Wolfenbüttel. Im September brach die Wolfenbüttelerin Solveigh Geck mehr oder weniger spontan nach Südamerika auf. Über das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderte Projekt „weltwärts“ wollte sie ein Jahr ihren Freiwilligendienst absolvieren. Im Wolfenbüttelheute-de-Portrait erzählt sie von ihrer Arbeit in dem Entwicklungsland am Äquator.
Ihr unbändiger Drang nach Wissen, Abenteuer und Ferne ließ die studierte Heilpädagogin nach Möglichkeiten suchen, im Ausland zu arbeiten. „Ich hatte den großen Wunsch, etwas im Ausland zu machen. Außerdem wollte ich gerne in meinem Beruf arbeiten und dort arbeiten, wo mir meine Spanischkenntnisse hilfreich sein würden. Also habe ich mich im Internet auf die Suche gemacht und bin auf die Seite der IJGD gestoßen“, erklärt Solveigh Geck. Ihr war nicht wichtig, wohin die Reise ging. Hauptsache weg. Die Wahl fiel dann auf Ecuador. Die junge Frau bewarb sich auf einen der noch wenigen freien Plätze und wartete. Knapp zwei Monate später ging es los in Richtung Lateinamerika.
Die Kosten für das Projekt wurden zu 75 Prozent durch das Bundesministerium gefördert. Die restlichen 25 Prozent musste Solveigh Geck selber aufbringen. Innerhalb des Programms wurde sie aufgefordert, einen Förderkreis aufzubauen und mit Spenden die Durchführung des Programms zu unterstützen, sowie Öffentlichkeitsarbeit für entwicklungspolitische Themen zu leisten. "Ich habe diesen Förderkreis hier in Wolfenbüttel gegründet. Mit der Unterstützung vieler Freunde, Bekannte und der Kirche habe ich das Geld zusammenbekommen", freut sie sich über die große Hilfe aus ihrem Umfeld.
Viel erlebt: Die Wolfenbüttelerin am mächtigsten Wasserfall Ecuadors, San Rafael. Foto:
Alles hinter sich gelassen
Nachdem die Zusage vom Internationalen Jugendgemeinschaftsdienst (IJGD) kam, brach sie die Zelte in ihrer Wahlheimat Hannover ab. Dort hatte sie bis dahin als Heilpädagogin gearbeitet, hatte eine Wohnung und eine Beziehung. Ein großer Schritt, den die junge Frau gerne ging und bis heute nicht bereut hat. Im September des vergangenen Jahres brach die 26-Jährige zu ihrem Abenteuer auf. Puyo, die Hauptstadt der ecuadorianischen Provinz Pastaza, sollte für elf Monate ihre neue Heimat sein. 10.000 Kilometer von ihrer Familie, ihren Freunden und ihrer „Komfortzone“ entfernt, wollte sie mit Kindern mit Behinderungen arbeiten. Mit einigen wenigen Vorstellungen, was sie in dem Südamerikanischen Land erwartet, brach sie auf. „Es sollte mein letztes großes Abenteuer vor dem Erwachsenwerden sein. Ich dachte, wann, wenn nicht jetzt. Ein großer Traum von mir hat sich damit erfüllt. Die Entwicklungshilfe ist etwas ganz wertvolles“, erzählt Solveigh Geck strahlend.
Solveigh und eine Mitfreiwillige auf einem Klassenausflug der Einschulungsklasse aus Puyo. Foto:
Schule dort ist nicht viel anders
Solveigh war in der “Unidad de Educacion Especizada Puyo”, eine Förderschule am Rande Puyo, nahe des Amazonas, stationiert. An der dortigen Schule werden knapp 120 Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichem Förderbedarf unterrichtet. „Eigentlich wird dort nicht anders unterrichtet, als hier bei uns. Es gibt Psychologen, Physio-, Ergo- und Sprachtherapeutinnen und einige Lehrer arbeiten sogar nach der Waldorf-Pädgogik. Natürlich sind die Methoden etwas im Rückstand, es ist eben ein Entwicklungsland. Und es sind nicht immer ausgebildete Fachkräfte, sondern ganz normale Lehrer, die die Arbeit in den Förderschulen übernehmen. Auch die Eltern unterstützen die Schularbeit und nehmen an ganzen Unterrichtstagen teil. Es läuft dort alles weniger kompliziert. Es wird mit viel mehr Gelassenheit und weniger Bürokratie gearbeitet. Man braucht keine Zertifikate, um eine Reittherapie durchzuführen. Da wird das Kind auf ein Pferd gesetzt und dann geht es los. Ganz einfach", erklärt sie.
Solveigh eine mutistische Schülerin beim Spielen im Klassenraum. Foto:
Besonders beeindruckt hat sie, dass Inklusion dort nicht betrieben werden muss, weil es gar nicht notwendig ist. „Menschen mit Beeinträchtigungen werden dort einfach von der Gesellschaft aufgenommen. Sie müssen nicht inkludiert werden, weil sie nie exkludiert waren. In diesem Punkt, so wie in vielen anderen Dingen, haben uns die Menschen dort einiges voraus“, sagt sie.
Ihre Arbeit bestand hauptsächlich darin, die dortigen Lehrer zu unterstützen. Sie begleitete den Unterricht und bereitete diesen vor. Solveigh konnte die Kinder während ihrer Wassertherapie begleiten und sich auf einzelne Schüler konzentrieren. Hier standen dann Massagen, Bastelaktionen, Bewegungstherapien und Aufmerksamkeitstraining auf dem Programm. Außerdem hat sie mit autistischen Kindern gearbeitet. Ihre Arbeit dort machte es möglich, sich mit Kindern in Einzelsitzungen intensiv zu beschäftigen. „Ein wichtiger Teil meiner Arbeit und auch ein Grund, warum ich erst nach dem Studium an solch einem Projekt teilgenommen habe, ist, dass auch ich ein Stück meiner Erfahrung dort einbringen wollte. Ich finde es nämlich ebenso wichtig, dass wir unseren Fortschritt und unsere Therapiemöglichkeiten den dortigen Lehrern mitteilen. Das alles hätte ich direkt nach dem Abitur nicht gekonnt. So konnte ich etwas von Deutschland nach Puyo bringen und vielleicht dafür sorgen, dass einige Maßnahmen, die ich dort angewendet habe, nachhaltig weitergeführt werden. Ich kann nur jedem empfehlen, erst nach der Ausbildung an solchen Projekten teilzunehmen. Das bringt beiden Seiten sehr viel mehr “, erklärt sie.
Solveigh an der Lianen-Schaukel, die ihr später zum Verhängnis wurde. Foto:
Abruptes Ende
Nach nur sieben Monaten musste Solveigh Geck ihren Aufenthalt in Ecuador abbrechen. Eine Lianen-Schaukel im Urwald wurde ihr zum Verhängnis. Was vielleicht lustig kling, hätte für sie böse enden können. Sechs Meter ging es für sie in die Tiefe, als sie von der Schaukel stürzte und sich den Arm brach. „Die medizinische Versorgung in Ecuador war zu meiner eigenen Verwunderung sehr gut. Ich wurde dort operiert und alles schien auch gut zu verheilen. Irgendwann merkte ich aber, dass ich in meiner Bewegung noch sehr eingeschränkt war und die Aussicht, dass ich in Ecuador vollständig geheilt werde, war eher gering. Also habe ich mich schweren Herzen entschlossen, das Projekt abzubrechen und mir in Deutschland medizinische Hilfe zu holen. Hier kann ich mich nun ganz auf die Rehabilitation konzentrieren. Denn für meinen Beruf ist es enorm wichtig, dass mein Arm gesund und belastbar ist“, erklärt sie.
Kein Abschied für immer
In Ecuador hat sie Wurzeln geschlagen. Dort hat sie Freunde und so etwas wie eine zweite Familie gefunden. „Ecuador ist großartig. Es ist ein kleines Land mit großen Möglichkeiten. Ich habe dort viele Menschen kennen und schätzen gelernt. Ich habe noch immer Kontakt zu meiner Gastfamilie und schicke Pakete hin. Das möchte ich auch weiterhin. Ich habe dort Wurzeln geschlagen und möchte unbedingt irgendwann wieder dorthin zurückkehren. Ich weiß noch nicht wann, aber irgendwann kommt die Zeit“, sagt sie entschlossen. Auch für ihr weiteres Leben schließt sie einen längeren Aufenthalt im Ausland nicht aus. Irgendwann, irgendwo. Die Welt ist groß und steckt voller Überraschungen und Abenteuer. Die will sie erleben.
Solveigh und andere deutsche Freiwillige und Freunde in Papallacta. Foto:
Für´s Leben gelernt
„Obwohl Ecuador als Entwicklungsland gilt, sind uns die Menschen dort in vielen Dingen weit voraus. Oder gerade weil sie in eine Art Rückstand sind, zählen andere Werte. Die Menschen interessieren sich viel mehr für ihre Mitmenschen. Familie und Religion spielen eine wichtige Rolle. Es wird intensiver kommuniziert und am Leben der Anderen teilgenommen. Sind offen gegenüber anderen Kulturen und neugierig. Man wird schnell aufgenommen, weil die Einwohner aufgeschlossen und fröhlich sind. Es herrscht dort nicht so ein eingefahrener Trott wie hier. Und, und das ist wahrscheinlich der größte Unterschied, die Menschen sind so bodenständig, gelassen und unkompliziert. Sie müssen sich größtenteils selber versorgen, bauen Obst und Gemüse an und leben von eigener Tierzucht. Es kann also durchaus passieren, dass man in einem Bus neben einer Frau mit Hühnern auf dem Schoss sitz. Oder auf dem Nebensitz ein Mann mit einem Eimer Fische Platz nimmt. Und das ist alles gut so und stört die Mitmenschen überhaupt nicht. Es ist eben ganz normal“, schwärmt Solveigh Geck.
Eine Erfahrung soll auch ihr Leben in Deutschland beeinflussen. Das Gefühl, fremd in einem Land zu sein. „Es ist sehr schwer, sich auf eine andere Kultur einzulassen. In Ecuador wurde mir das Eingewöhnen leicht gemacht, weil ich toll aufgenommen wurde. Aber es ist eine gute und wichtige Erfahrung, zu spüren, wie es ist, wenn man Ausländer ist. Die Menschen sehen anders aus, sprechen eine andere Sprache, haben andere Rituale und Traditionen. Und doch wird man in diesem fremden Land angenommen. Diese Erfahrung hat mir viel gebracht und ich würde mich auch gerne hier in Deutschland in der Flüchtlingshilfe engagieren“, erzählt sie.
Verabschiedung aus der Schule - Kollegen, Eltern und die Schüler veranstalteten eine Überraschungsfeier. Foto:
Das, so erzählt die junge Frau, sei etwas, was sie mitgenommen hat. Und sie hat gelernt, alles mit mehr Gelassenheit zu sehen und ein größeres Bewusstsein für Ressourcen entwickelt. „Viele Dinge sehen wir als hier als so selbstverständlich an und schätzen nicht, was wir eigentlich für ein komfortables Leben haben“, sagt sie. Und noch etwas hat Solveigh gelernt. „Wir Deutschen müssen uns trauen, einfach mehr ausbrechen und unsere Komfortzone zu verlassen. Wir sollten uns mehr öffnen und unsere eigene Welt entdecken. Raus aus dem Trott und weg von dem `immer auf den Kopf hören`. Wir sollten mehr auf unseren Bauch hören, neue Wege erkunden und mehr das tun, was uns das Gefühl sagt. Es ist wichtig, dass wir uns auf den eigenen Weg machen und in etwas aufgehen. Und das möchte ich für mich. Ich will noch viel öfter ausbrechen und aufbrechen“, schließt sie.
Wer mehr über die Projekte "weltwärts" der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste erfahren möchte, kann sich gerne bei Solveigh Geck melden. Über ihren Blog "Erlebnis Ecuador" steht sie für Fragen zur Verfügung.
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