Wer sich an ein vierhundert Jahre altes Stück herantraut, das kaum gespielt worden ist, ein sehr oft behandeltes Thema aufgreift, zudem wenig Aktion und viel Text zu bieten hat, der liebt mit Sicherheit das Risiko.
[image=5e1764d3785549ede64cd135]Der Kurs „Darstellendes Spiel“ im 12. Jahrgang am Gymnasium im Schloss Wolfenbüttel wagte das Abenteuer und führte unter der Leitung von Peter Schilffarth das Shakespeare-Drama „Verlorene Liebesmüh“ auf. Dieses kommt als Liebeskomödie daher, in der geschworen und gelogen, gesucht und verwechselt, geliebt und gewütet wird. Am Ende des Stückes knurrt den vier liebeshungrigen Protagonisten der Magen, da sie nicht einmal kosten durften von der Liebe.
Das Publikum kam mit dieser sehr freien und puristisch ausstaffierten Inszenierung unter dem Titel „Labern oder L(i)eben“ nicht nur auf den Geschmack. Es wurde geradezu verwöhnt von einem nicht enden wollenden Menu aus feinem Wortwitz und derben Kalauern, sanften Untertönen und schrillen Ausbrüchen, raffiniert gesponnenen Rededuellen und pointiert gesetzten Musikeinlagen, nuancierter Mimik und ordinären Gesten. Serviert von Figuren, die reden ohne etwas sagen, die man am besten versteht, wenn sie mal den Mund halten, deren Einsamkeit in der Gemeinschaft am größten ist, die in einer Liebeskomödie auftreten, in der die Liebe fehlt.
In der die Liebe fehlt? Der König von Navarra und seine drei Höflinge (Christine Hartmann, Konstantin Knauer, Michael ten Brink, Clara Dolinschek) schließen einen Pakt: Sie schwören der Liebe für drei Jahre ab, um sich allein dem Lesen von Büchern hinzugeben. Fatal nur, dass ihre Zuverlässigkeit ziemlich schnell auf eine harte Probe gestellt wird: Begleitet von ihrem adligen Diener Boyet (Jonathan Meier) rücken die Prinzessin von Frankreich und ihre drei Hofdamen (Lisa Hübner, Annalena Waluga, Anne Wolter, Vanessa Krautschak) an. Äußerst reizvoll und attraktiv. Sofort ist die Verfallszeit des Schwures erreicht. Was dann folgt, ist ein kunterbuntes „No -Go“ in Liebesdingen. Gnadenloses Phrasendreschen, schwülstige Liebesschwüre und animalische Lüsternheit tanzen einen Reigen, der vom Publikum Höchstnoten bekam. Auf der Strecke bleibt logischerweise die Liebe. Denn Amors Pfeil geht mächtig nach hinten los. Schuld daran ist der für das Publikum sehr amüsante Dilettantismus, mit dem die Adligen versuchen, ihre Herzendamen zu erobern. Zusätzlich versalzen wird die Liebesmahlzeit durch das Dienstpersonal der Höflinge, das für das Publikum zum Salz in der Suppe wird: Der dumpfe Bauernjunge Wirsing (Jan Lampe) versagt als Liebesbote gänzlich. Der blutleere Hofdichter Don Armado (Doppelrolle: Caroline Hesse, Marlena Warnecke) worthülst dem drallen Landmädchen Jaquenetta (Amelie Diener) hinterher, begleitet von seinem spottenden Pagen Krümel (Doppelrolle: Lisa Gelhar, Olivia Sieranski). Der stocksteife Geistliche Nathaniel (Lowis Metzner) und die laufstegtaugliche Lehrerin Holoferna (Doppelrolle: Kira Meier, Julia Redant) üben sich in geistiger Spiegelfechterei, um jede Gefühlswallung schon im Keim zu ersticken.
Komplizierteste Textpassagen wurden von allen Akteuren in traumwandlerischer Sicherheit nicht nur ausdrucksstark vorgetragen, sondern auch mit Mimik und Gestik so untermalt, dass die Inszenierung keine „verlorene Liebesmüh“ war, sondern immer höchste Unterhaltung bot. Gleichzeitig scheute sich das Ensemble nicht, den Rotstift an den Originaltext anzulegen und gestrichene Passagen kreativ auszufüllen. Das Publikum reagierte dankbar und zum Teil begeistert auf die pointiert gesetzten Entlastungen, wie z.B. die Übernahme einer Sequenz aus der Spielshow „Herzblatt“, die Präsentation eines Songs der Spice Girls („Wannabe“), eine in Zeitlupe ablaufende Prügelszene aller Beteiligten gegen Ende des Stückes oder die explosiven Auftritte der Wachtmeister Dumpf und Dümpfer (Jan Löding, Dörte Sonntag).
Bis zum Schluss wird das Publikum ständig unter Strom gehalten. Pausenlos wird es hin und her gerissen zwischen Wortakrobatik und einem Feuerwerk von Inszenierungsideen. Die insgesamt neunzig Minuten lassen kaum Zeit zum Luftholen. Und als sich das Publikum auf der Zielgeraden glaubt, folgt der letzte Inszenierungsclou: Die von der Liebe enttäuschten Adligen steigern sich ganz allmählich in einen Wutausbruch hinein, sodass die Bücher auf und von der Bühne fliegen.
Und ein aufgeschrecktes Publikum zurückgelassen wird. Warum? Weil es zum ersten Mal einen Blick in die Seele der vier Männer werfen kann. Denn hier wird nicht mehr gequatscht, sondern gefühlt. Dennoch bleibt den Figuren der Weg zur Liebe versperrt. Zu viel gelabert. Dem Publikum wird er dadurch gezeigt. Gehen muss es diesen Weg aber selbst. Jeden Tag aufs Neue. Wird es dies tun oder auch nur labern?
Schade, dass es nur drei Vorstellungen waren. Diese Inszenierung hätte mehr verdient. Aber zwischen Abitur und Studienbeginn ist ja ein bisschen Zeit. Vielleicht passen da ja ein paar Aufführungen hinein. Das wäre ein „Sommernachtstraum“.
Das Foto zeigt die Prinzessin von Frankreich, ihre Hofdamen, der Prinz von Navarra und seine Höflinge: Lisa Hübner, Anne Wolter, Vanessa Krautschat, Michael ten Brink, Clara Dolinschek, Constantin Knauer, Christine Hartmann (v.l.n.r.). Foto: GiS
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