Wetterturbulenzen, Riesenwellen und Herzrhythmusstörungen auf der Spur

Forscher der TU Braunschweig haben eine Modellierungsmethodik entwickelt, mit der man komplexe Systeme verstehen, abschätzen, vorhersagen und sogar steuern kann.

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Symbolbild | Foto: Marvin König

Braunschweig. Wie modelliert man eine turbulente Strömung? Wie erkennt man Unregelmäßigkeiten im Herzschlag? Und wie kann man eine Riesenwelle vorhersagen? Vorhersagen zum Verhalten für diese Beispiele sogenannter komplexer und nichtlinearer dynamischer Systeme zu treffen, war bislang nur schwer möglich. Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig haben eine Methode entwickelt, um für diese und andere Phänomene in allen wissenschaftlichen Bereichen Modelle zu erstellen. Das berichtet die TU Braunschweig in einer Pressemitteilung.


Was man dazu benötigt, sind Daten aus Messungen. Die Software generiert daraus ein Modell, mit dem man komplexe Systeme verstehen, abschätzen, vorhersagen und sogar steuern kann. Vorgestellt haben sie ihre Untersuchungsergebnisse im Journal „Science Advances“.

Seltene Ereignisse in Form von Energieausbrüchen


Die nichtlineare Dynamik ist ein Forschungsgebiet, das nichtlineare Phänomene in der Physik, Chemie, Biologie und anderen Wissenschaften beobachtet und in mathematischen Modellen analysiert. Mit nichtlinearen Systemen können komplexe Dynamiken aufgezeigt werden. Ein besonderes Beispiel sind Kolmogorow-Strömungen, benannt nach dem russischen Mathematiker Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow. Kolmogorow-Strömungen weisen seltene Ereignisse in Form von Energieausbrüchen auf. Solche seltenen Ereignisse kommen in der Natur vor, zum Beispiel in Form von Riesenwellen und abrupten Sturmböen. Das sind singuläre Ereignisse von kurzer Dauer, aber enormer Ausprägung. So können die Riesenwellen mehr als doppelt so hoch sein wie sie umgebende große Wellen. Mit einem passenden Modell ist es möglich, ihr Auftreten vorherzusagen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.


Schwierigkeiten bei der Modellierung vieler dynamischer Systeme sind jedoch das stochastische Verhalten der Ereignisse und das Messrauschen. Auch Chaos, eine besondere Eigenschaft bestimmter dynamischer Systeme, erschwert den Modellierungsprozess. Oft liegen nur Daten aus Messungen und Beobachtungen vor. Die Forschenden müssen dann die entsprechenden Gleichungen identifizieren, die diese Daten beschreiben.

Die Methode ist universell anwendbar


Dr. Richard Semaan, Leiter der Arbeitsgruppe Modellierung und Regelung von Strömungen am Institut für Strömungsmechanik (ISM) der TU Braunschweig, hat nun zusammen mit Dr. Daniel Fernex (als Doktorand an der TU Braunschweig) und Prof. Bernd Noack (ehemaliger Professor am ISM) eine Methode zur datengetriebenen Modellierung komplexer nichtlinearer Dynamiken vorgeschlagen. Ihre neu entwickelte Methode, das Cluster-based Network Modelling (CNM), beschreibt kurz- und langfristiges Verhalten von Dynamiken und ist vollständig automatisierbar, da sie nicht auf anwendungsspezifisches Wissen angewiesen ist. Die Methode ist außerdem universell, weil sie theoretisch bei jeder Anwendung, die ein dynamisches Verhalten aufweist, eingesetzt werden kann – und so in allen wissenschaftlichen Bereichen interessant sein könnte.

Das Fehlen von erforderlichen Vorkenntnissen ist ein zusätzlicher Vorteil. Dies ist der datengetriebenen Natur der Methode zu verdanken. Der online verfügbare Code kann ohne große Anpassung ausgeführt werden. Andere bestehende Methoden erfordern hingegen viel Expertenwissen zur Bedienung und Anpassung.

Die Methode baut auf früheren Forschungen von Professor Noack und anderen Forschenden auf dem Gebiet des Clustering und der Netzwerkwissenschaft auf. Die Arbeit selbst war Teil eines DFG-geförderten Projekts in Zusammenarbeit mit Prof. Wolfgang Schröder (RWTH Aachen), das aktive Methoden zur Widerstandsreduktion untersucht, also Methoden, die die Strömung beeinflussen, indem sie Energie in die Strömung übertragen, um deren Eigenschaften zu verändern. Die Anwendung liegt hauptsächlich im Bereich der Aerodynamik.

Verständnis und Kontrolle komplexer Systeme


Diese automatisierbare, universelle, datengetriebene Darstellung komplexer nichtlinearer Dynamik ergänzt und erweitert die Wissenschaft der Netzwerkkonnektivität und verspricht neue, schnelle Wege zum Verständnis, zur Abschätzung, Vorhersage und Kontrolle komplexer Systeme in allen wissenschaftlichen Bereichen – unter anderem in der Klimaforschung, Epidemiologie, Neurologie (Gehirnaktivität), Finanzwissenschaft (Marktturbulenzen) und in der Luftfahrt (Turbulenzen).


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