Gedanken zum Kita-Streik


| Foto: A.Donner)



Wolfenbüttel. Die Wolfenbütteler Frauenbeauftragte Simone Reese hat sich zum Kita-Streik Gedanken gemacht. Ihren Brief veröffentlichen wir an dieser Stelle ungekürzt und unkommentiert.

Wert - volle Gedanken zum Kita-Streik 2015


Eine weitverbreitete Meinung ist, wie es scheint, noch immer, dass in Kindertagesstätten „nur“ Betreuung stattfindet…

Eine Kindertagesstätte ist die Bildungseinrichtung, in der Menschen ab dem 1. Lebensjahr grundlegende Orientierungen zur Weltaneignung erhalten, der Grundstein für die Entwicklung eines Kindes für das weitere Leben gelegt wird. Kindertagesstätten arbeiten nach der Vorlage des Kultusministeriums: Die Inhalte des „Orientierungsplan für Bildung und Erziehung“, der neun Lernbereiche ausweist, sollten im Verlauf der Kindergartenzeit eines Kindes (in der Regel drei Jahre) mehrfach bearbeitet sein. Sowohl der Orientierungsplan als auch die Handlungsempfehlungen für die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren sind sehr vielfältig und ausgewogen in ihren Anforderungen und Empfehlungen.

In der Zeit bis zum Schuleintritt lernen und erfahren Kinder auf sehr unterschiedliche Weise, in ihrem eigenen Tempo, ihren eigenen Bedürfnissen, immer liebevoll begleitet von einer pädagogischen Fachkraft, ihre Welt kennen. Pädagogische Fachkräfte befinden sich - je nach Vorbildung - zwischen drei und fünf Jahren in einer nicht bezahlten Ausbildung und bilden sich anschließend regelmäßig stets und ständig in unterschiedlichen Bereichen weiter.

Pädagogisch Mitarbeitende haben große Verantwortung. Ihr Handwerkzeug besteht unter anderem aus Liebe, Geduld, Aufmerksamkeit, Kommunikationsfähigkeit und Sprache, Annahme, Zuwendung aber auch Konflikt, Elterngespräch, Beobachtungsgabe, Dokumentation, Reflektion, Kritik, psychische Stabilität, körperliche Belastbarkeit und partnerschaftlichem Verhalten in alle Richtungen. Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen Kindes zu erkennen gehört ebenso dazu wie entsprechende Angebote zu erarbeiten – und das für 25 individuelle Kinder in gemeinschaftlicher Arbeit mit einer, manchmal zwei Kolleginnen/ Kollegen pro Gruppe.

Frühförderung, Einzelförderung, Inklusion, Teamarbeit und Einzelkampf, gesundheitliche Störungen erkennen und ansprechen, psychische Veränderungen bei dem einzelnen Kind wahrnehmen und hinterfragen, Schulvorbereitung und Hausaufgaben machen und für jedes einzelne Kind eine Erinnerungsmappe anlegen, gehören ebenso zur täglichen Arbeit. Elternabende vorbereiten und durchführen, Feste ebenso, im Umgang mit unterschiedlichen Medien fit sein und die sprachliche Entwicklung fördern, Sprachkulturen überwinden und mit einem Repertoire an Bewegung, Spiel und Tanz die Lernprozesse unterstützen…

In regelmäßigen Dienstbesprechungen werden Konzepte überarbeitet, dabei die Arbeit reflektiert, Praktikanten mit unterschiedlichem Bildungsniveau und FSJ-Kräfte werden angeleitet und bei Prüfungen innerhalb der Einrichtung begleitet. Fachliche Gespräche mit Kinderärzten, Psychologen, Schulen, Hilfeeinrichtungen sind ebenso üblich wie das schriftliche Verfassen von Beobachtungen zur Dokumentation.

Nebenbei Nasen putzen, Tränen trocknen, Essen organisieren, Hosen reinigen, Windeln wechseln und Hausschuhe suchen, Jacken schließen, Streit schlichten, trösten und kuscheln, miteinander lachen und auch mal schimpfen, basteln und literweise Milch vom Fußboden wischen. Elterngespräche führen, Verständnis aufbringen und dabei immer freundlich Lächeln - für einen Stundenlohn im Schnitt von 9.97 Euro die Stunde (netto).

Kolleginnen und Kollegen, die in den Beruf einsteigen erhalten einen Netto Lohn (Steuerklasse I) von zirka 1490 Euro - das bedeutet einen ausbezahlten Stundenlohn von 8,68 Euro bei 39 Wochenarbeitsstunden. Maximal zu erreichendes Gehalt einer Erzieherin im öffentlichen Dienst liegt bei 1934 Euro, also netto 11,27 Euro die Stunde. Weitere finanzielle Aufstiegsmöglichkeiten hat die Kollegin nur durch eine Anstellung als stellvertretende Leitung oder Leitung, Zu beachten gilt, dass das Einkommen einer Leitung nach der Anzahl der Mitarbeitenden und Kinder in der Einrichtung berechnet wird. Nicht zu vergessen, dass andere Träger von Kindertageseinrichtungen nicht an Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gebunden sind! Mitarbeitende mit geringerer Arbeitszeit erhalten entsprechend weniger.

In diesem Zusammenhang sollten wir uns nicht weiter wundern, dass in dem Bereich dieser sozialen Arbeit die Fachkräfte weniger werden. Dabei wird in unserer Gesellschaft von „Bildung von Anfang an“ und von Mindestlöhnen geredet… In sozialen und pflegenden Berufen finden noch immer mehr Frauen als Männer ihr berufliches Feld. Zirka 2,4 Prozent der Beschäftigten sozialpädagogischen Mitarbeitenden in den Kitas sind männlich.In Pflegeberufen (Krankenhaus, Altenpflege, Ambulante Pflege usw.) kommt der männliche Anteil auf zirka 7,6 Prozent Auch der Blick in die Grundschulen zeigt uns wenig männliches Personal…

Zu erwähnen, dass die Rentenzahlung für einige Frauen und Männer dieser und ähnlicher Berufe durch Sozialhilfe unterstütztet werden muss, um an die untere Einkommensgrenze zu gelangen, erscheint hier überflüssig. Eine Frage zum Schluss: Wie viel Stundenlohn erhält die Werkstatt, in der Ihr Auto repariert wird?

Vielen Dank für Ihr Verständnis, das Sie es den vielen Frauen und wenigen Männern nachsehen, wenn sie im Streik einmal nicht an die Zukunft der ihnen anvertrauten Kinder, sondern auch einmal an ihre eigene Zukunft und die der nachfolgenden Generationen denken.

Simone Reese
Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Wolfenbüttel


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