Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), Christine Lüders, hat ein positives Fazit des Projekts „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ gezogen. „Unser Pilotprojekt hat gezeigt, dass anonymisierte Bewerbungen den Fokus auf die Qualifikation der Bewerbenden lenken und dabei gut umsetzbar sind“, sagte Lüders bei der Vorstellung des Abschlussberichtes in Berlin.
[image=5e1764d7785549ede64cd1f1]Am bundesweit ersten Pilotprojekt zu anonymisierten Bewerbungsverfahren hatten sich im Zeitraum von November 2010 bis Dezember 2011 fünf Unternehmen und drei öffentliche Arbeitgeber beteiligt; 246 Stellen wurden besetzt, mehr als 8.550 Bewerberinnen und Bewerber haben sich anonymisiert beworben.
„Alle Bewerbenden hatten innerhalb des Verfahrens die gleiche Chance auf eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch – unabhängig davon, ob sie potentiell von Diskriminierung betroffen sind oder nicht“, sagte Lüders. Das zeige die wissenschaftliche Auswertung des Projekts durch das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und durch die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina (KOWA) in Frankfurt (Oder). Entscheidend sei dabei die Qualifikation der Bewerbenden gewesen, nicht ihr Aussehen, Geschlecht oder die Herkunft.
Im Vergleich mit klassischen Bewerbungsverfahren gibt es darüber hinaus Anzeichen dafür, dass Frauen von anonymisierten Bewerbungsverfahren besonders profitieren könnten, sagte Lüders. Das gelte etwa für jüngere Frauen, die bereits Berufserfahrung haben und zum Beispiel wegen eines möglichen Kinderwunsches bislang schlechtere Chancen hatten. Für Bewerbende mit Migrationshintergrund gilt: Hatten sie zuvor geringere Chancen auf eine Einladung, haben sich diese nach der Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren verbessert.
Auch die Einschätzung vieler Personalverantwortlicher im Pilotprojekt fiel positiv aus. Das Fehlen persönlicher Angaben in den Bewerbungsunterlagen wie Name, Geschlecht, Alter und Familienstand stellte für die Mehrheit der Personalverantwortlichen kein Problem dar, sagte Lüders. Viele Beteiligte hätten positiv angemerkt, dass die Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren eine Diskussion der bisherigen Rekrutierungspraxis in der entsprechenden Organisation angeregt habe.
Einige Personalverantwortliche der Organisationen, bei denen sich keine signifikanten Effekte gezeigt hatten, stellten dabei fest, dass ihre bisherigen Rekrutierungsverfahren den Aspekt der Diversität bereits umfassend berücksichtigt hatten und deshalb anonymisierte Verfahren kein zusätzliches Potenzial entfalten konnten.
Eine Umfrage unter Bewerbenden, die ein standardisiertes Bewerbungsformular ausgefüllt haben, ergab darüber hinaus eine deutliche Zustimmung zum Konzept anonymisierter Bewerbungsverfahren. Bei der Frage nach der Präferenz zeigte sich, dass eine Mehrheit das anonymisierte Bewerbungsverfahren bevorzugt. Deutlich wurde auch, dass Bewerbende gut mit dem neuen Verfahren zurechtkommen. 75 Prozent der Befragten gaben an, dass sie für die anonymisierte Bewerbung weniger Zeit benötigten als in herkömmlichen Verfahren oder dass es keinen Unterschied für sie mache, mit welchem Verfahren sie sich bewerben.
Mehrere der beteiligten Partner wollen nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auch in Zukunft mit Teil- oder Voll-Anonymisierungen arbeiten. Darüber hinaus planen die Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz weitere Pilotprojekte, auch mehrere Unternehmen und Kommunen haben ihr Interesse an dem Verfahren angemeldet.
Der FDP-Innenpolitiker Jan-Christoph Oetjen plädiert dafür, das Verfahren für anonyme Bewerbungen jetzt auch in der Landesverwaltung zu nutzen. „Wir waren uns vor knapp einem Jahr im Landtag darin einig, erst einmal das Ergebnis des Pilotversuchs abzuwarten. Das liegt jetzt vor und es wird deutlich: Anonyme Bewerbungen sorgen für Chancengleichheit“, sagt Oetjen. Auch Unternehmen könnten Schritt für Schritt dazu übergehen. „Einen Leitfaden für Arbeitgeber dazu gibt es bereits.“
Oetjen erhofft sich auf lange Sicht eine andere Bewerbungskultur. „Die Chance auf den Job sollte nicht mehr vom Foto oder von einem vermeintlich ausländisch klingenden Namen abhängen. Beim anonymisierten Bewerbungsverfahren geht es allein um die Qualifikation des Bewerbers“, so Oetjen. „Das Pilotprojekt sollte uns jetzt zu einem Umdenken bringen. Auch die Personalverantwortlichen sind mit den Ergebnissen des Projekts zufrieden. Von anonymisierten Bewerbungen können alle profitieren.”
Lüders: „Anonymisierung wirkt. Sie stellt Chancengleichheit her und macht Bewerbungsverfahren fairer. Und: Weitere Unternehmen und Personaler beginnen jetzt, ihren bisherigen, traditionellen Ansatz zu überdenken. Das ist ein gutes Signal für eine neue Bewerbungskultur in Deutschland“.
Statements der Beteiligten
Dirk-Ulrich Mende, Oberbürgermeister Celle: „Das anonyme Bewerbungsverfahren sorgt für deutlich mehr Transparenz, Objektivität und Chancengleichheit bei den Auswahlverfahren und ist ein wichtiger Baustein zu einer diskriminierungsfreien Arbeitswelt. Wir werden das Verfahren fortsetzen, weiterentwickeln und andere von unserem Weg überzeugen.“
Yvonne von de Finn, Personalleiterin L‘Oréal Deutschland: „Vielfalt und Chancengleichheit sind seit vielen Jahren fester Bestandteil der Unternehmensphilosophie von L‘Oréal und wichtige Pfeiler für den Erfolg unseres Unternehmens. Die Teilnahme an dem Projekt „Anonyme Bewerbungen“ der Anti-diskriminierungsstelle war für uns eine gute Möglichkeit zu testen, ob wir durch dieses Verfahren die Vielfalt der Mitarbeiter im Unternehmen noch weiter fördern können. Im Laufe des Projektes hat sich gezeigt, dass unsere Personalverantwortlichen durch unsere seit vielen Jahren durchgeführten Diversity-Seminare bereits sehr offen und sensibilisiert für das Thema sind.“
Melanie Koschorek, MYDAYS, Leiterin Human Resources: „Das anonymisierte Bewerbungsverfahren passt sehr gut in unsere offene Unternehmenskultur. Wir suchen die besten Mitarbeiter für unser Unternehmen. Mit dem anonymisierten Bewerbungsformular agieren wir neutral und fokussieren uns auf die Qualifikationen der Bewerber. In Zukunft werden wir das neue und das herkömmliche Verfahren flexibel einsetzen.“
Ulrich Kugler, Human Resources Manager, Procter & Gamble, Berlin: „Procter & Gamble ist fest davon überzeugt, dass Vielfältigkeit und Integration Schlüssel unseres Geschäftserfolgs sind. Wir haben bereits gute Erfahrungen mit anonymisierten Bewerbungen im Rahmen eines computergestützten, zentralen Bewerbungsverfahrens für unsere Führungsnachwuchskräfte gemacht. Mit der Teilnahme an dem Pilotprojekt haben wir interessante Einsichten auch auf Werksebene gewonnen. Wir werden auch künftig unsere Prozesse weiter optimieren, um Vielfältigkeit innerhalb unserer Belegschaft sicherzustellen.“
Marc-Stefan Brodbeck, Leiter Recruiting & Talent Service Telekom: „Wir bekennen uns zur Vielfalt im Unternehmen und sind unter anderem Mitbegründer der Charta der Vielfalt. Deshalb haben wir längst ausgetretene Pfade in der Personalarbeit verlassen. In unseren Projekten zur Einstiegsqualifizierung benachteiligter Jugendlicher und zur Teilzeit-Ausbildung alleinerziehender Eltern haben wir uns beispielsweise bewusst für neue Talentgruppen geöffnet. Wir sehen Vielfalt im Unternehmen und Vielfalt der Perspektiven als einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor und haben schon seit langem unsere Bewerbungsprozesse entsprechend gestaltet, um die diskriminierungsfreie Personalauswahl sicherzustellen.“
Christiane Schönefeld, Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit: „Die aktive Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit am Arbeitsplatz ist schon lange Teil unserer Geschäftspolitik. Das anonymisierte Bewerbungsverfahren ist für uns ein weiterer Baustein zur Verwirklichung echter Chancengleichheit. Darüber hinaus zeigen unsere Erfahrungen, dass ein Arbeitgeber für Bewerberinnen und Bewerber interessanter wird, wenn er dieses Verfahren anbietet. In Zeiten wachsenden Fachkräftebedarfs kann das anonymisierte Bewerbungsverfahren so eine zusätzliche Option zur Fachkräftegewinnung sein. Wir werden unsere Führungskräfte auch weiterhin mit Hilfe des anonymisierten Bewerbungsverfahrens rekrutieren.“
Josef Hecken, Staatssekretär des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Die Ergebnisse des Pilotverfahrens der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bewerte ich als uneingeschränkt positiv, denn sie belegen, dass eine Anonymisierung tendenziell Chancengleichheit für alle Bewerbungsgruppen herstellt. Besonders erfreulich ist die Verlagerung des Fokus auf die Qualifikation. Auch wenn das Bundesministerium bereits in der Vergangenheit seine Personalauswahl vorurteils- und diskriminierungsfrei durchgeführt hat, ist durch die anonymisierten Bewerbungen ein wichtiger Schritt zur weiteren Sicherung und Verstetigung dieser Personalauswahl erreicht worden. Wir werden deshalb anonymisierte Bewerbungsverfahren dauerhaft einführen, zumal auch Befürchtungen, es verkompliziere die Auswahlverfahren, nicht bestätigt wurden. Unser Ziel ist es, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, die auch die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Anonymisierte Bewerbungsverfahren tragen zur Erreichung dieses Zieles bei.
Susanna Nezmeskal-Berggötz, Leiterin der Abteilung Corporate Culture, Deutsche Post DHL: „Als global agierender Konzern mit rund 470.000 Beschäftigten in allen Regionen der Welt gehört es zu unseren selbstverständlichen Grundsätzen bei den Beschäftigen keinen Unterschied wegen der Nationalität oder ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Orientierung oder einer Behinderung zu machen. In unserem steten Bemühen unsere erfolgreiche Rekrutierungspraxis weiter zu verbessern, haben wir uns dennoch gerne an dem Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle beteiligt. Dabei haben wir gelernt, dass unser bestehendes nicht-anonymisiertes Bewerbermanagement alle Aspekte der Chancengleichheit bereits gewährleistet.“
Hintergrund
Das Pilotprojekt wurde während der gesamten Dauer wissenschaftlich begleitet und im Anschluss umfassend ausgewertet. Dafür hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) aus Bonn und die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt der Europa-Universität Viadrina (KOWA) in Frankfurt (Oder) gewonnen. Bei den Projektpartnern handelt es sich im Einzelnen um die Deutsche Post DHL, die Deutsche Telekom, das Kosmetikunternehmen L´Oréal, den Geschenkdienstleister mydays, den Konsumgüterkonzern Procter & Gamble, das Bundesfamilienministerium, die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Stadtverwaltung von Celle.
In dem Pilotprojekt arbeiten die Beteiligten mit insgesamt vier verschiedenen Varianten der Anonymisierung: einem standardisierten Bewerbungsformular (zum Herunterladen aus dem Internet oder als Online-Maske), dem Blindschalten sensibler Daten durch ein Online-System, der Übertragung von Bewerber/innen-Daten in eine Tabelle und dem Schwärzen per Hand oder im pdf-Dokument.
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