ist. Dort hat man viel weniger Grippefälle gehabt als im vergangenen Jahr", berichtet Detlef Haffke. "Das führt man darauf zurück, dass man wegen des Coronaschutzes die Übertragungswege der Grippe unterbindet. In Australien hat es in dieser Saison kaum Grippefälle gegeben", so Haffke weiter: "Es gibt durchaus Wissenschaftler die sagen, dass die Grippesaison 2020/2021 gar nicht so stark ausfällt, weil wir uns alle gemeinsam schützen."


mehr News aus der Region