Ein Leben, das für zwei reicht

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Wolfenbüttel. Er ist ein fester Teil der Wolfenbütteler Gemeinschaft, er engagiert sich für seine Mitmenschen und Freunde. Antonio Dionga kam vor 15 Jahren aus Angola nach Deutschland – seine lange Reise war keine Entdeckungstour über den Globus, es war die Flucht vor einem korrupten, gewalttätigen Militär-Regime. Heute ist der Wolfenbütteler selbst aktiver Menschenrechtler, setzt sich für Flüchtlinge ein und plädiert für eine offene, hilfsbereite und menschliche Gesellschaft.

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Der heutige Landschaftsgärtner studierte einst Innenarchitektur in Cabinda. Foto: Sina Rühland



Man sieht ihm seine Geschichte nicht an. Antonio Dionga wirkt aktiv, integriert und stets gut gelaunt. Dass seine Reise und die seiner Kinder nun in Wolfenbüttel ein Ende gefunden hat, konnte er zu Beginn seiner Flucht im Jahr 1998 noch nicht wissen. Antonio ist in Zentralafrika aufgewachsen und später nach Necuto, Cabinda, gezogen, eine Exklave des afrikanischen Staats Angola. Als sein Vater eines Tages, es war der 22. August 1998, von Militärs erschossen wurde, änderte sich das Leben des heute 44-Jährigen und seiner Familie abrupt: „Mein Vater war Bürgermeister und Geschäftsmann in Necutu. Da er der Gewalt abgeschworen hatte und sich nicht der herrschenden Korruption beugen wollte, verlor er sein Leben“, erzählt Antonio. Das Leben in Cabinda sei ein anderes als das in Deutschland: „Es ist gefährlich dort. In Deutschland gibt es Demokratie – das ist in Cabinda ganz anders.“

Auf der Flucht vor Gewalt


Von jetzt auf gleich musste der Familienvater seinen Wohnort verlassen. Er tauchte unter, nahm einen anderen Namen an, erhielt einen falschen Pass und eine neue Wohnung. Ein Freund half ihm dabei. „In Cabinda zu bleiben hätte auch für mich und meine Familie den Tod bedeutet“, sagt er. Er fing an für ein Telefonunternehmen in Angola zu arbeiten und Geld zu verdienen; wägte sich vorerst in Sicherheit. Bis eines Tages drei Soldaten kamen. „Sie packten mich, steckten mich ins Auto und brachten mich in ein Gefängnis nach Luanda. Dort kam ich dann, ohne wirklich zu wissen weshalb, 16 Tage in Untersuchungshaft."

Sie wollten wissen, wer er wirklich war. Um diese Information aus ihm herauszubekommen, musste Antonio Misshandlungen erleiden, die ihm Angst machten sterben zu müssen. „Es war Folter. Doch ich hatte noch mehr Angst zu sterben, wenn ich sagte, wer ich bin. Darum schwieg ich.“ Man ließ ihn unbekleidet in einer vier Quadratmeter großen Zelle auf dem Boden liegen. Antonio wurde Opfer von grausamer und menschenverachtender Gewalt. Sein Körper ist bis heute Zeuge dieser Tage. Ein Arzt hat später seinen Zustand dokumentiert.

Freigekauft


„Ich kam nur aus dem Gefängnis, weil ich von einer Menschenrechtsorganisation, die davon erfuhr, freigekauft wurde. Wer Geld hat, der hat in diesem Teil Afrikas auch Recht“, sagt er. Nachdem er entlassen war, wurde ihm gesagt, dass er komplett aus Angola verschwinden müsse. Es führte ihn zunächst nach Namibia, dort besorgte er sich ein Ticket nach Frankfurt, um dann weiter nach Frankreich zu fliegen – dort lag sein Ziel, dort hatte er Bekannte, dort verstand er die Sprache. Doch es sollte alles anders kommen.


Für seine Flucht brauchte Antonio erneut einen falschen Pass. Mit diesem in der Hand fand er einen Piloten, der sich bereit erklärte, ihn mit nach Deutschland zu nehmen. Seine Frau und seine Kinder wollte er nachholen, wenn er Asyl beantragt hätte. In Frankfurt angekommen wurde Antonio von den Sicherheitsbeamten festgehalten – sein Pass war verdächtig. „Ich lebte zwei Wochen auf dem Flughafen; musste abwarten, wie die Entscheidung ausfällt. Darf ich weiter, oder nicht?“, erzählt er. Nach aufwendigen Recherchen und Befragungen über seine wahre Identität und Geschichte durch die Beamten war klar: Antonio sollte erst mal in Deutschland bleiben. Man fragte ihn, in welche Stadt er wolle: „Mir war nur eines wichtig: es sollte ein Ort sein, an dem Christen wohnen.“ So fiel die Wahl auf Wolfenbüttel.



Neue Heimat in Wolfenbüttel


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Bürgermeister Thomas Pink und Antonia Dionga beim Tag der Begegnungen. Foto: privat



Eine 13-jährige zermürbende bürokratische Prozedur um das Recht in Deutschland bleiben und arbeiten zu dürfen hatte begonnen; der rechtliche Kampf gegen Bundesbeauftragte, die ihn nicht in diesem Land haben wollten. Die ihm nicht glaubten, die ihm aus seiner Einreise mit einem falschen Pass einen Strick drehen wollten. Großes Asyl, Androhung von Abschiebung, Duldung. Bergeweise Akten resultieren heute aus dem Verfahren, zeigen Ungereimtheiten und Verfahrensfehler seitens der Behörden. “Alles, was ich damals wollte, war hier arbeiten zu können und mit meiner Familie in Sicherheit zu sein“, sagt er. Im Kongo hatte Antonio nach dem Abitur das Studium der Innenarchitektur abgeschlossen – anerkannt wurde es in Deutschland nicht. „Ich durfte damals nicht für Geld arbeiten, also fing ich an ehrenamtlich zu helfen. Ich pflegte alte Menschen, kümmerte mich um die Gärten und machte Musik.“

Nachdem er sich einigermaßen in Wolfenbüttel zurecht gefunden hatte, holte Antonio seine Frau und die Kinder 2001 zu sich nach Deutschland. Er war erleichtert – es ging ihnen gut. Doch noch während des jahrelang andauernden Bleiberechtsverfahrens – ihm wurde das große Asyl zwischenzeitlich wieder aberkannt – wurde seine Frau immer schwächer. Sie litt an einer chronischen Nierenkrankheit. Mit den Jahren wurde sie immer blasser, musste irgendwann täglich an ein Dialyse-Gerät. Dazu kam die Sorge, nicht zu wissen, ob die Familie dauerhaft in Deutschland bleiben dürfe. Nsesani Panzo-Dionga starb 2011 im Alter von 39 Jahren. Zurückgeblieben sind ihre drei Kinder und ihr Mann Antonio.

Unterstützung durch Mitmenschen


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Afrikanische Klänge im Schloss-Innenhof. Foto: privat



Antonios Frau hat den positiven Ausgang um den dauerhaften Wohnort ihrer Familie nicht mehr miterleben dürfen. Die Diongas können bleiben. Eine ganze Stadt hat sich für die Familie und ihr Recht auf Schutz eingesetzt, 2013 hat Antonio Dionga die unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten. Er arbeitet seit einigen Jahren festangestellt als Landschaftsgärtner bei den Städtischen Betrieben in Wolfenbüttel. "Ich bin allen, die mir geholfen haben, so dankbar. Viele Menschen aus Politik, Kirche und anderen Organisationen standen hinter mir. Sie waren zu jeder Tages- und Nachtzeit für uns da, wenn ich nicht wusste, wie es weiter gehen soll. Und ich bin unglaublich stolz auf meine Kinder." Während Antonio diese ihm so wichtigen Menschen aufzählt, kann man erahnen, wie dankbar er wirklich ist. Es ist ergreifend. Für die Zukunft wünsche er sich, dass es seinen Kindern immer gut gehe. Er würde seine Mutter gerne mal wieder besuchen, die er seit seiner Flucht 1998 nicht mehr gesehen hat. Antonio Dionga engagiert sich mittlerweile für Asylsuchende in Deutschland, teilt seine Erfahrungen und seine Geschichte. Er hat eine internationale Menschenrechtsinitiative mit dem Namen "Human Rights and Peace for Cabinda (HRPC)" gegründet und unterstützt Asylsuchende, die eine ähnliche Geschichte vor sich haben. Antonios nächstes Ziel ist die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten.

Anmerkung der Autorin:

Noch vor kurzem wies die Organisation Human Rights Watch auf Menschenrechtsverletzungen durch das angolanische Militär in Cabinda hin. Der Bericht erzählt von Folter und illegalen Festnahmen vermeintlicher Rebellen. Antonio Diongas Geschichte ist kein Einzelfall; es gibt weltweit unzählige Staaten, die täglich die geltenden Menschenrechte missachten. Staaten, wo Gewalt, Angst und Geld den Alltag bestimmen. Aus Respekt vor Antonios Persönlichkeitsrechten, habe ich darauf verzichtet, detailgetreue Angaben zu den Foltermethoden zu machen. Ich bin voller Bewunderung für die Stärke und das Gottvertrauen dieses Mannes; voller Bewunderung darüber, dass jemand mit einer solchen Lebensgeschichte seinen Glauben in das Gute im Menschen nicht verloren hat. sr


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