Offener Brief: Lebenshilfen kritisieren dauerhaftes Tragen von Mundschutzen für Menschen mit Behinderung

Die Lebenshilfen aus Ostniedersachsen wenden sich an die Sozialministerin in einem offenen Brief.

Symbolbild.
Symbolbild. | Foto: Julia Seidel

Region. Die Arbeitsgemeinschaft Lebenshilfen Ostniedersachsen wendet sich in einem offenen Brief an Carola Reimann und kritisiert, dass die aktuelle Regelung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung „während der gesamten Aufenthaltsdauer“ diskriminierend ist. Wir veröffentlichen diesen Brief unkommentiert und ungekürzt.


Sehr geehrte Frau Sozialministerin Dr. Carola Reimann,
die neue „Niedersächsische Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus“, die am 6. Juni in Kraft getreten ist, setzt in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens die Lockerungen restriktiver Schutzmaßnahmen infolge der Corona- Pandemie für Niedersachsen fort. Sei es die Möglichkeit für öffentliche Veranstaltungen (bis zu 250 Personen), der erweiterte Betrieb für Sportveranstaltungen, Fitnessstudios sowie die weitere Öffnung des Schulbetriebes.
Bereits mit Wirkung zum 25. Mai durften auch endlich unsere Werkstätten für beeinträchtigte Menschen wieder Ihre Tore für Beschäftigte öffnen. Das haben die betroffenen Menschen mit großer Zustimmung und Disziplin quittiert. Umfassende Hygiene- und Schutzkonzepte sichern die Einhaltung von Abstandsgeboten, von Desinfektion, Händewaschen und nicht zuletzt das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung. Diese Masken werden, wie auch sonst üblich, dann getragen, wenn ein Mindest-Abstand nicht eingehalten werden kann bzw. bei Verlassen der Räumlichkeiten bzw. des Arbeitsplatzes.
Die Verordnung vom 5. Juni verschärft nun jedoch in Paragraph 10a, Abs. 6 die Anforderungen speziell für Beschäftigte in Werkstätten und Tagesförderstätten dahingehend, indem nunmehr durchgehend „...während der gesamten Aufenthaltsdauer...“ eine MN-Bedeckung zu tragen ist. Dies führt zu massiven Problemen und zu großer Unruhe unter unseren Beschäftigten. Die Arbeitsstättenverordnung gilt auch in Werkstätten. Dazu hält jede Werkstatt (WfbM) qualifizierte Fachkräfte für die personenzentrierte Anleitung und Unterweisung vor.
Unter diesen Umständen einer ganzen Gruppe von Menschen abzusprechen, sich an die Regeln zu halten, ist diskriminierend!
Weder Menschen ohne Behinderung noch mit Beeinträchtigungen ist eine derartige Anforderung menschlich zumutbar. Durchgehend für 7-8 Stunden am Tag eine Bedeckung zu tragen, also auch am Arbeitsplatz, wo Abstandsregeln eingehalten werden können, ist weder verhältnismäßig, noch zumutbar und auch nicht im Sinne des Infektionsschutzes zu vermitteln.

Die Erfahrungen der ersten Woche Öffnung zeigen vorbildlich, wie unsere Beschäftigten in der Lage sind, Distanz, Hygiene und Schutzmaßnahmen zu akzeptieren. Lediglich ein Bruchteil aller Zurückgekehrten muss angeleitet werden, was sich aus der individuellen Beeinträchtigung erklärt.
Menschen mit Beeinträchtigung erleben diese durchgängige Maskenpflicht als Diskriminierung, zumal es diese Sonderanforderung auch in anderen Lebens- und Arbeitsbereichen nicht gibt. Wir müssen davon ausgehen, dass viele Beschäftigte diesen Anforderungen nicht gerecht werden können und wieder vom Werkstattbetrieb ausgeschlossen werden (müssen).
WfbM und Tagesförderstätten haben umfassende und detaillierte Schutz- und Hygienekonzepte auf der Grundlage der BMAS-Arbeitsschutzstandards und der RKI-Empfehlungen auch mit vielen kreativen Maßnahmen (zum Beispiel Plexiglas-Schutzwände am Arbeitsplatz zusätzlich zum Mindestabstand), um für die schrittweise Wiederinbetriebnahme der Einrichtungen gewappnet zu sein. Den Einrichtungen ist es ein großes wie auch selbstverständliches Anliegen und sie tun alles dafür, um den Schutz der Menschen mit Beeinträchtigung und des Personals so weit wie irgend möglich zu gewährleisten und ein Infektionsrisiko zu minimieren.
Wir bitten Sie daher dringend, im Interesse der Menschen mit Behinderung, die durchgehende Maskenpflicht in WfbM und Tagesförderstätten so schnell wie möglich wieder aufzuheben.
Mit freundlichen Grüßen
Für die Unterzeichner
Lebenshilfe Goslar gem. GmbH, Clemens Ahrens, Geschäftsführer
Lebenshilfe Peine- Burgdorf gem. GmbH, Uwe Hiltner, Geschäftsführer
Lebenshilfe Salzgitter e.V., Carolina Kalisch, Geschäftsführerin LebenshilfefürMenschenmitBehinderungSeelzee.V., ChristianSiemers,Vorstand Lebenshilfe Wolfsburg gem. GmbH, Marcus Weinreich, Geschäftsführer
Ostfriesische Beschäftigungs-und Wohnstätten GmbH, Burkhard Zirpins, Geschäftsführer Lebenshilfe Wolfenbüttel-Helmstedt gem. GmbH, Bernd Schauder, Geschäftsführer
Harz-Weser-Werke gGmbH, Ditmar Hartmann, Geschäftsführer Lebenshilfe Nordhorn gem. GmbH, Thomas Kolde, Geschäftsführer Lebenshilfe Grafschaft Bentheim e. V, Thomas Kolde, Geschäftsführer Lebenshilfe Braunschweig gem. GmbH, Detlef Springmann, Geschäftsführer


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