Sie weiß, was sie will. Jacqueline Nanko ist gerade erst 20 geworden und schon fertige Mode-Designerin. Mit der Kollektion „herbal transcendence“ überzeugte sie in Hannover die Prüfungskommission der Fahmoda-Schule und erhielt nach dreieinhalb anstrengenden Jahren ihren Abschluß. Nun folgen Bewerbungen in verschiedenen Modemetropolen. Bis zum eigentlichen Ziel, als Kostümschneiderin beim Film zu arbeiten, bedarf es noch einiger Schritte und Schnitte.
Es klingelt. Der Wecker zeigt gerade mal halb vier. Es ist mitten in der Nacht. Jacqueline steht diszipliniert auf und macht sich fertig. Um 5.20 Uhr fährt ihr Zug nach Hannover in Braunschweig ab, schildert die angehende Designerin ihren Alltag und klingt wie eine Managerin. „Morgens im Zug sitzen schon komische Leute. Angst? Nee, Angst hatte ich eigentlich nie, höchstens davor, daß ich den Zug verpasse.“ 50 Minuten dauert die Fahrt, morgens hin, abends zurück. Meist ist die ehrgeizige Schülerin erst gegen 20 Uhr wieder zuhause.
Mit 16 Jahren schon 16 Stunden täglich unterwegs für einen Traum Foto:
Es klingelt wieder. Jacqueline Nanko öffnet mir die Wohnungstür ihres Elternhauses. Der modern umgebaute Bungalow liegt etwas versteckt. Unerwartet offenbart er innen zunächst einen großen lichtdurchfluteten Wohnbereich. Geschmackvoll eingerichtet, mit Kunst an den Wänden, spürt man sofort, hier ist Kreativität und Stil im Haus. Wie ein Mini-Catwalk führt ein langer schmaler Gang in Jacquelines Zimmer.
Dreieinhalb Jahre dauert die Ausbildung zur Mode-Designerin. Im ersten Jahr liegt der Schwerpunkt auf Zeichen- und Stoffkunde. Im folgenden kommen dann die technologischen Aspekte hinzu. Das dritte Jahr diene bereits der Prüfungsvorbereitung und bereite mit EDV und Fachenglisch auf den Beruf vor. Finanziert hat sie ihr Vater, denn Zeit für einen Nebenjob hatte die Schülerin nicht. Rund 500 Euro kostete die Ausbildung im Monat. Nun gäbe es aber ein Ultimatum, berichtet die Absolventin.
Mit dem Zimmer betritt der Besucher zugleich die Welt der jungen Frau. An den Wänden prangen handgemalte Bäume neben einer historischen Straßenlaterne, auf Kleiderbügeln hängen elfenartige Gewänder und über das romantischen Bett neigt sich eine große Ballonlampe. Die Vorhänge mit floralem Muster verschließen den Blick nach draußen an diesem Regentag. Später erzählt sie: „Mit 13 habe ich das erste Mal mein Zimmer gestaltet; damals waren es Drachen.“
Jacqueline wirkt selbst ein wenig elfenhaft. Ihre langen dunklen Haare umrahmen das akzentuiert geschminkte Gesicht und verfangen sich manchmal in den schlangenförmigen Ohrringen. Über ihrer dunklen Leggings trägt sie einen Lagenlook aus lila Glitzershirts und um ihren Hals baumelt ein geflochtenes Herz. Die damals 16-Jährige hatte sich nach ihrem Realschulabschluß bei der privaten Modeschule Fahmoda in Hannover beworben. „Eigentlich ist das Abitur Voraussetzung, aber so lange wollte ich nicht warten. Ich will schnell in den Beruf“, erklärt sie ganz sachlich.
An der Fahmoda machen die Schüler einen Doppelabschluß: neben dem Titel der staatlich anerkannten Modedesignerin hat Nanko dann auch einen Gesellenbrief als Maßschneiderin in der Tasche. Die Praxisnähe sei ihr wichtig, erklärt sie und gerät in Wallung, wenn sie über diejenigen Mitschüler spricht, die sie selbst als Poser bezeichnet. „Die tragen nur Markenklamotten und haben ein Bild von Designern, die morgens schon Champagner trinken.“ In dem Augenblick wird spürbar, wie stark die Jugendliche für ihren Weg gekämpft hat.
Als sie ihre Kollektion erläutert, ist alle anfängliche Schüchternheit und der kurze Ärger verflogen. Jetzt präsentiert sie selbstbewußt ihre Entwürfe. Das Thema „Transzendente Welten“ hat sich die 20-Jährige selbst ausgesucht. „Mich interessiert der Übergang in andere Sinneswahrnehmungen“, erläutert Nanko und erzählt, wie sie früher Fantasy-Geschichten schrieb. Ihre Kreativität habe sie von den Eltern, insbesondere vom kunstbegeisterten Vater, der Jacqueline schon in jungen Jahren mit zu Vernissagen nahm.
Inspiration holte sich die angehende Designerin im Wald und zeigt mir ihr Kreativbuch. Es dokumentiert die Ideen, Zeichnungen und Materialproben. „Eigentlich habe ich immer einen Block in der Tasche, um schnell was skizzieren zu können“, schildert die Modeschülerin. Das "Moodboard" ist Grundlage jeder Kollektion. Es soll die Stimmung und die Hintergedanken darstellen. Zu sehen sind Detailentwürfe, spezielle Muster von Mottenflügeln und Bilder von auffälligen Baumformationen. In einer Materialkiste finden sich Baumpilze, Wurzeln, Kristalle und Entenfedern, „weil die so schön glänzen.“
In fünf Minuten zeichne sie ein Outfit. Bis aus 100 Vorskizzen ein Kollektionsentwurf entsteht von 15 bis 20 Outfits, die miteinander harmonieren, dauere es einen Monat. Genäht werde jedes Einzelne dann in rund drei Tagen. Eine Besonderheit diesmal sind die Halbmasken aus Organza, in denen Zöpfe eingeflochten werden. „Die Augen werden verdeckt sein, denn das macht einen Menschen mehr zu einem Wesen.“ 1000 Euro Materialkosten kalkulieren die Schüler für eine Abschlußkollektion, die ganz branchenüblich innerhalb eines halben Jahres erstellt werde. Am 9. März im Theater am Aegidienplatz wird auch Jacqueline Nanko sie auf den jährlichen Fashion Finals der Fahmoda unter dem Motto "herbal transcendence" einem Fachpublikum präsentieren.
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Für Freunde bleibt bei solchem Pensum kaum Zeit. „Manchmal war das Durchhalten schwer. Eine richtige Jugend hatte ich nicht.“ In ihrer Klasse habe sie zwar den „Kükenstatus“ gehabt, aber letztlich sei man eben doch Konkurrenz, berichtet Nanko. Erst kürzlich, weil sie jetzt etwas mehr Zeit hat, habe sie über einen Sportverein neue Freunde gefunden. Früher hat sie viel Zeit mit ihrem Pferd verbracht. Im vergangenen Frühjahr mußte es aber eingeschläfert werden.
Langfristig möchte Jacqueline Nanko in der Region bleiben. „Ich hab nicht vor für immer wegzuziehen“, hält sie fest und berichtet von Bewerbungen in München und Berlin. Auch beim Braunschweiger Modeunternehmen New Yorker wird ihre Mappe bald auf dem Schreibtisch liegen. Für eine Karriere beim Film könnte sie sich auch vorstellen nach Amerika zu gehen.
An diesem Tag muß die Absolventin noch 30 Zöpfe aus Kunsthaar flechten. Aus denen näht sie anschließend verschiedene Muster, die auf die Kleider gestickt werden. Bis etwa 22 Uhr wird sie wohl arbeiten, lautet ihre Einschätzung. Es bleibt noch einiges zu tun bis zur Prüfung in einer Woche. Vier Outfits müssen dann fertig sein, zweieinhalb sind es erst. Am Prüfungstag wird sie die Erste sein. „Ich sehe das als Vorteil“, erklärt sie routiniert. Und ein klein wenig klingt Erleichterung durch, weil die anstrengende Schulzeit dann ein Ende hat.
Inzwischen hat Jacqueline Nanko ihren Abschluß in der Tasche. Sie ist nun examinierte Mode-Designerin. Einen Teil ihres Traums hat die Wolfenbüttelerin damit verwirklicht. Und sie ist immer noch blutjung mit 20 Jahren. Alle Wege stehen ihr offen.
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