Flucht nach Wolfenbüttel: Das Hoffen in Deutschland

von Jan Borner


Ali Hmedi hat deutsche Vokabeln und Grammatik-Tabellen an seine Tür geklebt, um auch Zuhause immer lernen zu können. Fotos: Jan Borner
Ali Hmedi hat deutsche Vokabeln und Grammatik-Tabellen an seine Tür geklebt, um auch Zuhause immer lernen zu können. Fotos: Jan Borner | Foto: Jan Borner



In unserem Mehrteiler “Flucht nach Wolfenbüttel”, erzählen wir die dramatische Geschichte der syrischen Familie Hmedi, die vor dem Bürgerkrieg und den Gewalttaten des Islamischen Staates in ihrem Land floh, von ihrer Erfahrung mit Schleusern und ihrem Leben als Flüchtlinge in Wolfenbüttel. Heute: Teil 3.

Im Wald


Knapp 400000 Euro zahlte Ali Hmedi um von Schleusern von der Türkei bis nach Deutschland gebracht zu werden. Statt wie abgemacht, hinter der bulgarischen Grenze mit Autos abgeholt zu werden, wurden er und seine Familie mit einem Schlauchboot transportiert, bis der Schleuser, ihnen sagte, sie sollten das Boot verlassen und plötzlich mit allem verschwand, was sie bei sich hatten. Ohne zu wissen, wo sie waren und wo sie hin mussten und mit der Angst entdeckt und zurückgeschickt zu werden, stand die Familie nun völlig alleine in einem riesigen Waldgebiet. 10 Stunden lang, von 18 Uhr am Abend bis 4 Uhr am frühen Morgen, irrte die Familie durch den dunklen Wald, hungrig und ohne jede Orientierung. "Wir hatten so eine Angst" erklärte Ali Hmedi, "irgendwann war die Angst größer, als die, von der Polizei entdeckt zu werden. Wir haben uns sogar gewünscht gefunden zu werden." Ali Hmedi wollte der hilflosen Situation im Wald ein Ende bereiten. Mit einem Feuer machte er auf sich aufmerksam und lockte so schließlich in den frühen Morgenstunden die Polizei zu sich.

Die bulgarische Polizei


<a href= Ali Hmedi floh samt Familie vor dem Bürgerkrieg und den Gewalttaten des ISIS in seinem Land.">
Ali Hmedi floh samt Familie vor dem Bürgerkrieg und den Gewalttaten des ISIS in seinem Land. Foto: Jan Borner



Ali Hmedi zog plötzlich seine Arme in die Höhe. Er machte vor, wie er reagierte, als die Polizei ihn und seine Familie gefunden hatte. "Sie haben ihre Waffen auf uns gerichtet und dann haben sie uns untersucht. Nach ein paar Stunden haben sie uns dann endlich mitgenommen." In der Polizeistation habe Ali Hmedi sich dann vor allen Leuten ausziehen müssen. Er sei wie ein Verbrecher behandelt, ausgelacht und gedemütigt worden, bevor die Familie schließlich nach Geschlechtern getrennt in kleine Zellen eingesperrt wurden. Sie wussten nicht warum und auch nicht wie lange sie festgehalten werden sollten. Insgesamt 35 Tage verbrachte die Familie in 3 verschiedenen Gefängnissen, warum wissen sie bis heute nicht. Bevor sie endlich freigelassen wurden, mussten alle ihre Fingerabdrücke abgeben und bekamen dafür Papiere, mit denen sie sich in der Hauptstadt Sofia aufhalten durften.

Das Leben in Sofia


Wie alle Asylanten in Sofia wurde Ali Hmedis Familie in Containern untergebracht. Der Mediziner beschrieb die Lebensbedingungen mehrfach als unmenschlich. Vom bulgarischen Staat habe es keinerlei finanzielle Unterstützung gegeben und die Wohnsituation war kaum erträglich. Mit der finanziellen Hilfe seines Bruders, der mittlerweile in Großbritannien lebte und von seiner Situation hörte, konnte Ali Hmedi für seine Familie eine kleine Wohnung mieten. Dennoch blieben die Lebensumstände mehr als bedrückend. Viele Menschen in Bulgarien seien Ihnen und anderen Flüchtlingen gegenüber sehr unfreundlich gewesen. Sie wurden beleidigt und es kam sogar vor, dass den Frauen die Kopftücher weggerissen wurden. Aus Angst trauten sie sich irgendwann kaum noch vor die Tür und Ali Hmedi entschied schließlich seine Töchter zurück in die Türkei zu schicken. Seine Schwester hatte es nämlich zu dem Zeitpunkt bis nach Istanbul geschafft und konnte den Mädchen Unterschlupf geben. Er selbst entschied sich aber weiter dafür zu kämpfen, bis nach Deutschland zu kommen, um seine Töchter dann nachzuholen. Nachdem er ein zweites Mal von den Behörden dazu gedrängt wurde, seine Fingerabdrücke abzugeben, da ihm ansonsten wieder das Gefängnis drohte, suchte er den Kontakt zu einem Schleuser, um Bulgarien zu verlassen und endlich dahin zu kommen, wo er hoffte ein sicheres, neues Leben beginnen zu können. Über Bulgarien fügte er dann noch hinzu: "Das war der Alptraum. Das hat mit Europa nichts zu tun."

Ankunft in Deutschland


Über Rumänien, Ungarn und Österreich kam Ali Hmedi nach 48 Stunden Fahrt endlich in Deutschland an. In Dortmund stellte er seinen Asylantrag, wurde zuerst in Friedland bei Göttingen untergebracht und nach zwei Wochen schließlich in Wolfenbüttel. Vom Landkreis bekam er hier eine kleine, einfach möblierte Wohnung gestellt, genau so wie drei Mahlzeiten pro Tag und etwas Taschengeld. Genug, um über die Runden zu kommen, wie Ali Hmedi beschreibt. Seine Töchter konnte er bereits nachholen. Da Hmedi in Bulgarien von den Behörden aber schon zum Asylantrag und zur Abgabe seiner Fingerabdrücke gedrängt wurde, wurde sein erster Antrag auf Asyl in Deutschland abgelehnt. Gesetzlich darf das Asylverfahren nämlich immer nur in einem Land laufen. Mit einem Anwalt konnte Ali Hmedi den Asylantrag in Bulgarien aber aufheben lassen und wartet nun auf die Entscheidung der deutschen Behörden. Und das nach nun schon 11 Monaten in Deutschland. Seit einiger Zeit besucht Hmedi einen Deutschkurs, bei dem er aber, wie er erklärt, nicht viel lernt. Zumindest nicht so viel, wie er gerne möchte. "Ich bin nicht nach Deutschland gekommen um auf Kosten des Staates zu leben. Ich möchte selbstständig arbeiten und das Geld selber verdienen. Meine ganze Familie möchte hier arbeiten." Deswegen steckt Hmedi in einer ungeduldigen Hoffnung, dass so bald wie möglich, seine Aufenthaltsgenehmigung kommt, damit er endlich damit beginnen kann, sein Leben wieder aufzubauen.


mehr News aus Wolfenbüttel


Themen zu diesem Artikel


Polizei