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[image=5e1764c6785549ede64cce6b]Stefan Schostok, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag zur Klage gegen die niedersächsische Landesregierung wegen Verstoßes gegen Art. 24 Abs. 1 NV, ungekürzt und unkommentiert. Es gilt das gesprochene Wort.
“Meine Damen und Herren,
am 22. Januar 2012 haben wir in einer Pressemitteilung angekündigt, dass wir durch den Staatsgerichtshof prüfen lassen wollen, ob die niedersächsische Landesregierung im Zusammenhang mit Nachfragen zum „Nord-Süd-Dialog 2009“ das Parlament vorsätzlich falsch informiert hat. Damit hätte sie gegen den Artikel 24 Absatz 1 der Niedersächsischen Verfassung verstoßen, der die Landesregierung dazu verpflichtet, Anfragen des Parlaments nach bestem Wissen, unverzüglich und vollständig zu beantworten. Am heutigen Morgen hat unser Fraktionskollege Heiner Bartling die entsprechenden Unterlagen in der Geschäftsstelle des Staatsgerichtshofes in Bückeburg eingereicht. Das Verfahren läuft.
Das Auskunftsrecht des Parlaments gehört zu den Grundfesten unserer Demokratie. Das Parlament kontrolliert die Regierung. Das ist für die jeweils Regierenden nicht immer angenehm. Das soll es aber auch nicht sein. Die Verfassung verlangt von den Regierenden, auch unangenehme Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten.
Der Rücktritt von Herrn Wulff vom Amt des Bundespräsidenten am vergangenen Freitag macht diese Klärung nicht überflüssig. Es geht uns um die Würde und die Rechte des Parlaments. Wer als Parlamentarier schulterzuckend die Missachtung der eigenen Rechte hinnimmt, handelt falsch.
Dass die Regierung Wulff im Frühjahr 2010 wissentlich falsch antwortete, darf heute bereits als erwiesen gelten. Finanzminister Möllring hat diesen Umstand am 28. Januar dieses Jahres in einem Zeitungsgespräch bereits öffentlich eingestehen müssen. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung musste er einräumen, dass die Antwort der Wulff-Regierung vom April 2010 „aus heutiger Sicht objektiv nicht richtig“ gewesen sei. Für uns ist von besonderer Bedeutung, dass der damalige Ministerpräsident Wulff die Antwort auf eine Kleine Anfrage von Heiner Bartling im April 2010 eigenhändig redigierte und die Endfassung abzeichnete.
Wie Sie sich erinnern werden, haben wir am 22. Januar eine Prüfung darüber angekündigt, ob sich die Klage auch gegen die aktuelle Landesregierung richten wird. Für diese Prüfung wurden von uns die Protokolle des Januarplenums sowie der darauf folgenden Sitzungen des Rechtsausschusses, an denen Herr Möllring teilnahm, sehr sorgfältig geprüft.
Die Prüfung hat Folgendes ergeben: Es gibt unserer Ansicht nach stichhaltige Hinweise darauf, dass nicht nur die Regierung Wulff im April 2010 mit ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage von Bartling das Parlament getäuscht hat. Unserer Meinung nach hat auch die Regierung McAllister in der diesjährigen Januarsitzung des Niedersächsischen Landtages Nachfragen zum „Nord-Süd-Dialog 2009“ nicht wahrheitsgemäß beantwortet.
Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass die Landesregierung ihre verfassungsmäßigen Pflichten vernachlässigt und sogar wider besseres Wissen die falschen Antworten der Regierung Wulff zum „Nord-Süd-Dialog 2009“ bestätigt hat. Damit wäre der Landtag vorsätzlich getäuscht worden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es das Ziel der Landesregierung unter Ministerpräsident McAllister war, das Fehlverhalten seines Vorgängers zu decken.
Spätestens mit der Entlassung von Olaf Glaeseker als Sprecher des Bundespräsidenten am 22. Dezember 2011 musste der Landesregierung klar sein, dass das Thema „Nord-Süd-Dialog“ hochkommt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass die ursprüngliche Darstellung Probleme bereiten würde, beim „Nord-Süd-Dialog“ habe es sich um eine Privatveranstaltung gehandelt, an der die Landesregierung weder finanziell noch sonst irgendwie beteiligt gewesen sei. Außerdem sei die Einladungsliste allein vom Veranstalter Manfred Schmidt bestimmt worden.
Am 4. Januar stellte die SPD-Landtagsfraktion einen Antrag auf Unterrichtung im zuständigen Rechtsausschuss des Landtages am 11. Januar u.a. auch zu offenen Fragen im Zusammenhang mit dem „Nord-Süd-Dialog 2009“. Am 10. Januar erläuterte die SPD-Fraktion in einer Pressekonferenz detailliert, mit welchen Fragen zum „Nord-Süd-Dialog“ sie in die Ausschusssitzung am Folgetag gehen wolle. Wie bekannt sah sich die Landesregierung nicht in der Lage, Fragen im Ausschuss zu beantworten. Es wurde auf das anstehende Januarplenum verwiesen.
Wir haben den Eindruck, dass die Landesregierung zu diesem Zeitpunkt kein Interesse an der Aufklärung des wahren Sachverhalts hatte. Es besteht der Verdacht, dass die Landesregierung die Tage vor dem Plenum zur Vorbereitung einer Verteidigungsstrategie nutzte, die auf Verschleiern angelegt war. Herr Möllring brach zu Gesprächen mit dem damaligen Bundespräsidenten nach Berlin auf, um sich auf die Beantwortung der Fragen vorzubereiten. Er selbst sprach sogar von einer Standleitung, die er mit Schloss Bellevue habe. Es entsteht der Eindruck, Herr Möllring agierte wie ein Rechtsanwalt, dessen vordringliches Ziel es gewesen sei, einen Mandanten vor einer Verurteilung zu bewahren.
In seinem Kommentar der Niedersächsischen Verfassung bemerkt Lothar Hagebölling zum Artikel 24 Absatz 1 u. a.: „Anfragen sind nach bestem Wissen zu beantworten, das heißt, die Landesregierung ist verpflichtet, sich um die Aufklärung des wahren Sachverhalts zu bemühen und die Anfrage zutreffend zu beantworten.“ Wir werfen der Landesregierung vor: Ihr Bemühen zielte auf Verschleierung, nicht auf Aufklärung.
Mit einer forschen Vorwärtsverteidigung versuchte Herr Möllring im Plenum, die offenen und begründeten Fragen der Opposition vom Tisch zu wischen. Das Resultat ist bekannt: Die Strategie brach unter dem Eindruck der Hausdurchsuchungen der Staatsanwaltschaft bei Herrn Glaeseker und Herrn Schmidt sowie neuer Presseberichte über Landesbeteiligungen am „Nord-Süd-Dialog“ in sich zusammen. Zu nennen sind hier die Finanzierung eines Kochbuch-Geschenks an alle Festgäste durch das Land, das Engagement von Servicekräften der Medizinischen Hochschule Hannover, die aktive Sponsorenakquise sowie die Einflussnahme auf die Einladungsliste unmittelbar aus der Staatskanzlei heraus.
Es erscheint uns offensichtlich, dass unter dem Eindruck des DebattenDebakels erst am Montag, 23. Januar 2012, von der Landesregierung erste Aufklärungsversuche unternommen wurden, indem sie die Ministerien aufforderte, innerhalb von zwei Tagen Auskunft zu geben, ob man in die Organisation des „Nord-Süd-Dialogs 2009“ eingebunden gewesen sei. Diese Angaben wurden dann auch ohne Probleme in der geforderten Zeit geliefert. Im Rückschluss heißt das für uns, dass es durchaus zumutbar gewesen wäre, eine solche Auskunft vor der Landtagssitzung bereits in der Januarsitzung des Landtages zu erhalten.
Hätten Staatsanwaltschaft und Medien nicht ihre Aufgaben erledigt, hätte die Landesregierung vermutlich noch eine längere Zeit lang die Antworten der Regierung Wulff als korrekt bezeichnet. Erst, als es nicht mehr anders ging, hat man zähneknirschend die Aufklärungsarbeit begonnen.
Herr Möllring hat am Rande des Januarplenums nach dem Debakel erklärt, er sei getäuscht worden. Es erscheint uns hingegen viel wahrscheinlicher, dass die gesamte Verteidigungsstrategie der Landesregierung darauf abzielte, ihrerseits das gesamte Parlament zu täuschen.
Über die weiteren Enthüllungen muss man nicht mehr viele Worte verlieren. Heute wissen wir, dass die Landesregierung unter Christian Wulff aktiv die Sponsorenwerbung betrieb, Einfluss auf Einladungslisten nahm und sich in Vertragsverhandlungen einschaltete. Herr Wulff selbst redigierte – wie gesagt – eigenhändig die falsche Antwort an Heiner Bartling. Und die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Herrn Glaeseker wegen des Verdachts der Bestechlichkeit.
Warum die damalige Landesregierung unter Christian Wulff so sehr darauf achtete, mit der Organisation des „Nord-Süd-Dialogs“ nicht in Zusammenhang gebracht zu werden, warum sie in ihrer Antwort auf die Bartling-Anfrage die Unwahrheit behauptete, darüber lässt sich nur spekulieren. Anscheinend sah man ein geringeres Risiko darin, die Verfassung zu brechen, als die Wahrheit offenzulegen.
Warum die jetzige Landesregierung unter David McAllister zunächst die Antwort der Regierung Wulff von 2010 verteidigte und auf eigene Nachforschungen verzichtete, mag sie in ihrer Erwiderung auf unseren Antrag in Bückeburg erläutern. Wir sind sehr gespannt auf die Argumentation von Herrn McAllister und Herrn Möllring.
Vielleicht sind die Herren ja so ehrlich wie ihr Kabinettskollege Jörg Bode, der am 6. Februar erklärt hatte: „Die Aussage, die damals im Landtag getätigt wurde, war schlicht falsch. Da gibt es kein Vertun!“”
[image=56328]Ein Sprecher der Landesregierung erklärte:
„Die Niedersächsische Landesregierung sieht dieser erhobenen Klage vor dem Staatsgerichtshof gelassen entgegen.
Wir haben in den zurückliegenden Monaten hunderte parlamentarische Anfragen und Medienanfragen zu verschiedenen Details des Nord-Süd-Dialogs beantwortet.
Alle unsere Antworten haben wir nach bestem Wissen und Gewissen und unter Berücksichtigung des uns verfügbaren Kenntnisstandes gegeben. Wann immer uns zusätzliche Erkenntnisse ersichtlich waren, haben wir diese den jeweiligen Fragestellern weitergegeben. Dies werden wir auch in Zukunft tun. Keine Frage wird offen bleiben: Die Niedersächsische Landesregierung hat nichts zu verbergen.
Ansonsten gilt: Die Niedersächsische Landesregierung stellt sich mit voller Kraft den anstehenden Sachfragen. Genau das erwarten die Menschen dieses Landes von uns!“
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