Zeitwerk ist Lebensgefühl

von Andreas Molau




In Wernigerode gibt es das Zeitwerk. Dieser kulinarische Tempel ist mehr als ein Gourmetrestaurant. Er ist Lebensgefühl.


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Wenn jemand sagt »Der kocht auch nur mit Wasser«, dann liegt er bei Robin Pietsch voll daneben. Es ist ein richtig schöner Sommertag. Die Straßen mit den schmucken Fachhäusern in Wernigerode sind belebt. So belebt, dass es nicht leicht ist, vor dem Zeitwerk einen Parkplatz zu finden. Dort wird zwar nur mit Wasser gekocht. Aber Robin Pietsch würde wahrscheinlich entgegnen, dass es so viele Varianten für das kühle Nass gibt, wie Quellen existieren. Also unzählige. Wir begrüßen uns in dem kleinen Gourmetrestaurant, das in den letzten Jahren ordentlich Presse hatte. Florian, der Servicechef, zwei Küchenkräfte und eine Praktikantin. Der ambitionierte junge Koch stellt seine Mannschaft vor: »Wir arbeiten hier wie in einer Familie.« Und wie in einer Familie ziehen alle Beteiligten an einem Strang. Das Ziel: Anerkennung und möglichst bald ein Michelin-Stern. Das ist das ehrgeizige Vorhaben von Robin Pietsch, der in der Region zunächst Konditor gelernt hat und später Koch. Ausgerechnet im verträumten Harz eine Sterneküche zu etablieren, das klingt mutig. Wenn man Pietsch jedoch zuhört, vermag man der Vision schnell einiges abzugewinnen. »Gerade in so einem Gebiet lohnt sich das. Ich wollte immer etwas anderes machen. Weg vom Mainstream und das Außergewöhnliche suchen. Und das kann ich hier verwirklichen.«

Ehrgeiz und Entspannung

Als extrem ehrgeizig charakterisiert er sich. Das sei von Anfang an so gewesen. Und obwohl die Atmosphäre in der Küche absolut tiefenentspannt zu sein scheint: Das bedeutet vor allem Härte gegen sich selbst. Seit er sich selbstständig gemacht hat, habe er keinen einzigen Tag gefehlt, berichtet er. Das klingt aber weder so wie eine Erfolgsmeldung, noch sieht er das als etwas Besonderes an. Robin Pietsch ist einfach da. Als er mit 23 Jahren den schweren Weg in die freie Verantwortung gewagt hatte, sei ihm nicht klar gewesen, was das eigentlich heißt: »Gott sei Dank. Sonst hätte ich es vielleicht gar nicht gemacht«. Als untypischer Fall wurde sein Schicksal von den Kochprofis von RTL II aufgegriffen. Die erkannten sofort die kulinarisch geniale Ader und feilten lediglich am Konzept des Restaurants. Seitdem geht es immer weiter nach oben. Inzwischen tritt Pietsch im MDR auf. Und an einem Buch schreibt er auch gerade. Die Menschen kämen aus Berlin oder Hamburg nach Wernigerode, um die Kochkunst zu testen. An Abwechselung mangelt es im Zeitwerk nicht. Seit 1 ½ Jahren gibt es dort jeden Dienstag ein neues Menü. Woher Robin Pietsch diese unglaubliche Kreativität nimmt?


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Ein erster Gruß aus der Küche.[/image]

Kochen ist Kunst

Er zögert einen Augenblick und lächelt. Die Ideen seien einfach so da. Und in den Pausen, die er sich gönnt, hält er auch wenig vom Müßiggang. Da sei zu allererst seine zweijährige Tochter, auf die er sich freue. Dann zaubert Robin Pietsch nicht nur am Kochtopf. Am Rechner ist er ebenso erfindungsreich, bastelt Logos, an der übersichtlichen Internetseite und schließlich hat er sich sogar noch in das Thema Film eingearbeitet. Ein erster Imagefilm steht bereits im Netz. Gut gemacht muss man sagen. Auf den Einwand, dass der Tag nur 24 Stunden habe, kommt nur die lakonische Antwort: »Eben, 24 Stunden.« Und insofern will er mit seinem überbordenden Variantenreichtum auch längst nicht aufhören. »Ich bin jung, voller Energie. Für eine beständige Linie habe ich nicht genug Lebenserfahrung«, räumt er ein. Und da ist neben dem Ehrgeiz sowie dem gesunden Selbstvertrauen ein anderer Charakterzug. Bescheidenheit. Es sei ihm etwa nie in den Sinn gekommen, das Restaurant nach seinem Namen zu benennen, ergänzt er. Das sei ihm irgendwie maßlos vorgekommen.


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Edle Kartoffelvariationen.[/image]

Zeitwerk ist Lebensgefühl

Der Name Zeitwerk sei das Ergebnis eines Brainstormings mit Freunden gewesen. Ein Lebensgefühl, das viele Assoziationen zulasse. Dass man zunächst an Uhren denke, stört den Kochkünstler nicht, der zum Job in der Küche an einem der beiden restaurantfreien Tage noch eine Kochschule stemmt. Es ist vielleicht die Freiheit, die ihn so erfolgreich macht. So wie Zeitwerk als Begriff Raum lasse, so müsse man beim Kreieren neuer Speisenfolgen im Kopf ohne Zwänge sein. Er kenne einige gute Köche, die eigentlich gar nicht vom Fach seien. Die verwirklichten einfach ihre Fantasie und Träume. Genau diese Freiheit sei es, die er in den Kochkursen einräumen möchte: »Ich mag keine einengenden Direktiven geben, sondern die Kreativität ermöglichen, die für eine gute Küche nötig ist.«


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Veredelte Zucchini.[/image]

Vorbilder ohne Kopie

Ein guter Koch dürfe zwar nichts kopieren. Aber Vorbilder hat Robin Pietsch auf dem Weg zur Sternegastronomie trotzdem. Da ist zunächst der dänische Kollege René Redzepi. Er ist Küchenchef und Mitbesitzer des Restaurants Noma in Kopenhagen, das in den letzten Jahren von der britischen Fachzeitschrift Restaurant als beste Location der Welt ausgezeichnet wurde. An ihm liebt Pietsch die Authentizität, die Verbundenheit mit der Natur. Beim Amuse Gueuile während des anschließenden Essens kann man diesen Einfluss gleich erleben. Denn die getrocknete Rindfleischscheibe mit Gorgonzola-Creme wird auf einem Stein aus der nahe gelegenen Bode serviert. Ein anderer Stern in seiner Zunft sei Andreas Caminada. In der Geschichte des Starkochs vom Restaurant Schloss Schauenstein sieht er den eigenen Weg gespiegelt. Caminada sei seinerzeit ebenfalls so jung gestartet. Der weitere Erfolg des Schweizers ist für Pietsch Motivation. Motivation für eine internationale Anerkennung und das Ziel, eine Spitzenküche in der Region dauerhaft zu verankern.


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So viel Geschmack auf so kleinem Raum.[/image]

Die wichtigste Instanz: Der Gast

Abgehoben ist der gebürtige Blankenburger deshalb aber keineswegs. »Ich weiß, dass die eigentlichen Tester die zahlreichen Gäste sind, die mir Abend für Abend ihr persönliches Vertrauen aussprechen«, gibt er freimütig zu. Für sie möchte er ein faires Angebot machen, »Haute Cuisine« zu erschwinglichen Preisen zu ermöglichen. Dazu greift Pietsch vo allem auf Bio-Erzeugnisse aus der Region zurück. In die Küche und damit auf den Teller kommt nur, von dem er weiß, woher es stammt. Und das schmeckt man. Das anschließende Achtgänge Menü demonstriert das eindrucksvoll. Robin Pietsch kann nicht nur gut reden. Jeder Gang, den Servicechef Florian mit dezenter Noblesse aufträgt, ist eine kleine Perle – ästhetisch und geschmacklich. Das fängt mit dem Hingucker auf dem Bodestein an und endete bei einem grandiosen Rosmarinsorbet auf Mus von weißem Pfirsich mit Heidelbeeren und Schoko-Crumble.


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Die Tomatensuppe: Perfekte Harmonie von säuerlichen und süßen Aromen.[/image]

Jede Menge Überraschungen

Dazwischen gibt es jede Menge Überraschungen. Etwa eine karamellisierte Pellkartoffel, deren Röstaromen ein kulinarisches Duett mit einem süßlichen Kartoffelschaum inszenieren. Ein köstliches Ragout vom Schweinebauch mit knackigen Frühlingszwiebeln auf einem Selleriemus und einem Tröpfchen reduzierter Sauce in einem Röhrenknochen serviert. Oder eine Suppe von weißen Tomaten in Perlsago gegart mit Tomatenchips, frischer Cocktailtomate und gefüllter Nudeltasche – die perfekte Harmonie zwischen säuerlicher und süßer Note. Die Fjord Forelle flirtet mit Erdbeervariationen und der Hauptgang, ein Roastbeef auf Parmesanrisotto zergeht auf der Zunge. Während des Gespräches war eine Frage: Was würde Robin Pietsch machen, wenn er mal nicht kocht. Die knappe Antwort: »Kochen.« Und das ist wohl auch gut so. Restaurant Zeitwerk Große Bergstraße 2A 38855 Wernigerode Telefon:03943 6947884 [gallery ids="3394,3395,3396"]


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