Wolfsburg. Nicht erst seit der "Black Lives Matter"-Bewegung wird in Deutschland über den Namen "Mohren-Apotheke" diskutiert. In Frankfurt wurde der Name zum Politikum. Die Bochumer Mohren-Apotheke, die sich ausgerechnet gegenüber einer Straße namens "Deutsches Reich" befindet, ist ebenfalls immer wieder Inhalt von Diskussionen. Simona Faulhaber von den Wolfsburger Grünen hat jetzt angestoßen, das gleichnamige Wolfsburger Pharmaziehaus ebenfalls zu hinterfragen. Apothekeninhaberin Petra Grünwald will keinen Rassismus im Namen ihrer Apotheke erkennen und beruft sich darauf, dass der Name die "Mauren" ehre, die den Europäern in grauer Vorzeit die Medizin näher brachten. regionalHeute.de hat mit beiden Seiten gesprochen.
Faulhaber habe am Freitag vergangener Woche mit Apothekeninhaberin Petra Grünwald darüber gesprochen, ob sie ihre Apotheke nicht umbenennen wollte, sei aber dort auf taube Ohren gestoßen. "Wolfsburg ist eine internationale Stadt. Dieser Name ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Ich hatte ja gehofft, dass sie da selber drauf kommen würde. Man hätte ja auch eine Werbekampagne daraus machen können." In Berlin wird zurzeit genau das umgesetzt - Die dortige Verkehrsgesellschaft BVG benennt die Haltestelle "Mohrenstraße" um - zwar sorgt auch der neue geplante Name für Diskussionen, doch die Werbewirksamkeit ist nicht abzustreiten.
Noemi Zenk-Agyei ist 20 Jahre alt, in Wolfsburg geboren und studiert seit einem Jahr internationales und europäisches Recht in Den Haag. Die Wolfsburgerin bezieht Stellung in der Debatte um die Mohren-Apotheke in Wolfsburg. Foto: Privat
"Man muss sich über rassistische Sprache einfach mal Gedanken machen", regt Faulhaber an und beruft sich dabei explizit auf die Meinung Betroffener, wie die der afrodeutschen Wolfsburgerin Noemi Zenk-Agyei, die zurzeit Jura in Den Haag studiert: "Für Unbetroffene ist das Thema Rassismus vielleicht schwer greifbar, weil Sie ihn nie persönlich zu spüren bekommen. Doch Sie haben die Wahl sich über den Rassismus zu informieren. Ich, als Betroffene, deutsch-ghanaische Wolfsburgerin kann das nicht. Alltagsrassismus erlebe ich jeden Tag, nicht zuletzt durch geprägte Namen wie die 'Mohren-Apotheke' in meiner Heimatstadt", meint die Wolfsburgerin. Zenk-Agyei hat bereits vor zwei Jahren in einem persönlichen Gespräch das Thema bei einer Angestellten der Apotheke angesprochen, sei aber zurückgewiesen worden.
Eine Ehrung der Mauren
Petra Grünwald ist Inhaberin der seit den 50er Jahren bestehenden Mohren-Apotheke und sei die Diskussionen schon gewohnt: "Wir wurden in der Vergangenheit immer wieder direkt angesprochen oder haben E-Mails zu dem Thema bekommen. Aber wenn man denjenigen, die einen kritisieren, dann erklärt, woher der Name kommt und dass es eben keinen Rassismus darstellt, dann wird das von den Meisten auch entsprechend akzeptiert und eingesehen." Grünwald erklärt: "Der Name ist erstens rechtlich zugelassen und zweitens ist er eine Wertschätzung und Würdigung der traditionellen Medizin der Berber, der Mauren, die die Medizin nach Europa gebracht haben. Darauf bezieht sich das."
Tradition und Dialog
Grundsätzlich sei sie offen für Diskussionen. "Es gibt auch verschiedene Möglichkeiten das zu deuten, man muss aber eben auch andere Meinungen zulassen", mahnt die Apothekerin und beruft sich im Angesicht der Debatte auf das positive Feedback der Wolfsburgerinnen und Wolfsburger in den letzten Tage: "Wir haben ja alles an Patienten, jede Hautfarbe. Von unseren Patientinnen und Patienten hat sich bis jetzt keiner diskriminiert gefühlt. Wenn man mit Menschen darüber spricht und mit Wolfsburgern sagen die eben auch: 'Das gehört eben zur Apotheke dazu'. Das hier ist die zweitälteste Apotheke im Stadtkern von Wolfsburg, und die hieß von Anfang an so."
Petra Grünwald beklagt insbesondere die Art und Weise, wie Faulhaber ihr Anliegen in die Öffentlichkeit getragen habe. "Ich kannte die Pressemitteilung erst, als sie in der Zeitung stand. Dort hieß es dann ja, dass ich nicht bereit sei darauf zu reagieren. Frau Faulhaber war ein paar Tage vorher bei mir und war nicht bereit, sich meine Seite der Dinge anzuhören." Stattdessen sei Grünwald von Faulhaber beschimpft worden. "Ich finde es traurig, dass man so auf mich und mein Team losgeht", so Grünwalds abschließendes Fazit.
Die Grausamkeiten des Kolonialismus
Die Fronten scheinen verhärtet, der Begriff unklar. Auch wenn andere Firmen wie Sarotti und Uncle Bens ihre auf die Spätkolonialzeit zurückgehenden Markenauftritte bereits hinterfragt und geändert haben oder im Begriff sind, dies zu tun, verlieren sich Diskussionen um rassistische Begrifflichkeiten immer wieder zwischen der Tradition der angeprangerten Reproduzenten rassistischer Stereotype und den tatsächlich betroffenen Personen schwarzer Hautfarbe.
"Als im Jahr 1950 die 'Mohren-Apotheke' in Wolfsburg gegründet wurde, waren Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen verpönt, wenn nicht verboten und afrodeutsche Kinder wurden beispielsweise in die USA deportiert. Das ist wirklich keine Zeit, deren Tradition unbeachtet hingenommen werden sollte."
"In der Schule lernen wir nicht viel über den Kolonialismus, diesen grausamen Teil unserer Geschichte, die bis heute nicht aufgearbeitet ist", nimmt die Wolfsburgerin Zenk-Agyei als Begründung für das mangelnde Verständnis in der hellhäutigen Bevölkerung an und führt aus: "Als im Jahr 1950 die 'Mohren-Apotheke' in Wolfsburg gegründet wurde, waren Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen verpönt, wenn nicht verboten und afrodeutsche Kinder wurden beispielsweise in die USA deportiert. Das ist wirklich keine Zeit deren Tradition unbeachtet hingenommen werden sollte." Rassismus in all seiner Tiefe und Präsenz führe laut Zenk-Agyei zu einer Hetzjagd auf jene, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören.
Der Begriff "Mohr"
Noemi Zenk-Agyei beschäftigt sich nicht das erste Mal mit den Hintergründen des Namens "Mohren-Apotheke". Sie klärt auf: "Der antike Ursprung des Wortes 'Mohr' ist 'moros' oder 'maurus', was zwar 'Schwarz' und 'Afrikanisch', aber auch 'töricht' und 'dumm' bedeutet." Auch das Logo der Wolfsburger Apotheke spiegele Vorstellungen aus der Kolonialzeit wider: "In dieser Karikatur eilt ein Schwarzer Mensch dienstbereit herbei und bietet eine Schale dar. Solche Darstellungen entstammen einer Zeit, in der Schwarze Menschen weltweit unterdrückt, gehandelt und ausgebeutet wurden, niemals gleichberechtigt waren und aus dieser Position gezwungen waren, zum Reichtum weißer Menschen beizutragen. Ihre Medizin wurde in dieser Zeit nicht geschätzt. Nicht viel mehr wahrgenommen wird sie, und die diverse Kultur Afrikas und der Diaspora heute."
Die Mauren waren nicht schwarz
Alfred Hartung, Mitglied des Bundes der Antifaschistinnen und Antifaschisten in Wolfsburg merkt außerdem an, dass das Logo der Apotheke einer Ehrung der Mauren widerspräche: "Die Mauren, die in Südeuropa, vor allem auf der iberischen Halbinsel, eine hoch entwickelte Kultur mit fortschrittlicher Medizin entwickelten, waren hellhäutige, arabischstämmige Nordafrikaner. Sie waren übrigens sehr tolerant gegenüber anderen Kulturen und Glaubensgemeinschaften, zum Beispiel gegenüber Jüdinnen und Juden und Christen. Das sei denen ins Stammbuch geschrieben, die immer noch meinen, "wir Europäer" hätten der Welt "die Kultur" gebracht.
"Der Begriff „Mohr“ war und ist eine Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen und war zu keinem Zeitpunkt ehrend."
Auch der Berliner Aktivist und Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) Tahir Della hat sich bereits mit der Deutung des Begriffes "Mohr" befasst und merkt an, dass die positive Besetzung des Begriffes ein resultat "beschönigender weißer Geschichtsschreibung" sei. Es sei historischer Fakt, dass Schwarze im Europa der Neuzeit mitnichten "geehrt" wurden: "Selbst berühmte Philosophen wie Hegel und Kant haben – auch wenn dies in Deutschland bis heute gern ignoriert wird – in ihren Werken verbreitet, dass Schwarze Menschen als kulturlose Menschen zu betrachten wären." Sein Fazit: "Die deutsche Sprache ist, wie Sie sicher wissen, voll von Redewendungen, die mit dem Begriff „Mohr“ neben Exotik auch Abwertung, Unterwürfigkeit, Dummheit und Infantilität verbinden. Der Begriff ist daher genau wie das N-Wort ganz ohne Zweifel eine rassistische und beleidigende Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen."
"Frau Grünwald kann ein Zeichen setzen"
Abschließend richtet Noemi Zenk-Agyei einen Appell an Petra Grünwald als Inhaberin der Wolfsburger Mohren-Apotheke. Sie ist sich sicher, dass den verbleibenden rund einhundert Mohren-Apotheken in Deutschland ebenfalls eine Debatte bevorsteht und bittet Grünwald, ein Zeichen zu setzen: "Mit der Umbenennung der Mohrenapotheke kann Frau Grünwald ein großartiges Zeichen setzten in unserer weltoffenen Stadt Wolfsburg. Rassismus geht nicht weg, auch wenn wir farbenblind behaupten, alles sei gut und es gäbe kein Problem. Gemeinsam müssen wir hier aufeinander zugehen und zuhören, wenn Betroffene uns auf Probleme hinweisen."
mehr News aus Wolfsburg