Wolfenbüttel. Dietmar Dolle als unermüdlicher Heimatforscher zeigt augenblicklich seine Ausstellung zum Thema „Die Köte im Fümmelser Wald“. Diese Köte ist vom Auto aus auf der Anhöhe vor der Autobahn-Auffahrt Wolfenbüttel-West zwischen den Bäumen zu erkennen. Die Ausstellung ist im Schaufenster der Aktionsgemeinschaft Altstadt Wolfenbüttel bis Ende März noch zu sehen.
Was ist eine Köte?
Köte beziehungsweise Köthe ist eine alte Bezeichnung für ein einzelnes einfaches Gebäude bzw. eine Hütte. Regional unterschiedlich waren dafür Begriffe wie Kot, Kote, Kotten, Kate, Katte, Katten, Koth, Kothe, Köth, Köthe, Köthen oder Kathe gebräuchlich. Meist handelte es sich um ein schlichtes, kleines, aus einem oder nur wenigen Räumen bestehendes und nur in einem Geschoß erstelltes Gebäude. Der Fachwerkbau mit Flechtwerk und Lehmputz wandelte sich in Norddeutschland im 19. Jahrhundert hin zur Ziegelhütte. Außerhalb der Dörfer gelegene Köthen wurden zum Beispiel durch Wegewärter, als Zollstellen usw. genutzt. In Wäldern dienten sie ab dem 19. Jahrhundert als Jagdhütten, Waldarbeitern in Arbeitspausen und Wanderern zur Rast und Bewirtung. Derartige Köthen befinden bzw. befanden sich zumindest in Forsten der 1974 nach Wolfenbüttel eingemeindeten Dörfer Fümmelse, Halchter, Leinde, Salzdahlum und Adersheim.
Die Fümmelser Köte
Eine Fümmelser Köte wurde 1858 nahe des Gasthauses Waldhaus erbaut, das seinerzeit noch auf Fümmelser Gebiet lag, inzwischen aber lange zu Wolfenbüttel gehört. In den 1870er-Jahren lebte in Wolfenbüttel eine kleine Schar von Oderläufern, die bei günstigem Wetter durch den Wald wanderten. Ihr Ziel war stets die alte Köte. Beim Kötenwirt, dem Original Vater Gödicke, der Fümmelser Forstwirt war, fanden die Wanderer Unterschlupf und Bewirtung bei Bier, Schnaps, einem Stück Mettwurst oder Dorfkäse, wenn sie zu seinen Günstlingen zählten. Andernfalls wurden sie schon mal vor die Tür gesetzt.
Die Oderläufer blieben ihrer Köte auch treu, als diese 1879 von den Fümmelser Forstinteressenten „aus Nützlichkeitsgründen“ dort neu errichtet wurde, wo sie heute noch steht: in Verlängerung der Adersheimer Straße wenige hundert Meter hinter der jetzigen Stadtgrenze von Wolfenbüttel linksseitig im Fümmelser Holz. Ein als Türsturz eingemauerter Stein mit der Jahreszahl 1858 hält die Erinnerung an die Vorgängerhütte fest. Bei ihren Besuchen in der Köte wurden die Oderläufer mit den Fümmelser Forstinteressenten und Köteneignern näher bekannt, woraus freundschaftliche Bindungen entstanden, an denen unter anderem die Fümmelser Landwirte Diederich, Herrmann und Wilhelm Eggeling, Giffhorn, Hanne, Helms und auch der Ortspastor Bundfeld beteiligt waren. Bei den geselligen und manchmal feucht-fröhlichen Zusammenkünften in der Köte nahm die Polizei mehrmals daran Anstoß, dass dort Alkohol ohne Konzession ausgeschenkt wurde. Auf Vorschlag des herzoglichen Kreisdirektors Cleve gründeten die Betroffenen daher einen Verein, um die Getränke in der Hütte auf Vereinsrechnung einzulagern. Dadurch konnte ihnen die Polizei nichts mehr anhaben.
1895 wurde der „Waldhaus-Club“ gegründet
[image=135744 alignleft]In langen Sitzungen wurde eine Satzung mit 15 Paragrafen ausgearbeitet und am 9. Juli 1895 der Waldhaus-Klub gegründet. Der fünfköpfige Vorstand bestand aus dem Vorsitzenden Fritz Bleßmann, dem Schriftführer Thies, dem Kassierer Schuhmachermeister Theodor Zimmermann (sämtlich aus Wolfenbüttel) und den zwei Einsitzern (Beisitzer) H. Wasmus und J. Eggeling als Vertreter der Fümmelser Forstinteressentschaft. Der Monatsbeitrag von 10 Pfennigen musste für ein Vierteljahr im Voraus entrichtet werden. Lagerhalter wurde der Hütten- und Forstwart Gödicke und nach dessen Tod sein beliebter Nachfolger Schaare.
Mitglieder oder Freunde des Waldhaus-Club beziehungsweise des Vorläufers Oderläufer waren unter anderem die bekannten und geachteten Wolfenbütteler Bürger Stadtkämmerer Gustav Thies, Juwelier Heinze, Buchhändler Fritz Roloff, Stadtwerke-Prokurist Rudi Lindemann, Feilschlachter Max Röber und Mühlenbesitzer Otto Krüger, daneben auch mehrere Angehörige des Herzoglichen Lehrerseminars (jetzige Schule am Robert-Everlien-Platz), unter anderem Ferdinand Saffe, und Lehrer der 1. Bürgerschule (Schule Wallstraße), der Vorsitzende Fritz Bleßmann und der Kantor und Komponist Gustav Bergenroth.
Die Ansichtskarte Gruß von der Fümmelser Köte zeigt acht bärtige und behütete Herren, die sich neben der Hütte aufhalten und zum Teil Bier trinken. Der Brennholzhaufen hinter ihnen lässt auf einen in der Hütte vorhandenen Herd oder Ofen schließen. Absender der am 13 Juni 1900 geschriebenen Karte ist der bereits genannte G. (= Gustav) Bergenroth und vermutlich seine Ehefrau Marie. Auf einer weiteren, am 13. Juni 1910 abgestempelten Ansichtskarte haben sich 27 einheitlich dunkel gekleidete Herren in drei Reihen an der Gastwirtschaft Waldhaus für ein Gruppenfoto des Waldhaus Club Wolfenbüttel stehend bzw. sitzend zusammengefunden. Auf einem Tisch befinden sich einige Vereinsutensilien und dahinter das Vereinsbanner.
Nicht nur aufgrund der Namensgebung des Vereins sondern auch, weil die Fümmelser Kötze auf einer Lithografie des Restaurant zum Waldhaus (Poststempel: 19. Juni 1902) mit abgebildet ist, dürfte eine Verbindung zwischen beiden Objekten bestanden haben. Unter der Köthe steht in Klammern gesetzt: Wild Fütterung. Darauf wartet wohl das eingezeichnete Reh. Der Unternehmer Curd Mast stiftete 1921 ein Album, in dem auf 40 Seiten die Geschichte des Waldhaus-Klubs von der Gründung 1895 bis zum 25jährigen Stiftungsfest im Jahr 1920 eingeschrieben wurde. Die erste von Ferdinand Saffe kunstvoll angelegte Innenseite enthält eine Federzeichnung von der schlichten, fast primitiv zu nennenden steinernen Hütte mit einfachem Tisch und lehnloser Bank. Der Verbleib der Chronik ist derzeit unbekannt.
Polizei-Schnüffeleien satt gehabt
Der Zeitungsartikel, aus dem hier mehrfach zitiert wurde, war überschrieben mit: Darum gründeten Oderläufer den Waldhaus-Klub: Man war die Polizeischnüffelei einfach satt. So ausführlich die Quellenlage bis zum Jahr 1920 ist, reißt sie danach sowohl hinsichtlich des Clubs als auch der weiteren Nutzung der Hütte abrupt ab. Bereits schon auf Landkarten von Wolfenbüttel und Umgebung von 1899/1901 und 1953 ist sie als Jagdhütte eingetragen. Die Köthe gehört der Genossenschaft Forst Fümmelse und dient dem zeitweiligen Aufenthalt von Waldarbeitern und bei Jagdanlässen. Makaber und traurig ist, dass sich an der Hütte zwei Personen erhängt haben sollen.
Die Fümmelser Köthe ist massiv erbaut, zirka 5,45 Meter lang, etwa vier Meter breit und mit Dachziegeln gedeckt. Als Türsturz über dem Eingang dient ein 1,20 Meter langer und 20 Zentimeter hoher Stein mit der Inschrift G Fümmelse 1858 (zur Erinnerung an das Vorgängergebäude). Der spärlich mit einigen Sitzgelegenheiten pp. ausgestattete Innenraum wird mit Holz beheizt und mit Gas beleuchtet. Strom, Wasser und Toilette sind nicht vorhanden. Unter einer Kellerluke werden Vorräte gelagert. An den Seitenwänden befindet sich jeweils ein Fenster und eine Dachluke im rückwärtigen Giebel. Auf der Ansichtskarte von 1900 sieht man vor der Köthe einen Bretterverschlag, inzwischen ersetzt durch eine vier Meter breite und gut 2,50 Meter lange Veranda aus Holz mit je einer Holzbank links- und rechtsseitig. Dieser in der Höhe etwas abgesetzte Vorbau ist ebenfalls mit Ziegeln gedeckt.
Die Halchterschen Köthen
Auf einer Landkarte des 19. Jahrhundert mit dem halchterschen Forstanteil ist im nordöst-lichen Zipfel des Oder das Köthenholz eingetragen. Dort wurde etwa ebenfalls in dieser Zeit, näheres ist unbekannt, eine Hütte mit Schankwirtschaft erbaut, denn der Oder war und ist ein beliebter Ausflugsort. Die Köthe befand sich an der jetzt von Halchter nach Adersheim am Oder vorbeiführenden Straße (ehemals Alter Holzweg) und zwar nahe am Waldrand etwa mittig zwischen der bereits damals schon vorhandenen Feldscheune und dem jetzt einige hundert Meter westlich gelegenen Parkplatz
Auf der am 21. November 1912 abgestempelten Ansichtskarte Gruß von der Halchter'schen Köthe ist das kleine Gebäude am Waldrand gut zu erkennen. Es ist mit Ziegeln gedeckt und hat einen Schornstein sowie einen kleinen Vorbau mit dem über dem Eingang angebrachten scherzhaften Namen Hotel StHubertus. Linksseitig stehen mehrere Holztische und -bänke. Rechtsseitig hat sich eine mit einer Pferdekutsche angereiste Gruppe nieder gelassen und trinkt gezapftes Bier. Auf der Rückseite der Karte ist vermerkt, dass es sich bei dem Besitzer der Köthe um den Halchterschen Gastwirt Heinrich Heinemann handelt, einen Vorgänger des jetzigen griechischen Restaurant.
Später rentierte sich der Betrieb nicht mehr, so dass die Hütte geschlossen wurde. Ein Antrag des halchterschen Gastwirts Fricke vom 18. August 1931 auf Genehmigung der Schankwirtschaft für die Köte wurde abgelehnt. Auf einem Foto, datiert vermutlich mit 22. Februar 1934, steht der damalige Förster Alfred Basse vor der Halchterschen Köthe. Auf Landkarten von Wolfenbüttel und Umgebung von 1899/1901 und 1953/1954 ist sie als Jagdhütte eingetragen. Sie wurde etwa Ende der 1950er-Jahre abgerissen. Auf der vorbezeichneten Landkarte von Wolfenbüttel von 1899/1901 befindet sich in der Halchterschen Forst einige hundert Meter weiter südlich noch eine weitere Jagdhütte direkt am östlichen Waldrand, auf den der jetzige Neuer Holzweg zuläuft, jedoch nicht mehr auf weiteren Karten von 1903 und von 1953/1954. Über diese zweite Hütte liegen derzeit keine ergänzenden Informationen vor. Sie ist auch älteren Einwohnern von Halchter nicht mehr bekannt.
Weitere Ortsteil-Köthen rund um Wolfenbüttel
Neben den Köthen von Fümmelse und Halchter sind oder waren noch drei weitere bekannt, die zu Wolfenbütteler Ortsteilen gehör(t)en. Über sie liegen jedoch noch keine umfassenden Erkenntnisse vor, so dass sie hier nur kurz erwähnt werden sollen und lediglich auf zeitgenössischen Landkarten ihre (ehemalige) Lage dargestellt wird. Existent ist noch die Adersheimer Köthe. Sie befindet sich im nordwestlichen Teil des Oder im Adersheimer Genossenschaftsforst und wird auf einer Landkarte von 1964 als Schuppen bezeichnet. In Größe und Bauart ist sie in etwa mit der Fümmelser Köthe vergleichbar.
Die Leinder Köthe befand sich im nordwestlichen Teil des Oder im Leinder Genossenschaftsforst und wurde auf der Landkarte von 1964 ebenfalls als Schuppen bezeichnet. Nach Angaben einer älteren Leinder Einwohnerin soll sie aber bis zum 2. Weltkrieg sehr verfallen gewesen sein, so dass sich Dorfbewohner kurz nach dem Krieg die Ziegel und Balken als Baumaterial geholt und das Gebäude völlig abgetragen haben sollen.
Im Niederdahlumer Forst des Lechlumer Holz stand die Salzdahlumer Köthe am östlichen Waldrand. Größe, Bauart und Nutzung entsprach etwa den anderen bekannten Köthen. Zumindest bis zum I. Weltkrieg gab es darin bzw. davor gemütliche Zusammenkünfte mit Bierausschank. Am 15. Mai jeden Jahres war die Köthe Treffpunkt für die Bockjagd. Über einen Schlüssel verfügten nur die Jäger. Auf Landkarten von der Umgebung von Wolfenbüttel von 1903 und 1954 ist sie als Jagdhütte eingetragen. Die Salzdahlumer Chronik enthält drei ältere Fotos von gemütlichen Zusammenkünften an der jetzt – bis auf wenige verbliebene Grundsteine - nicht mehr vorhandenen Hütte.
mehr News aus Wolfenbüttel