Region. Rechtsextreme Chatgruppen in der Polizei haben in den vergangenen Monaten bundesweit für Aufsehen gesorgt. Eine Studie zu rechtsextremen Tendenzen in den Sicherheitsbehörden lehnte Bundesinnenminister Horst Seehofer ab - anders sein Amtskollege Boris Pistorius in Niedersachsen. Dieser will nun eine Studie zu Extremismus in der Polizei starten. "Ich rede lieber über Fakten und Erkenntnisse als über Bauchgefühl", so Pistorius gegenüber dem NDR. Die Polizeidirektion Braunschweig begrüßt die angekündigte Studie und erhofft sich neue Erkenntnisse zu Präventionsansätzen. Man sehe sich nicht unter Generalverdacht gestellt.
Zwischen dem 1. Januar 2017 und dem 31. März 2020 gab es insgesamt 319 Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus innerhalb der Sicherheitsbehörden der Länder, davon entfallen 16 Fälle auf Niedersachsen. Auf Bundesebene kommen 58 Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus bei Polizeibeamten hinzu. Weiter 1.064 Fälle fielen beim militärischen Abschirmdienst für die Bundeswehr an. Diese Zahlen stammen aus dem Lagebericht "Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden" des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Im Bereich der Polizeidirektion Braunschweig seien keine derartigen Vorfälle bekannt. Dort seien im gesamten Jahr 2020 vier Beschwerden wegen Diskriminierungen im Zusammenhang mit Ethnie und Migrationshintergrund bei der Beschwerdestelle der Polizeidirektion Braunschweig eingegangen. "Drei von diesen Beschwerden sind nach Abschluss der Prüfung unbegründet. Bei einer Beschwerde ist im Rahmen der Prüfung ein Strafverfahren wegen Beleidigung und zudem ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden", berichtet Andrea Haase, Pressesprecherin der Polizeidirektion (PD) Braunschweig. Der Zuständigkeitsbereich der PD Braunschweig umfasst alle Städte und Kreise, in denen regionalHeute.de berichtet.
Zwei Studien in Einem
In den Medien sorgte dabei ein Umstand für Irritationen - einerseits sprach Pistorius gegenüber der "Rheinischen Post" im Zusammenhang mit seiner geplanten Studie davon, dass man "antidemokratische Glutnester ersticken" müsse. Von einer Studie zu Demokratiefestigkeit und Rechtsextremismus der niedersächsischen Polizeibeamten war die Rede. In anderen Berichten war - deutlich harmloser - von einer "Studie zum Alltag" der Polizisten die Rede, wie sie auch Bundesinnenminister Seehofer befürwortet hatte. Ein plötzlicher Sinneswandel? Mitnichten - beides sei richtig, wie das Innenministerium auf Anfrage von regionalHeute.de erklärt.
Die Gewerkschaft der Polizei habe nach dem Vorstoß des SPD-Innenministers eine ergebnisoffene Studie zum Polizeialltag vorgeschlagen. "Forscherinnen und Forscher werden die Polizei während ihrer Arbeit begleiten, um so Erkenntnisse zum polizeilichen Arbeitsalltag und zu Rahmenbedingungen der Polizeiarbeit zu erhalten", erklärt Werner Steuer, Pressesprecher des Landesinnenministeriums in Niedersachsen und fügt hinzu: "Das soll unter anderem Rückschlüsse darauf ermöglichen, ob und inwiefern Rassismus, extremistische Äußerungen oder sogenanntes Racial Profiling durch bestimmte Rahmenbedingungen gegebenenfalls begünstigt werden." Folgen soll dann eine schwerpunktmäßigere Studie zur "demokratischen Resilienz" der Polizei. "Verhaltensweisen von Polizeibeamtinnen und -beamten, die auf extremistische oder rassistische Einstellungen schließen lassen, werden mitbetrachtet. All diese Aspekte führen so zu einem umfassenden Gesamtbild des polizeilichen Alltags", erläutert Steuer. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen dann auf Aus- und Fortbildungen übertragen werden.
Das Innenministerium hat dazu eine Beschlussvorlage vorbereitet, die Ende Oktober auf der Konferenz der SPD-geführten Landesinnenministerien besprochen werden soll. Im nächsten Schritt wird die Vorlage dann auf der Bundesinnenministerkonferenz im Dezember in Weimar diskutiert werden. Fraglich ist, wie der Vorstoß der SPD-geführten Innenministerien bei Bundesinnenminister Horst Seehofer ankommt. Dieser hatte eine Studie bislang mit dem Argument abgelehnt, dass man die Polizei nicht unter Generalverdacht stellen könne.
Polizeivertreter sehen sich nicht unter Generalverdacht
Die Polizeidirektion Braunschweig sieht in den Plänen des Niedersächsischen Innenministers keinen Generalverdacht gegen sich und ihre Beamtinnen und Beamten. Man unterstütze die angestrebten Untersuchungen. "Es wird erwartet, dass hierdurch neue Erkenntnisse auch zu Präventionsansätzen gewonnen werden. Zudem trägt eine Studie zur Versachlichung der im Raum stehenden Befürchtungen bei", meint Andrea Haase und wird deutlich:
"Polizeibedienstete, die nicht für die Grundwerte unserer Demokratie und für die freiheitlich demokratische Grundordnung einstehen, sind nicht tragbar für die Institution Polizei."
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Niedersachsen äußert sich ähnlich: "Angesichts der Tatsache, dass über 80 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger ein großes oder sehr großes Vertrauen in die Polizei haben, müssen wir innerhalb der Sicherheitsbehörden bei solchen Themen ganz besonders gut hinschauen", meint Dietmar Schilff, Landesvorsitzender der GdP. Ein strukturelles Problem sehe er im Hinblick auf die vom Verfassungsschutz vorgelegten Zahlen jedoch nicht. Schilff ergänzt: "Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass jeder einzelne der wenigen Fälle einer zu viel ist und die gute Arbeit der bundesweit rund 350.000 Polizeibeschäftigten, davon über 20.000 allein in Niedersachsen, diskreditiert."
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