Braunschweig/Othfresen. Der Fall Karsten Manczak gibt auch am 13. Prozesstag mehr Fragen als Antworten auf. Noch immer wurde die Leiche des mutmaßlichen Mordopfers nicht gefunden, noch immer schweigt der Angeklagte und noch immer gibt es scheinbar keine handfesten Beweise, die den Mord an Karsten Manczak zweifelsfrei belegen. Dafür sieht die Verteidigung abermals Versäumnisse bei der Ermittlungsarbeit.
Am heutigen Donnerstag sagte erneut ein Polizist der Polizeiinspektion Goslar vor Gericht aus. Seine nochmalige Aussage war der Kammer wichtig, weil sich zwischenzeitlich weitere Erkenntnisse ergeben hatten, die neue Fragen aufwarfen.
Zunächst wurde der Ermittler der damaligen Mordkommission "Fortuna" zu der späten Aussage eines Zeugen befragt. Dieser hatte am vergangenen Prozesstag ausgesagt, er habe auf der A7 bei Hannover einen blauen Caddy mit den Kennzeichenfragmenten KK gesehen und im Auto eine Person, die seiner Wahrnehmung nach, dringend Hilfe, vermutlich sogar einen Arzt benötigt hätte. Zeitlich konnte der Mann seine Beobachtung - nach eigenen Berechnungen - auf zwischen 11 und 12 Uhr am Tag des Verschwindens von Karsten Manczak einordnen. So zumindest sagte er es bei Gericht aus. Bei seiner Vernehmung durch die Polizei aber habe er keine genauen und auch keine ungefähren Angaben zur Uhrzeit machen können. So beteuerte es heute der Ermittler der Mordkommission. Auch habe der Zeuge bei seiner Vernehmung Ende Januar angegeben, er habe einen blauen Caddy mit den Kennzeichen-Buchstaben "GS-KK" erkannt. Vor Gericht sagte er jedoch aus, er habe lediglich die Buchstaben "KK" erkannt.
War der Angeklagte an zwei Orten gleichzeitig?
Für Verteidiger Martin Nitschmann waren diese widersprüchlichen Aussagen Grund genug, abermals seine Kritik an den Ermittlungen loszuwerden. Er wollte wissen, warum die Uhrzeit nicht genau ermittelt werden konnte. Wo doch das Besuchsende des Zeugen bei seiner Mutter im Pflegeheim dokumentiert worden ist. Offenbar aber nicht die Ankunft. Warum also sagt der Zeuge selbst hinterher eine Uhrzeit aus, von der die Ermittler nichts gewusst haben wollen und die folge dessen auch nicht weiter überprüft wurde? Die Antwort lieferte Nitschmann selbst: "Passt ja alles ganz wunderbar ins Bild. Nur die Uhrzeit nicht. Kann es sein, dass Sie gar kein großes Interesse an der Uhrzeit hatten", so der Bonner Anwalt und will von dem Ermittler wissen, wo seiner Meinung nach der Angeklagte am mutmaßlichen Tattag zwischen 10 und 13 Uhr war.
In dieser Zeit habe es zwei Anrufe vom Handy des Angeklagten gegeben, an denen sich nachvollziehen lasse, dass dieser am Bahnhof Hannover und später am Bahnhof Salzgitter Ringelheim gewesen sein muss. Um 9:36 Uhr hatte es vom Handy des Angeklagten einen Anruf bei einer Taxizentrale in Laatzen gegeben. "Wir gehen davon aus, dass dann von dort aus ein Taxi benutzt worden ist", so der Ermittler. Gegen 11:43 Uhr habe es dann einen weiteren Anruf vom Bahnhof in Ringelheim gegeben. Auch hier sei ein Taxi bestellt worden, das eine Person nach Groß Döhren gebracht haben soll. "Das heißt also, von 10 bis 13 Uhr war er irgendwie mit dem Taxi oder mit dem Zug unterwegs. Das heißt mit anderen Worten, wenn der blaue VW Caddy, mit Herrn G. am Steuer um die Mittagszeit gesehen worden sein soll, passt hier irgendwas nicht zusammen", so Nitschmann.
Polizei ging Zeugenhinweisen nicht nach
Das aus Sicht der Verteidiger Versäumnis der Polizei, die genaue Uhrzeit der Zeugenbeobachtung auf der A7 zu ermitteln, war nicht der einzige Kritikpunkt an der Ermittlungsarbeit. Weiter konnte Martin Nitschmann nicht nachvollziehen, weshalb drei Hinweisen von Zeugen, die den Vermissten nach der mutmaßlichen Tatzeit noch lebend gesehen haben wollen, nicht intensiver nachgegangen worden ist. Dabei könnten genau diese Hinweise seinen Mandanten vielleicht sogar ein wenig entlasten.
Nitschmann fasst die Hinweise noch einmal zusammen. So soll es zwei Zeugen gegeben haben, die aussagten, sie hätten das Auto - und damit vermutlich auch Karsten Manczak - am 13. und 14. April gesehen. In einem Fall könne sich ein Mann sogar ganz genau an das Kennzeichen "GS-KK-31" erinnern. Den Caddy will er am 14. April auf der B6 zwischen Goslar und Salzgitter gesehen haben. Außerdem gab ein Mann an, er habe Karsten Manczak am 21. April in den frühen Abendstunden gesehen. Den Mann, der in Motorradkluft an einer Bushaltestelle zwischen Blankenburg und Wienrode gestanden haben soll, habe er als den vermissten Karsten Manczak wiedererkannt. Das Gesicht sei ihm aufgrund der Fotos aus den Suchmeldungen bekannt gewesen. Warum war man diesen Hinweisen nicht nachgegangen, will Nitschmann wissen.
Hinweis "durchgerutscht"?
Die Polizei habe zum einen ausgeschlossen, dass es sich hierbei um Manczak gehandelt haben könnte, da man zum Zeitpunkt der Hinweise bereits davon ausgegangen war, dass der Vermisste tot sei. Obendrein würde es keine Hinweise geben, dass Karsten Manczak eine Motorradkluft oder ein Motorrad besitzt. Weiter räumte er ein, dass in einem Fall der Hinweis wohl "durchgerutscht" sein muss, jedenfalls könne er sich nicht an solch einen Hinweis erinnern, erklärte der Ermittler, was Nitschmann mit dem Satz: "Wissen Sie, was mir auffällt? Aber irgendwie rutschen Ihnen immer die Dinge durch, die möglicherweise ein bisschen entlastend sein könnten", quittierte. Nitschmann zeigte sich höchst verwundert darüber, dass aus seiner Sicht sehr genauen Hinweisen nicht nachgegangen wurde. So sei es im Falle des Zeugen gewesen, der den Caddy auf der Autobahn gesehen haben will, aber auch bei der Aussage des Zeugen, der den Wagen am 14. April 2021 auf der B6 gesehen haben will. "Jetzt fällt mir beim Lesen der Akte auf, dass da jemand das Kennzeichen "GS-KK-31" gesehen hat und der Mann wird nicht vernommen? Sie haben jeden Blödsinn gemacht, sogar Pendlern sind sie nachgegangen. Aber dem gehen sie nicht nach."
Reichen die Beweise
?Die kommenden Verhandlungstage, die nun bereits bis in den April reinreichen, werden wohl auch nötig sein, um das zuweilen wirre Konstrukt aus Mutmaßungen, Aussagen, Indizien und Beweisen zu entwirren. Nitschmann kündigte bereits an, dass er noch etwas "in petto" habe.
Sollte die Kammer am Ende des Prozesses der Überzeugung sein, Karsten Manczak wurde von der Hand seines besten Freundes, dem Bundespolizisten Martin G., getötet worden sein, droht diesem eine lebenslange Haftstrafe. Sollte die Schuld nicht zweifelsfrei bewiesen werden, könnte G., Stand jetzt, Mitte April den Gerichtsaal als freier Mann verlassen. Der Prozess wird am 15. März fortgeführt.
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