[image=54756]Die Herzog August Bibliothek konnte auf einer Autographen-Auktion ein Stammbuch ersteigern, dessen wichtigster Eintrag von der Hand Gotthold Ephraim Lessings stammt. Das Stammbuch war bisher in Privatbesitz, der Eintrag Lessings bisher nicht bekannt. Der Ankauf wurde unterstützt mit Mitteln der van-Runset-Stiftung.
Victuros agimus semper, nec vivimus umquam
(Wir handeln immer, als würden wir in der Zukunft leben, und so leben wir niemals)
Der Eintrag im jetzt erworbenen Stammbuch des Theologiestudenten Christian David Hohl (1739–1792) aus Weißenfels wurde am 11. Mai 1765 vorgenommen. Lessing zitiert einen Vers des römischen Dichters Manilius: Victuros agimus semper, nec vivimus umquam (Wir handeln immer, als würden wir in der Zukunft leben, und so leben wir niemals) und zeigt Lessings Vertrautheit mit der antiken Literatur. Die astrologische Lehrdichtung des Manilius beschäftigte Lessing auch in seiner Zeit als Wolfenbütteler Bibliothekar, als er (1774) bis dahin unbekannte Passagen des spätantiken Astrologen Firmicus Maternus entdeckte und erstmals zum Druck brachte.
Lessing war im Mai 1765 zur Buchmesse nach Leipzig gekommen, um dort Friedrich Nicolai und andere Freunde zu treffen und Kontakte zu knüpfen. Nach dem Ende seines Dienstverhältnisses bei General Tauentzien in Breslau war er auf dem Weg nach Berlin, wo er die Leitung der Königlichen Bibliothek zu erlangen hoffte, um eine sichere materielle Grundlage für sein literarisches Schaffen zu gewinnen. Es war die Zeit, als er sein wichtigstes Werk zur Ästhetik, den „Laokoon“, abschloss und an dem Lustspiel „Minna von Barnhelm“ arbeitete.
Über Lessings Kontakte in Leipzig ist ansonsten nicht viel bekannt. Am 16. Mai 1765 trug er sich mit zwei Versen des Horaz in das Stammbuch des Carl Johann Conrad Michael Matthaei (1744–1830) ein, der später Prinzenerzieher in Braunschweig wurde (dieses Stammbuch befindet sich heute im Goethe- und Schiller-Archiv zu Weimar).
Das Stammbuch Hohls enthält auf 258 Seiten insgesamt 133 Eintragungen, meist von Studenten und Professoren der Universitäten Jena (1761–62) und Leipzig (1764–66). Es finden sich neben Einträgen in lateinischer Sprache auch solche auf Hebräisch, Griechisch, Französisch und Deutsch. Neben Lessings Eintrag ragen diejenigen des Dichters Matthias Claudius (vom 12.1.1762) und des Philosophen Christian Fürchtegott Gellert (vom 29.10.1765) hervor. Die genaue Analyse der Stammbucheinträge an der Herzog August Bibliothek wird Aufschlüsse über das Netzwerk von Gelehrten der Aufklärung bringen, in dem sich Hohl bewegte.
Das Bild zeigt eine Seite aus dem Stammbuch von C.D. Hohl. Eintrag Lessings vom Mai 1765 mit lateinischem Sinnspruch („Victuros agimus semper, nec vivimus umquam“ – Wir handeln immer, als würden wir in der Zukunft leben, und so leben wir niemals). Foto: Herzog August Bibliothek
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