Ein Jahr verbrachten die beiden Abiturienten des Theodor-Heuss-Gymnasiusm, Viktoria Wolf und Jannis Kettenring, in den USA. Eine Zeit, in der sie nicht nur lernten, sich in eine neue Familie einzufügen, neue Freunde zu finden und sich in jeder Lebenslage auf Englisch zu verständigen, sondern auch, sich mit den besonderen Gegebenheiten des American Way of Life auseinanderzusetzen.
Beide beschlossen ihre Erfahrungen als Grundlage für ihre CertiLingua Projektarbeit zu verwenden, die sie jetzt in einem Kolloquium dem elften Jahrgang des Theodor-Heuss-Gymnasiums vorstellten.
CertiLingua ist ein europäisches Zertifikat, das zusammen mit dem Abiturzeugnis vom Theodor-Heuss-Gymnasium für besondere Leistungen beim Erwerb moderner Fremdsprachen verliehen wird. Voraussetzungen sind u.a. die Belegung von zwei modernen Fremdsprachen und die Teilnahme am bilingualen Unterricht bis zum Abitur sowie die Durchführung und (englischsprachige) Dokumentation eines interkulturellen Projektes.
Die unmittelbare Nähe ihres Wohnortes zum Staatsgefängnis von Huntsville, in dem Texas größter Todestrakt untergebracht ist, motivierte Viktoria Wolf, sich ausführlicher mit den Lebensgeschichten und -umständen der zum Tode verurteilten Straftäter zu beschäftigen. Im Zusammenhang damit setzte sie sich auch mit der Frage nach der von vielen Amerikanern beschworenen Gerechtigkeit dieser Strafform auseinander. Eine Strafform, die auch schon junge Leute für human erachten, wie die Abiturientin in einer Umfrage unter ihren amerikanischen Mitschülern erfuhr. Zweifel an dieser Haltung kamen ihr jedoch insbesondere bei der Betrachtung der schwierigen psychologischen Situation der oft jahre-, ja sogar jahrzehntelang auf die Urteilsvollstreckung wartenden Häftlinge.
Bei ihren Untersuchungen fand sie zudem heraus, dass das Risiko in den USA als tatsächlicher oder vermeintlicher Gewaltverbrecher zum Tode verurteilt zu werden, umso höher ist, je niedriger der soziale Stand des Angeklagten ist. Häufig würden Hautfarbe oder die wirtschaftliche Situation darüber entscheiden, ob sich die Angeklagten einen guten Anwalt leisten können oder einen mitunter schlecht vorbereitenden Pflichtverteidiger erhalten, der ihre Interessen in der auch nicht immer auf schlüssiger Beweisführung gründenden Gerichtsverhandlung oft nur unzureichend vertritt. Wie Viktoria Wolf erfahren musste, hängt es bisweilen von der Motivation der Verteidigung ab, ob statt der Todesstrafe nur eine hohe Gefängnisstrafe verhängt wird.
Anstelle eines Fazits richtete sie einen eindringlichen Appell an ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, die Existenz der Todesstrafe in vielen Ländern nicht einfach hinzunehmen, sondern sich aktiv dagegen einzusetzen. Ein Erfolg scheint nicht ausgeschlossen. Zwar wird in einigen Regionen der USA der Tod durch die Giftspritze oder den elektrischen Stuhl weiterhin als angemessene Strafe für Kapitalverbrechen angesehen, doch immer mehr Amerikaner lehnen die Todesstrafe als inhuman und eines Rechtsstaates unwürdig ab.
Einem weniger tragischen, aber mitunter ebenso konfliktträchtigen Thema widmete sich Jannis Kettenring, der ein Jahr bei einer Gastfamilie im US-Bundesstaat Utah verbrachte. Er untersuchte kulturelle Unterschiede zwischen der religiös geprägten Lebensweise junger amerikanischer Mormonen und der säkularen Lebenswelt deutscher Jugendlicher. Grundlage hierfür waren seine Erfahrungen in einer Mormonen-Familie, in der der Tagesablauf ebenso wie die Freizeitgestaltung von gemeinsamen Gebeten, Bibelstudien und sozialem Engagement geprägt war. Während ihm die Anpassung an die Gebetsrituale schwerfiel und die Vorliebe seiner Freunde für Gruppendatings, wenn sich Jungen und Mädchen näher kommen wollten, fremd blieben, haben die Umgangsformen, z.B. die Verpflichtung zu absoluter Ehrlichkeit gegenüber den Mitmenschen, die auch das Schummeln in Klassenarbeiten und bösartige Lästereien unter Jugendlichen weitgehend ausschließen, sein eigenes Verhalten nachhaltig verändert.
Besonders beeindruckt hat Jannis Kettenring das große soziale Engagement mormonischer Jugendlicher. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit einen Teil ihrer Freizeit zum Beispiel damit zu verbringen, mit geistig Behinderten Fußball zu spielen.
Natürlich würden sich auch deutsche Jugendliche in ihrer Freizeit in sozialen Bereichen einbringen, aber doch weit seltener als amerikanische Mormonen. Die Ursache für diese unterschiedlichen Wertvorstellungen bzw. Prioritäten sieht der Neunzehnjährige zum einen in der starken Religiosität und Familienverbundenheit junger Mormonen, zum anderen in der starken Beeinflussung der deutschen Jugendlichen durch die Medien.
Natürlich seien auch für junge Mormonen Internet und Videospiele wichtig, sie würden aber nicht so eine große Sozialisierungsfunktion einnehmen, wie er es in seinem deutschen Freundes-und Bekanntenkreis beobachtet hat.
Welcher Einstellung der Vorzug zu geben ist, sei eine Frage der persönlichen Überzeugung, aber wenn ihn die Zeit in einem religiös dominierten Umfeld eines gelehrt hat, dann die Erkenntnis, keine voreiligen Urteile über die Lebensweise anderer Menschen zu fällen, sondern stattdessen Toleranz zu üben.
„Auch wenn ich ihren Glauben nicht geteilt habe, habe ich in Utah sehr viele sehr gute Freunde gewonnen, mit denen ich auch sehr viel Spaß hatte.“
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