“…den Himmel überlassen wir Engeln und Spatzen” – Pastor Dr. Peter Söllner zum “Vatertag”


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[image=44590]Eine Menge deutscher Männer feiert heute den sogenannten »Vatertag«. Dabei ist bekanntlich nicht die Vaterschaft das eigentliche Thema, sondern vielmehr das eigene Besäufnis. Wir feiern heute den Himmelfahrtstag. Dabei scheint – zumindest im ersten Moment – der Himmel das eigentliche Thema zu sein. Der von mir ansonsten sehr geschätzte Jude Heinrich Heine hat in seinem »Wintermärchen« mal über den Himmel gesagt:

»Ja, Zuckererbsen für jedermann,
sobald die Schoten platzen.
Den Himmel überlassen wir
den Engeln und den Spatzen«.

Dahinter steckt natürlich eine bittere Ironie: Uns Menschen kann der Himmel egal bleiben. Er geht uns nichts an. Alles fromme Gerede über den Himmel kann uns heutigen Menschen nichts mehr sagen. Und genau das gleiche sagt auch die weit bekannte deutsche Redensart, die in ihrer vornehmen Form lautet: »Himmel, Gesäß und Nähgarn«. Erspart mir an dieser Stelle, die unvornehme Form hinterherzuschicken, ihr kennt sie ja sowieso … Positiv, wirklich gut, kommt der Himmel also weder bei Heinrich Heine noch in der deutschen Redensart weg.

1) Der Tempelbau Salomos

In unserem Predigtabschnitt aus dem Alten Testament ist auch vom Himmel die Rede. Aber erst einmal geht es um ein Ereignis, das ziemlich genau 3.000 Jahre her ist: König Salomo hat in Jerusalem einen Tempel bauen lassen. Einen Tempel, in dem Gott wohnen soll (V.13). Eigentlich wollte das bereits sein Vater David tun. Gott und nicht zuletzt auch sich selbst ein Denkmal setzen. Doch Gott hat´s David verboten. Warum? Weil zu viel Blut an seinen Händen klebte! Er hatte zu viele Kriege geführt. Kriege gegen die Philister, Kriege gegen die Moabiter, Kriege gegen die Aramäer. Gegen die Palästinenser, gegen die Jordanier und gegen die Syrer, würde man heute sagen. Gott sagt deshalb an einer Stelle zu David: „Du sollst meinem Namen keinen Tempel erbauen; denn du bist ein Kriegsmann und hast Blut vergossen.“ (2Chr 28,3). Tempelbau und Kriegsführung schließen sich einander aus, sie vertragen sich nicht. Nicht von ungefähr kommt es, dass die Tora – das Gesetz des Mose – verbietet, den Altar mit eisernen Werkzeugen zu behauen. Sowohl eiserne Werkzeuge als auch eiserne Waffen sind dort, wo es um den Tempelbau Gottes geht, fehl am Platz. Gott will, dass der Tempelberg in Jerusalem ein Ort des Friedens und kein Ort des Gemetzels sein soll. Das lässt sich bis auf den heutigen Tag radikalen Scharfmachern ins Stammbuch schreiben. Leute, die nicht zögern, Blut zu vergießen. Ihnen täte es bestimmt nicht schlecht, wenn sie sich einmal daran erinnern würden, dass Gott dem König David verboten hatte, den Tempel zu bauen, eben weil dieser zu viel Blut vergossen hatte.

Erst Davids Nachkomme, der sagenumwobene König Salomo, durfte dann dieses Bauprojekt in Angriff nehmen. Unmittelbar vor unserem Predigtabschnitt wird im Detail beschrieben, wie das Tempelbauunternehmen vonstatten ging: Der clevere Salomo schloss erst einmal einen Vertrag mit dem ausländischen König Hiram von Tyrus. Dadurch war es ihm möglich, viele herrliche Libanon-Zedern und Zypressen als Baumaterial nach Jerusalem zu schaffen. Die Bibel beschreibt uns, dass eine immense Anzahl von Handwerkern am Tempelbau beteiligt war. Wer´s genau wissen will: 153.300 wird als Gesamtzahl angegeben. Sieben Jahre dauerte dann die Bauzeit. Alles in allem also ein gigantisches Unternehmen. Und nun an diesem Tag ist es soweit. Der Tempel ist fertig. Herausgekommen ist ein wirklich herrliches Gebäude. Mit enorm viel Gold ist es ausgeschmückt. Den ganzen Prunk können wir uns heute gar nicht farbig genug ausmalen. Die ganze Gemeinde hat sich jetzt auf dem riesigen Platz vor dem Tempel eingetroffen. Das Gebäude soll an diesem Tag eingeweiht werden. Salomo, der Bauherr, tritt vor den Brandopferaltar und hebt seine Hände zum Himmel [Gestus nachahmen]. So hat man damals gebetet. Die Gläubigen stellten sich vor, dass der Segen Gottes durch die nach oben gerichteten Hände gleich empfangen wurde. Die Hände, die man nach oben hielt, wurden dabei von der Gotteshand berührt.

2) Salomos Gebet: a) Seine eigene Knechtschaft, b) Gottes Unermesslichkeit und c) die Bitte um Erhörung seines Flehens

Ja, und dann fängt Salomo laut an zu beten. Für alle deutlich hörbar. Keine Geheimnismauschelei wegen irgendwelcher Preisabsprachen, Auftragszuschreibungen oder sonstiger Bestechungen, so wie das auf jeder Großbaustelle heutzutage der Fall ist. Man braucht ja gar nicht erst bis nach Berlin zu fahren, aus der unmittelbaren Umgebung kennen wir´s genauso. – Nein, bei Salomo ist das an diesem Tag der Tempelweihe ganz anders. Er macht seinem Herzen ehrlich Luft, er betet laut und öffentlich und spricht das aus, was ihn schon lange bewegt: »Herr, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Treue deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen.« Das also ist das Verrückte hier: Dem Bauherrn Salomo geht es an diesem Tag nicht darum, dass als erstes eine Stiftertafel an dem Tempel angebracht wird, auf der sein eigener Name geschrieben steht. Er wird gerade nicht größenwahnsinnig. Es geht ihm gerade nicht darum, dass an diesem Tag der Tempelweihe ihm zugejubelt wird. Er will gerade nicht in eitel Ehren im Mittelpunkt stehen. – All solch ein eitles und oftmals zutiefst abstoßendes Gehabe kennen wir nur allzu genau aus unserer Gegenwart. Leider Gottes auch aus der Kirche! – Doch Salomo ist zu klug, als dass er sich selbst und das von ihm erschaffene Bauwerk nun zum Götzen erhebt. Nein, er ist so weise, dass er auch an diesem Jubeltag nicht vergisst, wer der eigentliche Bauherr ist und für wem dieses Haus eigentlich gebaut wurde. Deshalb betet er laut: »Es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich.«

Und dann bezeichnet sich der große König Salomo sogar als Knecht. Liebe Gemeinde, ihr wisst von mir, dass ich nun keinesfalls so fromm-abgehoben bin, dass ich nicht genau wüsste, wie total unmodern so was ist. Niemand würde sich heutzutage freiwillig als Knecht bezeichnen. Die totale Individualisierung, die absolute Freiheit jedes einzelnen ist heute vielmehr der Maßstab aller Dinge. – Liebe Gemeinde, es ist nun aber überhaupt nicht dumm, diese unsere Sichtweise mal mit der Vorstellung der Bibel zu vergleichen. Denn die biblische Sichtweise ist keineswegs unmodern und überholt, sie ist vielmehr erstaunlich nüchtern, viel realistischer als unsere moderne Anschauung von der totalen Freiheit. Den Menschen der Bibel war klar, dass es so was wie »absolute Freiheit«, wie »totale Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung« gar nicht geben kann. Die Menschen damals hatten – im Gegensatz zu uns! – also durchaus die Erkenntnis, dass jeder Mensch abhängig ist. Allein schon an einer Tatsache wird das deutlich, nämlich dass niemand von uns Menschen seine eigene Geburt beeinflussen konnte. Und niemand von uns weiß auch, welche »Schicksalsschläge« einem noch erwarten. Daher waren sich die Menschen damals ganz nüchtern im klaren, dass sie in jedem Fall »Knechte« sind. Nur kommt es jeweils darauf an, wessen Knecht man ist. Und genau das ist tatsächlich das Entscheidende – damals wie heute –: Bin ich nur ein Knecht meiner eigenen Traumvorstellung vom materiellen Reichtum, vom schönen Haus und vom schicken Auto? Bin ich nur ein Knecht meines Chefs, ein sog. »Kriecher oder Schleimer«? Bin ich nur ein Knecht meiner eigenen beruflichen Karriere? – Die Liste ließe sich mühelos fortsetzen. Doch wir wollen jetzt auf das einzig tragbare Gegenmodell kommen. Und dieses Gegenmodell heißt »Knecht Gottes zu sein«. Denn nur dann, wenn wir Knechte Gottes sind, sind wir frei von allen miesen kleinbürgerlichen Knechtereien. Nur wenn wir Knechte Gottes sind, brauchen wir uns nicht mehr von den Abgöttern dieser Zeit irritieren zu lassen, sondern dürfen unser Vertrauen voll und ganz auf Gott setzen. Dann haben wir auch die Garantie, dass wir auf den richtigen Herrn gesetzt haben. Deshalb ist die Rede Salomos, »Knecht Gottes zu sein«, keinesfalls dumm und überholt. Sie ist vielmehr äußerst weise und hochaktuell.

Nun steht der weise König also vor dem frisch vollendeten Tempel; vor dem Gebäude, das er als Wohnstätte für Gott gebaut hat. Und da spricht er dann laut vernehmbar seine Zweifel aus, die ihm in diesem Moment durch seinen Kopf schwirren: »Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde? Siehe, der Himmel und der Himmel der Himmel können dich nicht fassen, wie denn dann dieses Haus, das ich gebaut habe?« Wir müssen uns das einmal ganz konkret vor Augen stellen: Da steht der König vor dem prächtigen Tempel, um ihn einzuweihen. Die ganze Gemeinde hat sich zu diesem feierlichen Anlass eingefunden, viele erwarten nun vom König Ruhmeshymnen: Die einzelnen Sponsoren möchten gerühmt werden, weil sie zum Bau des Tempels mit ihren finanziellen Zuwendungen beigetragen haben. Die einzelnen Handwerkerzünfte möchten gerühmt werden, weil es ihnen so brillant gelungen war, in Jerusalem erstmalig ein Gebäude zu errichten, das nun endlich mit anderen Weltstädten mithalten konnte. Der ausländische König Hiram möchte gerühmt werden, weil er vertragsgetreu für die Heranschaffung des kostbaren Libanonholzes gesorgt hat. Und gerühmt werden soll schließlich auch die Grundidee der ganzen Tempelanlage: Gott hat nun endlich einen würdevollen Wohnsitz auf dieser Erde gefunden. – Aber genau in dieser gespannten, feierlichen Atmosphäre betet Salomo – und wir sollten´s ruhig noch mal hören: »Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde? Siehe, der Himmel und der Himmel der Himmel können dich nicht fassen, wie denn dann dieses Haus, das ich gebaut habe?«

Eine äußerst brisante Frage ist das: »Wie denn dann dieses Haus, das ich gebaut habe?« Damit stellt der König im Grunde den ganzen Zweck des gewaltigen Tempelbauunternehmens in Frage. Es muss für die Fest-Gemeinde ein immenser Schock gewesen sein, der ihr durch die Knochen fuhr: »Siehe, der Himmel und der Himmel der Himmel können dich nicht fassen.« Denn das heißt doch ganz konkret: Gott lässt sich nicht in vier Wände einsperren. Salomo spricht dann sogar davon, dass noch nicht einmal »der Himmel der Himmel« Gott fassen kann. Darunter können wir uns heutzutage noch viel mehr vorstellen. Die unbeschreibliche Weite des Weltalls ist uns ja erst durch die moderne Naturwissenschaft klar geworden. Doch die Kernaussage des Salomo ist bis heute unumstößlich wahr geblieben: Nicht das Weltall umfasst Gott, sondern Gott umfasst vielmehr das Weltall. Das sagt Salomo nun aber gerade nicht, um den Gläubigen mit einem gigantischen »Horror-Gott« zu drohen. Ganz im Gegenteil: Weil Gott das Weltall trägt, können wir uns in jeder Beziehung auch auf seine Güte verlassen. Und weil Gott sich nicht in vier Wände einsperren lässt, können wir sicher sein, dass er auch dort ist, wo wir ihn brauchen.

Ein letzter Punkt gehört zum »Tempelweihgebet Salomos« – wie´s genannt wird – noch dazu: Der König betet nämlich: »Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, Herr, mein Gott, damit du hörest das Jubelrufen und das Gebet deines Knechts heute vor dir.« Nicht zufällig steht der große König Salomo hier vor Gott als Bittender. Er ist ganz klein, weiß genau, dass er auf Gott angewiesen bleibt, so protzig der Tempel auch gelungen ist. – Auch wenn der Tempel also offensichtlich niemals in der Lage ist, Gott »einzusperren«, auch wenn »der Himmel der Himmel« Gott nicht fassen kann, Salomo ist sich sicher, dass wir Menschen zu diesem unbegreiflichen Gott beten sollen. Gott einschalten sollen in unser Leben mit dem Gebet. Nicht nur sonntags hier in den Gottesdiensten, sondern auch zu Hause in unserem Alltag. – Eine Beobachtung noch hierzu: Bevor Salomo Gott seine eigentlichen Gebetsanliegen mitteilt (VV.29f), fordert er Gott auf, sein Jubeln doch bitte wahrzunehmen. Das ist wirklich interessant: Salomo ist sich sicher, dass Gott von uns nicht immer nur Bitten hören will. Gott will vielmehr genauso unsere Freude teilen. Das können wir für unsere eigenen Gebete von diesem weisen König also durchaus lernen.

3) Jesu Himmelfahrt

Aber was hat das nun alles mit unserem Himmelfahrtsfest zu tun? Mit diesem merkwürdigen Fest, das heute in unserer scheinbar so aufgeklärten Gesellschaft weithin nur Kopfschütteln auslöst: Jesus, der nicht wie die übrigen Menschen gestorben ist und herkömmlich begraben wurde. Sondern von Gott auferweckt wurde und als Auferstandener dann zu Gott in den Himmel gefahren ist, so wie wir das vorhin in der Epistel und im Evangelium gehört haben. Und wir dürfen ruhig einmal auch die Frage stellen: Haben wir überhaupt einen Grund, Jesu Weggehen von der Erde zu feiern? Wäre es nicht viel angebrachter, über seine Himmelfahrt zu trauern, eben weil er sich dadurch von uns entfernt hat? Also weg mit den weißen Paramenten, ran mit den violetten oder noch besser gleich schwarzen? So müssten wir tatsächlich entscheiden, wenn Jesus sich mit seiner Himmelfahrt wirklich »aus dem Staub gemacht« hätte. Dann hätten wir weiß Gott keinen Grund, heute zu feiern.

Doch eins können wir aus dem Gebet des Salomo lernen: Wenn Jesus in den Himmel aufgefahren ist, obwohl »der Himmel der Himmel« Gott nicht fassen kann, dann heißt das gerade nicht, dass Jesus endgültig verschwunden ist. Liebe Gemeinde, lasst es mich einmal etwas zuspitzen: Jesus ist uns durch die Himmelfahrt nicht abhanden gekommen, nicht »durch die Lappen gegangen«, wie man es flapsig sagen könnte. Nein, im Gegenteil: Jesus ist uns durch seine Himmelfahrt erst wirklich zugänglich geworden. Deshalb, weil er nun nicht mehr nur an einem Punkt der Erde ist, können wir ihn anrufen, wo immer wir auch sind. Genauso wie das mit seinem Vater der Fall ist, so wie uns das Salomo vorbetet! Das eigentliche Thema des heutigen Festes ist demnach gar nicht der Himmel. Das eigentliche Thema heißt vielmehr, dass wir Jesus einschalten können in unsere Gebete, in unser Flehen und in unsere Freude.

Der Himmelfahrtstag ist also viel zu schade, als dass man daraus einen sog. »Vatertag« macht, um sich bereits vormittags zu besaufen. Wir sollten auch auf keinen Fall den Himmel den Spatzen überlassen, so wie Heinrich Heine das vorschlägt. Ganz im Gegenteil: Der Himmelfahrtstag macht deutlich, dass Jesus uns nun überall und immer zugänglich geworden ist. Ein echter Grund, heute zu feiern! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.
Das Bild zeigt Dr. Peter Söllner, Pastor der Concordia-Gemeinde Celle Foto: Privat


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