Der Puppendoktor auf Abschiedstour

von Thorsten Raedlein




Wolfenbüttel. Inge ist krank. Sie braucht neue Gummis, ein neues Bein und eine neue Stimme. "Das kriegen wir schon wieder hin", tröstet Günter Geier die Puppenmutti. Mit ihren 70 Jahren sieht Inge (sie stammt von der Schildkröt-Puppenfabrik) sonst aber noch ganz gut aus. "Die Augen öle ich etwas, dann klimpern sie wieder", sagt der Puppendoktor. Bis Samstag hat er seine Praxis im FORUM in Wolfenbüttel (Eingang über Center-Management auf dem Parkdeck) aufgebaut.

Bis dahin wird Inge wieder gesund gepflegt. Zwischen 50 und 200 Euro sind die alten Puppen sogar noch wert. Sammlerstücke sind sie. Puppen in dieser Qualität werden heute gar nicht mehr hergestellt. "Alles billiges Plastik, zum Teil auch gesundheitsgefährlich", schimpft Geier. Der 73-jährige "Dr. med. pup." ist nach fast 54 Jahren Dienstzeit auf Abschiedstour durch Deutschland und Österreich. "Ende des Jahres werde ich aufhören", kündigt er an. Seine eigene Gesundheit spielt nicht mehr mit. Beim Urlaub im Sommer in Kroatien machte sein Herz nicht mehr mit. Mit dem Taxi ließ er sich zurück nach Deutschland fahren, hier stellten die Ärzte einen 99-prozentigen Verschluss seiner Halsaterie. "Da hat nicht viel gefehlt, für mich war der Tag der gelungenen Operation ein zweiter Geburtstag", sagt er. Und ein Ereignis, dass ihn umdenken lässt. Seine Frau, Fotografin und 20 Jahre jünger, brauche ihn schließlich noch eine Zeit lang.…

Im Durchschnitt werden in jeder Stadt 150 Puppen und Teddybären zu ihm gebracht. Früher gab es ja fast in jeder größeren Stadt einen Puppendoktor – auch Wolfenbüttel hatte einen in der Harzstraße – die Zeiten seien aber längst vorbei. Es bringen vor allem Ältere ihre Puppen. Auch wenn sie durch Krieg und Flucht alles zurücklassen mussten, die Puppen haben sie gerettet. Man merkt das auch an der Art, wie sie ihre Puppen in die Sprechstunde bringen: Die sind ganz liebevoll in Decken eingewickelt. Die Puppe ist dann ein Stück Erinnerung an die alte Heimat; eine Erinnerung, die er erhalten möchte. Viel kostet seine Dienstleistung nicht. Stimme acht Euro, Gummis komplett 16 Euro, Ersatzbein 18 Euro. Keine großen Summen.

Die Gummis, die Arme und Beine zusammenhalten, werden mit der Zeit spröde oder leiern aus. Außerdem hat so mancher beim Spielen der Puppe die Augen eingedrückt oder der Teddybär hat ihre Stimme verloren. Das lässt sich alles reparieren. "Ich bin mit vollem Kofferraum gekommen: 15000 Teile. Meine Frau und ich nähen und häkeln zudem Puppenkleider", plaudert der Bamberger aus dem Nähkästchen. Gern würde er sein Wissen noch weitergeben, doch einen Nachfolger hat er trotz langer Suche bis heute nicht gefunden. Die Hoffnung gibt er aber immer noch nicht auf. "Wenn sich noch jemand findet, kann ich ihn daheim ausbilden." Für die Ausbildung brauche man keine Vorkenntnisse. Ein sechsmonatiges Praktikum würde genügen. Er selbst habe damals eine Schneiderlehre gemacht, ehe er neun Monate bei einem Puppendoktor hospitierte und sich im Anschluss selbstständig machte.

Man merkt, der Abschied fällt ihm schwer. Die Puppen werden ihm fehlen – und er den Puppen.


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