“Ohne eine erhebliche Verbesserung der Personalausstattung der Grundschulen und eine zielgenaue Steuerung darf das Inklusionsgesetz nicht verabschiedet werden! Dazu ist ein Nachtragshaushalt erforderlich.“, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen Eberhard Brandt in Richtung der parlamentarischen Gremien, die das Inklusionsgesetz derzeit beraten, das im April im Landtag beschlossen werden soll.
[image=5e1764b6785549ede64ccb13]Die bisher vorliegenden Planungen für die Ressourcen und für die Umsetzung des Gesetzes sind aus Sicht der GEW enttäuschend. So sollen bei Einführung der Inklusion in den ersten Klassen landesweit nur 20 zusätzliche Lehrkräfte zur Verfügung gestellt werden, um Grundschulen mit besonderen Anforderungen zusätzliche Lehrerstunden zu Verfügung zu stellen. Für die weiteren Grundschuljahrgänge sind nur jeweils 10 zusätzliche Stellen vorgesehen. „Das ist bei 1.800 Grundschulen nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein.“, kommentiert der GEW-Vorsitzende. Auch von einer Absenkung der Klassenobergrenzen in inklusiv arbeitenden Klassen sei bisher nicht die Rede. Die vorgesehene Doppelzählung sei unzureichend.
Wie in den bestehenden Regionalen Integrationskonzepten sind bisher nur zwei Förderschullehrerstunden pro Klasse als sonderpädagogische Grundausstattung vorgesehen. Eine zweizügige Grundschule bekommt demnach 16 Stunden, die sie nach dem Bedarf verteilen kann. In der Anhörung zum Integrationsgesetz im Kultusausschuss war Konsens, dass diese systemische Grundausstattung in erheblichem Umfang erweitert werden muss. Nach Auffassung der GEW wären 400 zusätzliche Stellen pro Grundschuljahrgang eine angemessene Größenordnung. Diese zusätzlichen Stellen sollen mehr Doppeleinsatz von Förderschullehrkräften, Grundschullehrkräften und sozialpädagogischen Fachkräften ermöglichen.
Gezielte Steuerung der Ressourcen
Die GEW vermisst bei den ihr bekannten Planungen geeignete Vorgaben für die Steuerung der Ressourcen für die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache sowie Emotionale und Soziale Entwicklung. „Wenn alle Grundschulen inklusiv arbeiten, benötigen alle mehr Personal. Die Schülerinnen und Schüler mit höherem Unterstützungsbedarf verteilen sich aber nicht gleichmäßig auf alle Schulen. Es kommt darauf an, dass die zusätzlichen Ressourcen gezielt an die Schulen kommen.“, erklärt Gundi Müller, Vorsitzende der Fachgruppe Sonderpädagogik. Die Fachleute der Bildungsgewerkschaft haben schon in der Anhörung vorgeschlagen, dass die Zuweisung eines Grundbedarfs an Ressourcen nach sozialstatistischen Daten erfolgt. „Wir müssen vermeiden, dass Schülerinnen und Schüler auf ihren Unterstützungsbedarf im Bereich Lernen, Sprache sowie Emotionale und Soziale Entwicklung überprüft werden, um davon die Ressourcenzuweisung abhängig machen. Es ist eine pädagogische Aufgabe, den Unterstützungsbedarf im Sinne einer individuellen Lernförderung festzustellen, ohne dass dabei eine Etikettierung stattfindet.“, erläutert Gundi Müller, die über jahrelange Erfahrung als Förderschullehrerin in einem Regionalen Integrationskonzept verfügt.
Absenkung der Klassenobergrenze bei Inklusion auf 21
Die unverändert hohen Klassenobergrenzen von 28 in der Grundschule und in der Oberschule, von 30 Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien stoßen auf massive Kritik der GEW. Bei inklusivem Unterricht sollen nach den vorliegenden Plänen SchülerInnen mit Lernbeeinträchtigungen in der Statistik doppelt gezählt werden, ohne dass vorgesehen sei, die Klassenobergrenzen zuvor herabzusetzen. In anderen Bundesländern werde mit 17 plus 4 oder 17 plus 5 SchülerInnen geplant. Auch in Niedersachsen müsse bei inklusivem Unterricht die Obergrenze bei 21 SchülerInnen festgelegt werden. Auch ohne Inklusion dürften in keiner Klasse der Grundschule und der Sekundarstufe I mehr als 25 SchülerInnen sein. „Seit Jahren weist die GEW darauf hin, dass die Herabsetzung der Klassenobergrenzen – insbesondere bei Inklusion – auf die Tagesordnung gehört, aber die Regierung blieb in dieser zentralen Frage untätig.“, kritisiert der GEW-Landesvorsitzende. Lediglich die vorübergehende Erhöhung der Obergrenzen an Gymnasien und Realschulen wurde zurückgenommen.
Personalkonzept mit multiprofessionellen Teams
„Ein Personalkonzept, dass den Erfordernissen der Inklusion Rechnung trägt, ist in den Vorschlägen de Regierungskoalition nicht zu erkennen.“, stellt Henner Sauerland, Schulpolitischer Sprecher der GEW Niedersachsen, fest. „In inklusiven Schulen brauchen wir multiprofessionelle Teams, in denen neben Regelschullehrkräften Förderschullehrkräfte und auch Sozialpädagogische Fachkräfte arbeiten. Außerdem natürlich – wie in den Planungen vorgesehen – die Fachkräfte (TherapeutInnen, pädagogische MitarbeiterInnen), die derzeit in den Förderschulen arbeiten.“ Die Kooperation der verschiedenen Professionen müsse zudem in der Festlegung der Arbeitszeit berücksichtigt werden. Die bisher in den Verlässlichen Grundschulen übliche Betreuung muss durch eine originär pädagogische Aufgabe ersetzt werden. Die GEW fordert, dass an jeder zweizügigen Grundschule mindestens eine Förderschullehrerin und eine sozialpädagogische Fachkraft eingesetzt wird.
Weiterbildungskonzept unverzichtbar
Die bisher vorliegenden Weiterbildungskonzepte bezeichnet die GEW als unzureichend. Weil die Regierung versäumt hat, den Lehrkräften zu ermöglichen, sich rechtzeitig vor Einführung der Inklusion mit den entsprechenden pädagogischen Konzepten vertraut zu machen, müssen inklusiv arbeitende PädagogInnen die Fortbildung parallel zu ihrer Arbeit wahrnehmen können. „Das geht nicht ohne eine angemessene Freistellung.“ so Eberhard Brandt. Um den Mangel an Förderschullehrkräften zu beheben, müssen Regelschullehrkräfte bei voller Bezahlung und Freistellung ein sonderpädagogisches Fach nachstudieren können, fordert die GEW. Die Regierung habe in den letzten Jahren die Ausbildung von Sonderschullehrkräften sträflich vernachlässigt und müsse nunmehr die höheren Kosten für das Nachstudium tragen. Die in den Verlässlichen Grundschulen als Betreuungskräfte eingesetzten Pädagogische MitarbeiterInnen müssten neben ihrer Berufstätigkeit zu ErzieherInnen weitergebildet werden, so wie es im Bundesland Bremen schon erfolgreich praktiziert würde.
Nur wenn die genannten Voraussetzungen geschaffen würden, bestehe die Möglichkeit, in den niedersächsischen Schulen eine erfolgreiche Beschulung zu implementieren, betont Eberhard Brandt. „Die Landesregierung ist deshalb aufgefordert, schnellstmöglich durch einen Nachtragshaushalt die notwendigen Ressourcen bereitzustellen, damit der Start gelingen kann!“
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