AfD Wolfenbüttel - Der Online-Kampf gegen den "Staatsterrorismus"

Es fallen Begriffe wie "Staatsterrorismus", "Corona-Diktatur" auf dem Twitter-Profil der AfD Wolfenbüttel. Wie der Fraktionsvorsitzende Klaus-Dieter Heid erklärt, finden sich auf dem offiziellen Profil des Kreisverbandes jedoch keine offiziellen Inhalte seiner Partei.

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Der AfD-Fraktionsvorsitzende Klaus-Dieter Heid im Ratssaal in Wolfenbüttel. (Archivbild)
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Klaus-Dieter Heid im Ratssaal in Wolfenbüttel. (Archivbild) | Foto: Werner Heise

Wolfenbüttel. Die AfD ist in Fraktionsstärke in Kreistag und Stadtrat vertreten und pflegt als Kreisverband auch ein offizielles Profil im sozialen Netzwerk Twitter. Abseits von der Realpolitik in Stadt und Kreis werden dort täglich Inhalte anderer Twitter-Profile weiterverbreitet. Der Ton ist rau. Online spricht die Wolfenbütteler AfD von der "Corona-Diktatur" und dem "Staatsterrorismus", den sie in den Maßnahmen der Regierung während der aus ihrer Sicht "inszenierten Pandemie" sehen. Als regionalHeute.de Klaus-Dieter Heid, Fraktionsvorsitzender der AfD im Stadtrat und Mitglied der Kreistagsfraktion, darauf anspricht, reagiert dieser defensiv.


So verbreitet die AfD beispielsweise eine offizielle Tabelle des Robert-Koch-Institutes (RKI), aus der hervorgehen soll, dass es seit mindestens sechs Wochen keine neuen COVID-19 Fälle mehr gibt. "Alle Mainstream-Medien und fast alle Politiker lügen uns täglich an", schlussfolgert der Tweetersteller. Verfolgt man die Quelle zeigt sich jedoch, dass es sich um sogenannte "Sentinel-Proben" handelt - eine nicht-repräsentative Stichprobe aus etwa 100 Arztpraxen, in denen bei Verdacht auf das Grippevirus auch auf SARS-Cov-2 getestet wurde. Es wurde also lediglich in diesen 100 Praxen "seit Wochen" kein Coronavirus mehr nachgewiesen. Zusätzlich führt das RKI an, dass nicht einmal alle Sentinel-Proben auf das Coronavirus untersucht worden seien.

Diese Tabelle soll belegen, dass es in den vergangenen sechs Wochen keine Nachweise von Coronaviren mehr gegeben hat.
Diese Tabelle soll belegen, dass es in den vergangenen sechs Wochen keine Nachweise von Coronaviren mehr gegeben hat. Foto: Twitter @AfD_WF



Am 12. August sprachen wir die AfD Wolfenbüttel zunächst darauf an, ob dies tatsächlich ein offizielles Profil des Kreisverbandes sei und wer dieses betreut. Heid antwortete, dass es mindestens einen Twitter-Administrator gebe, "dessen oder deren Name natürlich auch aus Gründen des Datenschutzes nicht öffentlich gemacht wird".

Die Schädlichkeit der Maskenpflicht


Am besagten Tag retweetete die AfD Wolfenbüttel auch einen Beitrag des Mediziners Dr. med. Gregor Dornschneider, der tatsächlich über das offizielle Profil der gleichnamigen Praxis in Heidelberg gepostet wurde und seitdem im Netz die Runde macht. Verfasst wurde dieser von einer Andrea K., die sich ebenfalls auf Facebook findet und seit Einführung der Maskenpflicht über nichts anderes mehr geschrieben hat. In ihrem Widerstandskampf gegen die Maske schreckt sie nicht davor zurück, sich als "politisch verfolgte" mit den Jüdinnen und Juden im Dritten Reich gleichzusetzen. Der Tenor des von ihr verfassten Textes, den die AfD weiterverbreitete: Die Maskenpflicht ist schädlich!

Der Text stammt augenscheinlich von einem Doktor. Erst in der Fußzeile findet sich als Urheberin eine andere Person ohne akademischen Titel.
Der Text stammt augenscheinlich von einem Doktor. Erst in der Fußzeile findet sich als Urheberin eine andere Person ohne akademischen Titel. Foto: Twitter @AfD_WF



Vorausgesetzt wird in dem Beitrag eine falsche Anwendung der Maske, das schlichte Ausatemventil in FFP2/3 Masken wird als notwendiges Instrument zum Herausfiltern von Viren bezeichnet und es wird angenommen, dass Viren sich frei in der Luft bewegen und so jeden noch so dichten Maskenstoff durchdringen können, statt in Tröpfchen und Aerosole gebunden zu sein. Weiterhin führt der Text als maximal empfohlene Tragedauer für einfache OP-Masken eine Zeit von lediglich 30 Minuten an. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene empfiehlt eine maximale Tragedauer von zwei Stunden.

Die Freiheit des Denkens und die vorgegebene Meinung


"Es gibt bezüglich der Vor- und Nachteile des Masken-Tragens differenzierte und kontroverse Meinungen, Studien und Erfahrungswerte. Wir verweisen auch auf das Beispiel Schweden", meint Heid dazu. Auf die Frage, ob er diese Informationen auch als Empfehlung an seine Wählerinnen und Wähler weitergeben würde, antwortet der Politiker: "Grundsätzlich geben wir niemals 'ohne Weiteres' irgendwelche Empfehlungen zu irgendwelchen Themen. Die Freiheit, differenziert zu denken und sich nicht zwingend „hinter einer vorgegebenen Meinung“ zu platzieren, ist ein Merkmal der AfD, das uns von anderen Parteien unterscheidet. Diese Freiheit des Denkens gilt auch für den von Ihnen angeführten Text."

Auf eine weitere Rückfrage zur Richtigkeit der im retweeteten Text aufgestellten Behauptungen - mit Quellenangaben zu den abweichenden Daten offizieller Stellen - reagiert Heid abweisend: "Dem suggestiven Stil Ihrer Anfrage ist zu entnehmen, dass Sie – aus Ihrer Sicht – 'Falschmeldungen' als Fakt und 'Fakten' als Falschmeldung deklarieren. Da dem Stil Ihrer Anfrage eine Antwort bereits impliziert ist, die Sie erwarten, geht es Ihnen – aus unserer Sicht – nicht um faktische Bewertungen, sondern um ideologische Scharmützel."

Der Corona-Staatsterrorismus


In einem weiteren von der AfD am 9. August geteilten Beitrag heißt es, "Maskenzwang, Impfzwang, Abstandszwang, Verbote oder Behinderungen von öffentlichen Versammlungen (...) und totale Überwachung, nicht über zwei, drei Wochen, sondern über Monate, oder wie absehbar über Jahre, (...) sind keine Pandemie-Maßnahmen, sondern Staatsterrorismus." Wir fragen Heid, ob die Formulierung "Staatsterrorismus" zu den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie tatsächlich die Meinung der AfD Wolfenbüttel widerspiegelt.

Auf Twitter bezeichnet das offizielle Profil der AfD Wolfenbüttel die Corona-Maßnahmen als Staatsterrorismus, Heid selbst würde diesen Begriff jedoch nicht verwenden.
Auf Twitter bezeichnet das offizielle Profil der AfD Wolfenbüttel die Corona-Maßnahmen als Staatsterrorismus, Heid selbst würde diesen Begriff jedoch nicht verwenden. Foto: Twitter @AfD_WF



Heid antwortet ausführlich: "Jede Form der Einschränkungen persönlicher Freiheiten ist grundsätzlich ein Eingriff in Grundrechte. Diese Grundrechte sind grundgesetzlich verbrieft und machen den Wert unseres Gesellschaftssystems aus. Die sich langsam etablierte Formulierung, die auch Sie hier nutzen („…zur Eindämmung der Pandemie“) suggeriert in sich schon, dass alle beschlossenen Maßnahmen die Pandemie 'einschränken'. Dies allerdings ist nicht in allen Punkten eindeutig belegt und schon gar nicht als ständiges Argument für Einschränkungen der persönlichen Freiheiten nutzbar. Es begibt sich jeder auf dünnes Eis, wenn eine Legitimierung als 'gottgegeben' und unstrittig angewandt wird, die – so klingt auch Ihre Frage – eigentlich keinen Widerspruch duldet, weil sie 'das Virus eindämmt'."

Heid nennt als Beispiel den Sonderweg, den das Land Schweden während der Corona-Pandemie eingeschlagen hat. "Es wird medial kaum berücksichtigt, dass man dort stetig sinkende Infektionszahlen zu verzeichnen hat, dass dortige Sterbefälle zu 50 Prozent in Alten- und Pflegeheimen stattfanden, wo der Staat tatsächlich Handlungsdefizite beklagt. Gleichzeitig wurde dort kein wirtschaftsvernichtender Lockdown ausgerufen und Kinder konnten dauerhaft beschult werden", erklärt Heid. "In Schweden gibt es keine Maskenpflicht – aber Medien in Deutschland vermitteln und suggerieren eine einzige Heilsbotschaft, die von uns, der AfD, nicht als alleinseligmachende Weisheit akzeptiert wird."

Nach Recherchen des WDR-Magazins Quarks sei die Tendenz in Schweden jedoch eindeutig. Dort heißt es: "Schweden hat zwar bisher weniger Tote pro 100.000 Einwohner als Italien und Frankreich, aber deutlich mehr als seine skandinavischen Nachbarn Dänemark und Norwegen. Und fünfmal so viele Tote auf 100.000 Einwohner wie Deutschland. (Stand: Juli 2020)." Der Vergleich zwischen Ländern gestalte sich ohnehin schwierig - es wird überall anders getestet, die Zahlen werden unterschiedlich erhoben, auch unterscheiden sich Bevölkerungsdichte und Einwohnerzahl. Wie erfolgreich der schwedische Sonderweg ist, lasse sich, so Quarks, noch nicht sagen.

Staatsterrorismus als Gefühl des Einzelnen


Die Ursprungsfrage, ob die Formulierung "Staatsterrorismus" in diesem Zusammenhang wirklich heranzuziehen sei, beantwortete Heid erst auf erneute Rückfrage: "Da 'Terror' die systematische und willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt ist, um Menschen gefügig zu machen (Definition), werde ich die Formulierung 'Staatsterrorismus' keinesfalls verwenden. Wenn sich jemand anderes durch die zweifelhaften Maßnahmen der Bundesregierung zur 'Corona-Bekämpfung' terrorisiert fühlt, ist es das Empfinden des Einzelnen, das ich nicht bewerten möchte. Insofern kann ich nur für mich persönlich und für die Mehrheit meiner Fraktion im Rat der Stadt sprechen, die diesen Begriff so nicht verwenden wird."

Keine offiziellen Inhalte auf offiziellem Account


Weshalb und wer für die AfD solche Begriffe in Bezug auf aktuelle politische Geschehnisse twittert, bleibt insgesamt offen. Immerhin schrieb Heid eingangs: "Inhalte auf Facebook oder Twitter, die nicht explizit von uns autorisiert sind, müssen nicht die Meinung der örtlichen AfD wiedergeben."

Offiziell vom Kreisverband mitgetragene Inhalte finden sich auf dem offiziellen Profil also nicht, wie Heid erklärt: "Würden wir nur Meinungen zulassen, die unserer oder meiner Position entsprechen, wäre dies aus meiner Sicht Meinungszensur. Dies wäre nicht in unserem Sinn", erklärt der Fraktionsvorsitzende. Auf die Rückfrage, wie es sein könne, dass ein offizieller Account einer lokalen Partei scheinbar ohne jede Kontrolle Inhalte mit Begriffen verbreite, welche die Mehrheit der Fraktion so nicht verwenden würde, spricht Heid von "Zensur": "Muss jede Veröffentlichung, jede Meinung, durch unseren Vorstand 'abgesegnet' werden? Ist dann nicht die Zensur erreicht, die im 'Öffentlich-Rechtlichen' längst Standard ist? Unser Twitter-Account ist ein 'Meinungs-Account' und gibt nicht in jedem Fall die Position und Meinung des Kreisverbandes Wolfenbüttel - und schon gar nicht immer die Meinung aller einzelnen Mitglieder des Kreisvorstands wieder."

Abschließend merkt Heid an, dass man ihn persönlich nicht auf Twitter finden werde, ebenso wenig von ihm verfasste Inhalte - es bleibt also unbekannt, wessen Meinung der offizielle Account des AfD Kreisverbandes Wolfenbüttel eigentlich widerspiegelt. Anhand des Internetauftritts haben Leserinnen und Leser des Profils jedenfalls keine Chance zu differenzieren, welche Positionen die AfD Wolfenbüttel vertritt - und welche nicht.


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