Corona-Überlebenskampf auf der Intensivstation: Patienten kommen oft zu spät

29 Menschen sind in diesem Jahr an den Folgen einer Covid-19-Infektion im Klinikum Wolfenbüttel verstorben. Ärzte und Pflegepersonal kämpfen gegen ein Virus, das zum Multiorganversagen führen kann. Viele Patienten kommen zu spät ins Krankenhaus.

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Auf der Intensivstation geht es um Leben und Tod.
Auf der Intensivstation geht es um Leben und Tod. | Foto: Anke Donner

Wolfenbüttel. Insgesamt 14 Patienten werden derzeit mit einer Covid-19-Infektion im Klinikum Wolfenbüttel behandelt. Drei von ihnen haben einen so schweren Krankheitsverlauf, dass sie auf der Intensivstation liegen und beatmet werden müssen. Für die behandelnden Ärzte eine große Herausforderung, denn sie haben nichts in der Hand, was effektiv gegen das Coronavirus hilft. Das erzählen sie im Gespräch mit regionalHeute.de.



Bislang 29 Menschen sind in diesem Jahr an den Folgen einer Covid-19-Infektion im Klinikum Wolfenbüttel verstorben. 16 waren es im vergangenen Jahr. "Am Anfang dachten alle erst einmal, dass es eine Lungenerkrankung ist und so wird es auch in der Bevölkerung noch vielfach wahrgenommen. Es ist aber viel mehr. Es ist eine Multisystemerkrankung, eine Gefäßerkrankung und kann deswegen auch alle Organe betreffen", erklärt der leitende Oberarzt Dr. Roland Diesel. Viele junge Menschen mit einem schweren Verlauf würden nicht an Lungen-, sondern an Multiorganversagen sterben. "Da steigt auf einmal die Niere aus, die Leber steigt aus und das Herz pumpt nicht mehr richtig", so Diesel.

Dr. Roland Diesel und Dr. Tobias Jüttner.
Dr. Roland Diesel und Dr. Tobias Jüttner. Foto: Werner Heise


Bis auf einen einzigen Patienten, der noch keinen vollständigen Schutz gehabt habe, handele es sich bei denjenigen, die im Klinikum Wolfenbüttel intensivpflichtig werden, um ungeimpfte Patienten. "Ungeimpft von der ersten Minuten an", erläutert der Chefarzt der Anästhesie, Dr. Tobias Jüttner. "Am Anfang gab es keinen Impfstoff, aber auch jetzt sind alle auf der Intensivstation ungeimpft." Dass es sich dabei vorwiegend um ältere Menschen handele, stimmt nicht, sagen die beiden Ärzte. Erst letzte Woche sei eine 46-jährige Frau ohne relevante Vorerkrankungen verstorben. Sie erinnern sich aber auch an Patienten über 30 Jahre und sagen "buckelalt haben wir gar nicht mehr." Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass diese Altersgruppe früh geimpft und auch bereits geboostert wurde.


Krankheitsverläufe komplett unterschiedlich


Auch wenn sich die Patienten mittlerweile alle mit der Delta-Variante des Coronavirus infiziert hätten, die Krankheitsverläufe seien alle komplett unterschiedlich. "Manche liegen eine Woche auf der Intensivstation, bevor sie wieder zurück auf die Normalstation können, andere liegen hier fünf Wochen und länger", erzählt Jüttner. Schwierig sei, dass im Gegensatz zum Beginn der Pandemie, viele Patienten erst sehr spät ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen und ins Krankenhaus kämen. "Erst wenn es den Leuten richtig schlecht geht, nehmen sie mit ihrem Arzt Kontakt auf oder kommen ins Krankenhaus", sagt Dr. Roland Diesel. "Wir haben dann das Problem, dass wir mit der Therapie hinterherlaufen."

Und auch wenn am Ende der Großteil das Krankenhaus wieder verlassen kann, so gibt es eben auch die Menschen, die an den Folgen der Infektion versterben. Wer auf der Intensivstation landet, dem sei das bewusst. "Die Patienten haben Schiss, denn sie wissen, dass sie sterben können", sagt Jüttner.

Falschberatung beim Impfen führte zum Tod


Doch warum haben sich die Menschen nicht impfen lassen? Sind sie Impfverweigerer? "Nein, das stimmt nicht", sagt Jüttner. Ein relevanter Anteil der kritischen Patienten sei von Ärzten falsch beraten worden. "Die junge Frau, die jetzt verstorben ist, wollte sich impfen lassen, wurde aber weggeschickt, weil sie noch so jung sei und keine Risikofaktoren habe", erläutert Jüttner und fügt hinzu: "Da wundert man sich dann."

Dr. Roland Diesel und Dr. Tobias Jüttner bereiten Impfspritzen für das Impfzentrum im Klinikum Wolfenbüttel vor.
Dr. Roland Diesel und Dr. Tobias Jüttner bereiten Impfspritzen für das Impfzentrum im Klinikum Wolfenbüttel vor. Foto: Werner Heise


Es gebe sie aber auch, die "Hardcore Leute", die sich nicht impfen lassen wollen. "Da ist die Demut dann groß, solange sie noch wach sind", meint Jüttner. Mit wach ist der Zustand vor der künstlichen Beatmung gemeint, für die die Patienten dann sediert werden. Ob sie jemals wieder aufwachen, das wisse zu diesem Zeitpunkt niemand. Das Virus habe dann meist aber schon so gewütet, dass die Patienten zuvor eine Entzündung des Gehirn-Gewebes erlitten haben und unter einer Wesensveränderung die Situation nicht mehr wahrnehmen können.

"Verstanden haben wir die Krankheit jetzt, da haben wir aber auch ein Jahr für gebraucht", sagt Jüttner, macht aber auch deutlich: "Das heißt nicht, dass wir alle in den Griff bekommen." Während man am Anfang vor einem unbekannten Virus stand, hat man das, was es anrichtet und wie man damit umgeht, jetzt kapiert. Dafür stehen die Ärzte auch krankenhausübergreifend im stetigen Austausch.

An einem Tag wird es besser, am nächsten steigt die Niere aus


Das Coronavirus ist ein Thema, das man nicht im Krankenhaus abschüttelt. "Wenn man Fälle hat, wo ein junger Mensch einen schweren Verlauf hat und am Ende verstirbt, man mit dabei war, mit den Angehörigen gesprochen hat und deren Belastung und Trauer über den gesamten Verlauf mitbekommen hat, dann nimmt man das ein Stück weit mit nach Hause", sagt Dr. Roland Diesel. Und macht dabei noch einmal deutlich, wie unberechenbar der Krankheitsverlauf ist: "An einem Tag sagt man den Angehörigen vorsichtig optimistisch, die Lunge wird besser und am nächsten Tag sagt man, die Lunge ist zwar besser, aber jetzt ist die Niere ausgestiegen."

Um etwas zu tun, der Pandemie und dem Leid entgegenzutreten, haben Dr. Tobias Jüttner und Dr. Roland Diesel gemeinsam mit über 70 weiteren Klinikmitarbeitern ein Impfzentrum am Klinikum Wolfenbüttel eröffnet. Hier impfen sie neben ihrer eigentlichen Arbeitszeit montags bis freitags von 16 bis 18 Uhr (mittwochs von 14 bis 18 Uhr ausschließlich Kinder, an den anderen Tagen nur Erwachsene) gegen das Virus an. Denn sie wissen aus eigener Erfahrung: wer vollständig geimpft ist, landet aller Voraussicht nach nicht auf der Intensivstation.


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