Die Organisierte Kriminalität (OK) ist und bleibt eine Bedrohung der wirtschaftlichen, rechtsstaatlichen und gesellschaftlichen Wurzeln unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, betonte Innenminister Uwe Schünemann anlässlich der Vorstellung des Gemeinsamen Lagebildes von Polizei und Justiz zur Organisierten Kriminalität für die Jahre 2009 und 2010 in Niedersachsen.
„OK ist ein komplexes Kriminalitätsphänomen, in dem über einen längeren Zeitraum Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und die Täter dabei sehr strukturiert vorgehen. Polizei und Justiz müssen deshalb entsprechend erfolgreiche Bekämpfungsstrategien dagegen setzen.“ Mit der Umorganisation der Polizei im Jahre 2004 sind zur Bekämpfung schwerer Straftaten und der OK in jeder Polizeidirektion die Zentralen Kriminalinspektionen (ZKI) eingerichtet worden.
Dort werden neben Verfahren der OK auch herausragende Fälle der Banden- und Wirtschaftskriminalität bearbeitet. An allen 11 niedersächsischen Staatsanwaltschaften wurden spezialisierte OK-Dezernate aufgebaut. Gemeinsam stellen
sich die Ermittler der schwierigen Aufgabe. Seepiraterie neuer Stützpfeiler der internationalen organisierten Kriminalität Die zunehmenden Aktivitäten der Piratengruppen vor der Küste Somalias erforderten auch die Einbindung niedersächsischer Polizeidienststellen, da hier viele deutsche Reedereien ihren Sitz haben.
In der Statistik für das Lagebild „Organisierte Kriminalität“ erscheinen diese Verfahren nicht, da es sich um reine Auslands-OK handelt. Dennoch waren eine Reihe von OK-Ermittlern des LKA sowie OK-Dezernenten der Staatsanwaltschaft Osnabrück und Aurich mit den Ermittlungen zu den vier gekaperten Schiffen mit Niedersachsenbezug befasst. „Ich habe mich deshalb bei der letzten IMK dafür eingesetzt, dass bei der Seepiraterie, als einer besonders schwerwiegenden Form der OK, die Zuständigkeit auf eine Bundesbehörde übertragen werden sollte.“ erläutert Uwe Schünemann.
„Dazu wurde unter der Leitung von Niedersachsen und des BMI eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, um die künftigen Möglichkeiten zum Schutz deutscher Handelsschiffe und zur Bekämpfung der Seepiraterie zu prüfen und Änderungs- und Ergänzungserfordernisse zu formulieren. Das ist ein erster guter Schritt in die richtige Richtung.“ Erfolgreiche Ermittlungen erhöhen Anzahl der OK -Komplexe In Niedersachsen wurden im Jahr 2010 insgesamt 67 OK-Komplexe bearbeitet, nach 55 im Jahr 2009. 52 (2009: 38) Ermittlungskomplexe waren bei niedersächsischen Polizeidienststellen anhängig, 15 (17) wurden durch Dienststellen des Bundes (Bundespolizei, Zoll und BKA) geführt.
Zurückblickend auf die letzten Jahre wurde somit im Jahr 2010 in Niedersachsen die höchste Zahl an OK-Verfahrenskomplexen bearbeitet. Dies zeugt insbesondere von einer entsprechenden Schwerpunktsetzung in Niedersachsen. Denn nur wenige Verfahren werden durch eine Anzeige eingeleitet – meist ergeben sie sich aus eigenen Ermittlungen und Auswertungen der Polizei. [Im Vergleich mit den anderen Bundesländern liegt NI in der Anzahl der OK-Komplexe
auf dem vierten Rang (BY: 98, NW: 90 und BE: 78)].
Der Schwerpunkt der polizeilichen Ermittlungen lag wie in den Vorjahren mit ca. 41 Prozent (2009: ca. 45 Prozent) bei der Bekämpfung des Rauschgifthandels bzw. -schmuggels. In diesem Kriminalitätsbereich dominierten der Handel und Schmuggel von Kokain und Cannabisprodukten. Die Steuer- und Zolldelikte lagen im Jahr 2010 mit ca. 12 Prozent (2009: ca. 9 Prozent) nach 2008 wieder an zweiter Stelle. Es handelte sich hierbei überwiegend um Deliktsbereiche rund um
den Zigarettenschmuggel.
Eigentumsdelikte in der OK nehmen zu
Im Jahr 2010 war auffällig, dass die Aktivitäten der Organisierten Kriminalität im Bereich der Eigentumskriminalität deutlich zugenommen haben. Nach Rückgängen in den letzten Jahren erhöhte sich der Anteil der Eigentumskriminalität gegenüber dem Vorjahr von 5 auf über 11 Prozent und ist damit das dritthäufigste Handlungsfeld der OK.
Hier dominierten 2010 die Kfz-Sachwertdelikte, oftmals in Kombination mit der Verwendung von ge- und verfälschten Kraftfahrzeugpapieren. Von diesen Praktiken der OK-Täter kann auch jeder Bürger unmittelbar betroffen werden. (siehe anl. Beispiel).
„Dem Bürger kann ich hier nur zu besonderer Vorsicht bei Geschäften „auf der Straße“ raten: also z. B. auf Autobahnrastplätzen oder bei Treffen in Gaststätten oder in Restaurantketten. Im Zweifelsfall lieber kein Geschäft machen, notieren Sie sich mindestens aber die Daten von Ausweispapieren der vermeintlichen Verkäufer. Die Echtheit von ausländischen Dokumenten sollte besser vor dem Abschluss eines Verkaufes bei der Zulassungsstelle geklärt werden“,
warnte Schünemann eindringlich.
Schaden in zweistelliger Millionenhöhe
Der Gesamtschaden durch die Organisierte Kriminalität in Niedersachsen wird für das Jahr 2010
auf über 35 Mio. Euro geschätzt, nach ca. 34 Mio. Euro im Jahr 2009. Die Gewinne für die Tätergruppierungen aus diesen Straftaten belaufen sich auf ca. 31 Mio. Euro
(2009: ca. 45 Mio. Euro).
Im Rahmen von Finanzermittlungen konnten 2010 insgesamt ca. 5,4 Mio. Euro (2009: ca. 3,7 Mio. Euro) vorläufig gesichert werden. Die Sicherstellungsquote erhöhte sich dementsprechend von 8,3 Prozent auf 17,4 Prozent im Jahr 2010.
Schünemann: „Trotz dieser erheblichen Sicherstellungsmaßnahmen werden wir weiterhin ein besonderes Augenmerk darauf legen müssen, noch mehr kriminelle Gewinne der OK-Täter abzuschöpfen. Die in den Jahren 2009 und 2010 erreichten Abschöpfungsquoten gilt es weiter zu erhöhen.“
Tatverdächtige mit 58 Nationalitäten
Die Ermittlungen richteten sich im Jahr 2010 gegen 969 Tatverdächtige aus 58 verschiedenen Staaten. Damit wurden deutlich mehr Tatverdächtige aus verschiedenen Staaten ermittelt als im Jahr 2009 (765 TV aus 51 Staaten). Deutsche Tatverdächtige (464) dominierten wiederum vor den Tatverdächtigen mit türkischer Staatsangehörigkeit. Anzumerken ist, dass ein nichtunerheblicher Anteil der deutschen Tatverdächtigen in anderen Staaten geboren ist. Beim
Migrationshintergrund der deutschen Tatverdächtigen steht an erster Stelle Russland, gefolgt von der Türkei und dem Libanon. Die Aktivitäten der deutschen Tätergruppierungen verteilen sich im Wesentlichen auf die Bereiche
der Rauschgiftkriminalität, Wirtschaftskriminalität und der Eigentumsdelikte, während z. B. die türkisch oder nigerianisch dominierten Tätergruppierungen fast ausnahmslos im Rauschgiftbereich aktiv sind.
Rockerkriminalität
In den vergangenen Jahren und insbesondere 2010 ist das Phänomen der „Rockerkriminalität“ immer stärker in den polizeilichen Fokus gerückt.
Der sogenannte „Friedensschluss von Hannover“ zwischen den Hells Angels und Bandidos MC im Mai 2010 hat an den konfliktträchtigen Expansionsbestrebungen offenkundig wenig geändert. Die von den Mitgliedern der Rockergruppierungen begangenen Straftaten sind sehr oft den typischen Deliktsfeldern der Organisierten Kriminalität zuzuordnen.
Bei den kriminellen Hauptaktivitäten der Rockergruppierungen spielen neben den diversen Gewaltdelikten der Handel mit Betäubungsmitteln sowie der Waffenhandel und -schmuggel eine wichtige Rolle. Dazu wurden in Niedersachsen in 2010 drei OK-Verfahren durchgeführt. Bei polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen werden mittlerweile neben gefährlichen Gegenständen regelmäßig Schusswaffen sichergestellt. Beispiele dazu sind in der Anlage aufgeführt.
Intensive Maßnahmen und Konzeptionen
Die Landesregierung reagierte bereits 2005 mit einer umfangreichen Rahmenkonzeption auf die sich damals schon abzeichnende Expansion von Rockergruppierungen. Damit einhergehend ist im Landeskriminalamt Niedersachsen in der Zentralstelle Organisierte Kriminalität eine Ermittlungsgruppe eingerichtet worden. Aufgabe dieser Ermittlungsgruppe ist neben der Erstellung und Fortschreibung eines Landeslagebildes das schwerpunktmäßige Führen von Ermittlungen in straf- und gefahrenabwehrrechtlichen Einzelverfahren.
Darüber hinaus gewährleistet sie als Zentralstelle das Informationsmanagement in diesem Phänomenbereich. Die allgemeine Informationsgewinnung zu den Motorradclubs und die gezielte Informationsbeschaffung im Deliktsbereich „Rockerkriminalität“ obliegt vorrangig den Polizeidienststellen in der Fläche des Landes Niedersachsen.
Im Jahr 2010 wurde durch eine Bund-Länder-Projektgruppe unter intensiver niedersächsischer Beteiligung die bundeseinheitliche strategisch-taktische Rahmenkonzeption „Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität“ entwickelt.
Damit werden die polizeilichen Maßnahmen bundesweit gegen „Rockerkriminalität“ auf einer standardisierten Grundlage umgesetzt. Hervorzuheben ist der ganzheitliche Ansatz der Konzeption, d. h. es erfolgt eine enge Zusammenarbeit der Polizeibehörden mit der Staatsanwaltschaft, den Finanzbehörden, bestimmten Stellen der Kommunalbehörden bis hin zu Unternehmen der Wirtschaft.
Das Niedersächsische Innenministerium hat diese Rahmenkonzeption nicht nur für verbindlich erklärt, sondern darüber hinaus in einigen Punkten noch konkreter gefasst. So werden seitdem in Niedersachsen z.B. sämtliche Straftaten von Rockern in den Zentralen Kriminaldiensten bearbeitet und hier alle verschiedenen Straftaten bei denselben Rocker-Ermittlungsbeamten konzentriert. Damit werden Erkenntnisse gebündelt und die Bearbeitung der Strafverfahren optimiert.
Unbeschadet der intensiven – bundesweiten – polizeilichen Zusammenarbeit haben wir den Verbund der Norddeutschen Küstenländer besonders eng gestaltet. Ergebnisse dieser Kooperation sind nicht nur jährliche Lagebilder oder aktuelle Übersichten sondern ein ständiger intensiver Informationsaustausch über die betreffenden Landeskriminalämter.
Nochmals intensiviert haben wir auch die interne und externe Öffentlichkeitsarbeit zur Rockerkriminalität. Dazu hat das LKA NI im Mai 2010 ein internationales Rockersymposium durchgeführt, unter Beteiligung von Fachexperten aus den USA und von Europol. In der Folge wurden auch in verschiedenen Polizeidienststellen diverse Fortbildungs- und Sensibilisierungsveranstaltungen durchgeführt. Nicht zuletzt hat die Polizei ihre Kontrollmaßnahmen erhöht; auch im Steintor-Bereich in Hannover, der verschiedene Verflechtungen zum Hells Angels MC Hannover aufweist. Selbstverständlich werden auch regelmäßig vereinsrechtliche Verbote von einzelnen Chartern geprüft.
IT-Experten im Kampf gegen OK
Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität stellt Polizei und Justiz vor immer neue Herausforderungen. „Schon bei der Vorstellung der OK-Lage im Jahr 2009 habe ich die Einrichtung der Zentralstelle Internetkriminalität im Landeskriminalamt vorgestellt. Dies war eine Reaktion auch auf die immer intensivere Nutzung moderner Kommunikationsformen durch die OK.
In diesem Jahr habe ich die weitere Verstärkung der Bekämpfung der IuK-Kriminalität (Informations- und Kommunikations-Kriminalität) in den ZKI’en veranlasst. Dort werden jeweils 6 zusätzliche Beamte zur Bekämpfung dieser Kriminalitätsform sowie der strukturellen Korruption eingesetzt“, so Schünemann.
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