Die oberen zwei Drittel der Gesellschaft haben erheblich größeren Einfluss auf die Zusammensetzung des neu gewählten Bundestages genommen als das untere Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung.
Demnach sind bei der Bundestagswahl im September überdurchschnittlich viele Menschen aus sozial schwachen Milieus nicht zur Wahl gegangen. „Arbeitslosigkeit, Bildungsstand und Kaufkraft haben nachweislich maßgeblichen Einfluss auf die Wahlbeteiligung“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Die Studie bezeichnet die diesjährige Wahl daher als „sozial prekär“.
Die soziale Spaltung der Demokratie belegt die Studie zum einen mit der Analyse des Wahlverhaltens in 28 deutschen Großstädten und zum anderen mit der Betrachtung von 640 Stimmbezirken, die repräsentativ für Deutschland sind und auch für die Prognosen am Wahltag genutzt wurden. Gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Dr. Armin Schäfer (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung) und dem Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap hat die Bertelsmann Stiftung ermittelt, wo die Nichtwähler wohnen. Ergebnis: Je prekärer die soziale Situation in einem Stadtviertel, desto niedriger die Wahlbeteiligung.
Bis zu 46 Prozentpunkte betrug bei der diesjährigen Bundestagswahl der Unterschied in der Wahlbeteiligung zwischen einzelnen Vierteln in ein und derselben Stadt. So gaben in Köln-Chorweiler nur 42,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, in Köln-Hahnwald hingegen 88,7 Prozent. Einen besonders starken statistischen Zusammenhang ermittelt die Studie zwischen Wahlbeteiligung und Arbeitslosigkeit: In Chorweiler liegt die Arbeitslosigkeit bei mehr als 19 Prozent, in Hahnwald bei gerade mal einem Prozent.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die Forscher für alle untersuchten Städte von Aachen bis Wuppertal, und egal ob in West- oder Ostdeutschland. Die soziale Spaltung ist allerdings kein rein städtisches Phänomen. Die Ergebnisse der 640 bundesweit repräsentativen Stimmbezirke zeigen, dass auch in den ländlichen Gebieten die Wahlbeteiligung stark an den Sozialstatus gekoppelt ist.
„Der enge Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Sozialstatus ist besorgniserregend. Noch nie war das Gefälle in der Wahlbeteiligung so groß wie bei den beiden letzten Bundestags-wahlen 2009 und 2013“, sagte Dräger. Noch 1998 lagen über ganz Deutschland die Stimmbezirke mit der jeweils höchsten und niedrigsten Beteiligung bei der Bundestagswahl 19,1 Prozentpunkte auseinander. 2013 betrug diese Differenz bereits 29,5 Prozentpunkte. „Die Ungleichheit der Wahlbeteiligung hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten verdreifacht“, sagte Dräger. „Die Wahlbeteiligung bei der diesjährigen Bundestagswahl stagnierte auf dem historisch niedrigen Niveau von 2009. Die soziale Selektivität der Wählerschaft verfestigt sich und führt zu einer zunehmenden sozialen Spaltung unserer Demokratie“, so Jörg Dräger weiter.
Zur Studie: Das erste Mal überwindet eine Studie gängige Defizite vieler Nichtwählerstudien. Denn sowohl Telefon-Interviews als auch räumliche Analysen auf Wahlkreisebene können die soziale Dimension der Wahlbeteiligung nicht vollständig erfassen. In dieser Studie werden deshalb für sehr kleine räumliche Einheiten (bundesweit 1.004 Stadtteile und 640 repräsentative Stimmbezirke) die Zusammenhänge zwischen den Lebensverhältnissen und der Wahlbeteiligung vor Ort identifiziert. Dies geschieht auf Grundlage kommunaler Arbeitslosendaten sowie von Milieudaten und anderen sozialräumlichen Indikatoren des Marktforschungsinstituts microm. Für einzelne Stadtteile und Städte, sowie repräsentativ für das gesamte Bundesgebiet, ermöglicht die statistische Auswertung durch Dr. Armin Schäfer (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung) und infratest-dimap verbindliche Aussagen über die sozialräumlichen Unterschiede und die soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013. Leiter und Koautor der Studie: Prof. Dr. Robert Vehrkamp
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