„Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ veröffentlicht - Bedarf an pädagogischen Fachkräften in Kitas steigt weiter - AWO fordert bessere Bedingungen




Erzieherinnen verzweifelt gesucht: Unter dieser Überschrift wird der Aus­bau der Kinderbetreuung ein Jahr vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr diskutiert. Ein Ausweg schlummert im Personalstamm der Ki­tas. Denn 60 Prozent der pädagogischen Fachkräfte in Kitas arbeiten derzeit in Teilzeit – ein sehr hoher Anteil im Vergleich zu anderen Branchen. Mehr Anreize zur Vollzeitbeschäftigung könnten also den Personalmangel erheblich lindern. Das geht aus dem diesjährigen „Ländermonitor Früh­kindliche Bildungssysteme“ hervor, den die Bertelsmann Stiftung heute veröffentlicht hat.

Der neue Ländermonitor zeigt, dass Kinderbetreuung bereits seit längerem ein Jobmotor ist. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der pädagogischen Fachkräfte in den Kitas um nahezu 25 Prozent gestiegen. Inzwischen arbeiten 440.000 Erzieherinnen in Kindertageseinrichtungen (Stichtag 1. März 2011). Fünf Jahre zuvor waren es 353.000 Fachkräfte. Und der Bedarf an päda­gogischem Personal steigt weiter. Dazu trägt vor allem der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bei, der am 1. August kommenden Jahres in Kraft tritt. Allein für die bis dahin neu zu schaffenden Kita-Plätze für unter Dreijährige werden 42.000 Fachkräfte benötigt, die Arbeits- und Ausbildungsmarkt nicht vollständig hergeben: Im kommenden Jahr wer­den bis zu 15.000 Erzieherinnen fehlen. Das hat die Universität Dortmund errechnet.

[image=5e1764d3785549ede64cd12e]Der Ländermonitor der Bertelsmann Stiftung führt weitere Faktoren auf, die den Fachkräftemangel verschärfen. So ist in Westdeutschland eine weiter steigende Nachfrage nach Ganztagsbetreuung für Kinder ab drei Jahren zu erwarten, die zusätzliches Personal erfordert. Denn bislang haben die Eltern noch nicht einmal für jedes dritte Kind dieser Altersgruppe (30 Prozent), das eine Kita be­sucht, eine tägliche Betreuungszeit von mehr als sieben Stunden vereinbart. In Ostdeutschland hingegen wird vor allem die notwendige Verbesserung der Personalschlüssel den Wettbewerb der Kitas um qualifizierte Erzieherinnen steigern. Von 2006 auf 2011 verbesserten sich die Personal­schlüssel für die Krippengruppen dort zwar von 1:6,7 auf 1:5,7. In den westlichen Bundesländern liegt der Personalschlüssel allerdings bei 1:3,8 und damit weitaus günstiger für qualitativ hochwer­tige Betreuung. Soll sich der schlechte Ost-Personalschlüssel dem West-Niveau annähern, müs­sen zusätzliche Erzieherinnen eingestellt werden. Im Osten verschärft sich der Personalbedarf für die Kitas zudem mittelfristig durch die Altersstruktur: mehr als 15.000 pädagogisch Tätige (19,4 Prozent) sind dort 55 Jahre alt oder älter.

Unverändert hoch ist der Anteil an Teilzeit-Arbeitsplätzen im Kita-Bereich. Während über alle Branchen hinweg in Deutschland etwa jeder dritte Arbeitnehmer in Teilzeit arbeitet, sind es in den Kitas knapp 60 Prozent der pädagogischen Fachkräfte. In den östlichen Bundesländern sind von den insgesamt 79.000 Beschäftigten sogar mehr als 75 Prozent in Teilzeit tätig. Während im Osten jedoch eine Trendwende zu verzeichnen ist (2006 waren es noch 82 Prozent), setzen die Kitas im Westen weiterhin überwiegend auf Teilzeitmodelle. Von den im Westen seit 2006 hinzu gekomme­nen Stellen ist lediglich jede dritte ein Vollzeit-Arbeitsplatz.

Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, bewertet den hohen Anteil von Teilzeit­beschäftigten in Kitas kritisch: „Kinder brauchen in ihrer Kita eine feste Bezugsperson. Das ist eine zentrale Frage der Qualität außerfamiliärer Kinderbetreuung.“ Angesichts steigender Nachfrage nach Ganztagsbetreuung ist dieser Qualitätsanspruch nur einzulösen, wenn mehr pädagogische Fachkräfte in Vollzeit arbeiten. Zugleich ist es eine wirksame Strategie gegen den Fachkräfteman­gel, wenn möglichst viele Teilzeitbeschäftigte ihre Stundenzahl erhöhen. „Politik und Träger sollten deshalb mehr Anreize für Vollzeitbeschäftigung schaffen“, empfiehlt Dräger.

Dass gezielte Förderung von Vollzeitbeschäftigung wirksam sein kann, zeigt das Beispiel Thürin­gen. Dort hat sich der Anteil der Vollzeitbeschäftigten innerhalb eines Jahres von 28 auf 39 Pro­zent erhöht. Die dortige Landesregierung verpflichtete die Träger von Kindertageseinrichtungen zu prüfen, ob und wie Erzieherinnen ihre Stundenzahl ausweiten können. Inzwischen liegt Thüringen mit seinem Anteil der Vollzeitkräfte zwar im Osten vorn, aber noch erheblich hinter dem bundes­weiten Spitzenreiter Nordrhein-Westfalen, wo 56 Prozent aller Beschäftigten in Kitas in Vollzeit arbeiten. Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt mit 15 Prozent.
Der „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung ist ein Internetportal, das alle wichtigen Daten und Fakten zu Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege bundes­weit sowie für jedes einzelne Bundesland aufbereitet. Grundlage sind Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik. Die Berech­nungen hat der Forschungsverbund DJI/TU Dortmund durchgeführt. Der Ländermonitor stellt die Informationen transparent dar, ermöglicht Ländervergleiche und setzt damit Impulse für eine da­tengestützte und zielgerichtete Weiterentwicklung bestehender Bildungs- und Betreuungsangebote in Deutschland. http://www.laendermonitor.de

Das veröffentlichte Foto ist ein Archivbild und steht in keinem Zusammenhang zum Beitrag.

AWO fordert verbesserte Rahmenbedingungen für Fachkräfte und Träger


[image=5e1764ad785549ede64cc8e7]„Vielerorts im Bundesgebiet können bereits heute Krippengruppen nicht eröffnet und Einrichtungen nicht ausgebaut werden, weil es an qualifizierten Erziehern fehlt“, bestätigt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AWO-Bezirksverbandes Braunschweig, Dirk Bitterberg, das Ergebnis des heute vorgestellten „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung. „Das gilt übrigens mittlerweile auch für stationäre und teilstationäre Angebote der Jugend- und Erziehungshilfe. Auch dort werden Erzieherinnen und Erzieher gebraucht“, ergänzt Bitterberg seine Aussage. Doch dass das in der Studie beschriebene Problem allein mit dem Personalstamm der Kitas gelöst werden könne, bezweifelt Bitterberg. „Rund 97 Prozent der Fachkräfte sind weiblich. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass alle Erzieherinnen Vollzeit arbeiten wollen. Auch Kindertageseinrichtungen müssen sich in Bezug auf ihre Fachkräfte dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellen“, betont Bitterberg. Dennoch sei es aufgrund der rechtlichen Strukturen der Trägerfinanzierung nicht allen Einrichtungen möglich, den Frauen, die Vollzeit arbeiten möchten, auch entsprechende Verträge anbieten zu können.

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Darüber hinaus müsse überlegt werden, wie mehr Frauen, aber auch Männer für den Erzieherberuf gewonnen werden können. „Als Trägerin von über 30 Kindertagesstätten im Bereich in der Region Braunschweig und über 2.200 Kitas im Bundesgebiet kennt die AWO das Problem des Fachkräftemangels sehr gut“, erklärt Bitterberg. Die Gründe dafür seien vielfältig. So sei die Ausbildung mit bis zu fünf Jahren deutlich zu lang und zu wenig praxisorientiert. Auch sei die Vergütungsstruktur im Bereich der Kindertageseinrichtungen und mehr noch in der Kindertagespflege den anspruchsvollen Aufgaben nicht angemessen. „Im Wettbewerb um Fachkräfte hat der Kinderbetreuungsbereich damit immense Nachteile“, kritisiert Bitterberg und fordert, auf das Betreuungsgeld zu verzichten: „Mit den geplanten Mitteln des Betreuungsgeldes könnten bis zu 50.000 Erzieherstellen geschaffen werden*.“

Für die Betreuung der Kleinsten gelten Tagesmütter und -väter als eine gute Alternative. „Leider wird die Kindertagespflege von Fachkräften noch zu selten als Tätigkeit mit attraktiven Arbeitsbedingungen wahrgenommen. Initiativen wie Festanstellungen von Tagesmüttern oder -vätern zu unterstützen, sind  dabei begrüßenswert, aber nur ein Anfang“, betont Bitterberg. Zudem müssten beispielsweise die Möglichkeiten der berufsbegleitenden Ausbildung für Kindertagespflegepersonen weiter verbessert werden.

Die AWO setzt sich im Rahmen ihrer Kampagne „Jetzt schlägt´s 13“ für den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz und damit für mehr Kita-Plätze bei hoher Betreuungsqualität ein.  Mehr Infos unter: www.kita-kampagne.awo.org

*Schon im kommenden Jahr stehen im Bundeshaushalt 400 Mio. Euro für das Betreuungsgeld zur Verfügung - wenn man dieses Geld verwenden würde, um das dringend erforderliche zusätzliche Personal zu bezahlen, dann könnte man damit mehr als 10.500 Erzieher finanzieren. Und noch eindrucksvoller dann die Möglichkeiten ab 2014, denn dann stehen 1,2 Mrd. Euro pro Jahr im Bundeshaushalt. Damit könnten fast 32.000 Fachkräfte mehr finanziert werden. Und sollte die Prognose zutreffen, dass es tatsächlich 1,9 Mrd. Euro pro Jahr werden, da mehr Eltern als angenommen das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen (müssen), dann wären sogar 50.000 neue Erzieherstellen finanzierbar!


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