Zuhören: Sie wollen den Helfern in der Corona-Krise helfen

Mit der Initiative "unser.ohr" wollen Annika Jürgens und Solveigh Geck den vielen Helfern in der Corona-Krise ein Stütze sein. Die beiden Frauen trommeln professionelle Zuhörer für Ärzte und Pflegepersonal zusammen.

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Annika Jürgens und Solveig Geck wollen den Helfenden helfen.
Annika Jürgens und Solveig Geck wollen den Helfenden helfen. | Foto: privat

Hameln. Solveigh Geck und Annika Jürgens haben eigentlich eine Praxis, in der sie Therapien für gestresste Familien anbieten. Seit die Praxis wegen der Corona-Krise ruht, haben sich die beiden Frauen gefragt, wie sie ihren persönlichen Beitrag in der Pandemie leisten können. Seit dem gestrigen Mittwoch nun läuft ihr Projekt "unser.ohr", bei dem sich Ärzte und Pflegepersonal unentgeltlich Stressberatung einholen können. Und plötzlich entsteht ein deutschlandweites Netzwerk. regionalHeute.de hat mit der gebürtigen Wolfenbüttelerin Solveigh Geck über das Projekt gesprochen.


"Das Personal steht den ganzen Tag lang unter krassem Stress. Ein Stresslevel, das sonst nur in Ausnahmesituationen erreicht wird, haben sie jetzt den ganzen Tag", erklärt Solveigh Geck. Eigentlich betreibt sie mit ihrer Kollegin Annika Jürgens eine Praxis für Familientherapie. Als die Praxis wegen der Corona-Krise schließen musste, hätten die beiden Frauen zu Hause gesessen. Auf heißen Kohlen, wie Geck erklärt. "Wir wollten irgendwie helfen. Aber uns einfach im Krankenhaus daneben stellen, das ging auch nicht." Also kam man auf die entscheidende Idee: Den Helfern helfen. Dem gestressten Klinikpersonal einfach mal zuhören. Aber professionell.

Seit dem gestrigen Mittwoch ist die Instagram-Seite der Initiative online. Seitdem hat sie fast 100 Follower erhalten. Geradezu überwältigend sei die Resonanz jedoch an anderer Stelle: "Wir bekommen minütlich neue Meldungen von professionellen Zuhörern!", freut sich Geck. Pfarrer, Psychotherapeuten, Seelsorger, ja sogar Sexualtherapeuten hätten sich mittlerweile freiwillig gemeldet.

Über 50 in nur 24 Stunden, für eine rein ehrenamtliche Tätigkeit. Das gibt Jürgens und Geck Hoffnung, dass es noch viel mehr werden. Immerhin sei genug Klinikpersonal im Einsatz. Sie freuen sich also über jeden Neuzugang.

Dauerhafter Stress führt zu unabsehbaren gesundheitlichen Folgen


Geck vergleicht das, was momentan in den Krankenhäusern passiert mit einem All-you-can-eat Buffet: "Wer am All-you-can-eat Buffet so lange isst, bis es ihm schlecht geht, der braucht funktionierende Organe, die ihm helfen das ganze Essen wieder abzubauen. Sonst führt das zu Verstopfung." So ähnlich funktioniere auch die Psyche. Wer dauerhaftem Stress ausgesetzt ist, der brauche professionelle Hilfe, um diese Gefühle "zu verdauen". Unverarbeiteter Stress könne schweren Folgen haben. Psychisch, aber auch körperlich. "Es kommt in solchen Fällen oft zu psychosomatischen Symptomen", erklärt Geck.

Gerade in Zeiten wie diesen sei der Körper voller Adrenalin und Cortisol, Stresshormone, die sich auf den gesamten Organismus auswirkten. "Jeder Pfleger kennt Stresssituationen. Aber aktuell hören diese Situationen zum Teil gar nicht mehr auf." Sollte sich die Lage weiter verschlimmern und irgendwann italienische Verhältnisse herrschen, seien gerade Ärzte gezwungen Prioritäten bei Patienten zu setzen.

Das heißt über Leben und Tod zu entscheiden. "Diese Entscheidungen kann niemand mit sich herumtragen." Fehlende Verarbeitung führe zu Posttraumatischer Belastungsstörung, einer Krankheit, die vor allem vom Soldaten bekannt ist, die Kampfeinsätze nie verarbeiten konnten.

Unkomplizierter Kontakt zu Profis


In solchen Situationen könnten die Betroffenen oft nur mit ihren Familien über das Erlebte sprechen. Das sei zwar wichtig, glaubt Solveigh Geck, könnte aber ein professionelles Gespräch nicht ersetzen. "In den Familien erfahren die Ärztinnen und Pflegerinnen oft Mitleid, oder sprechen erst gar nicht über die Erlebnisse, weil sie denken, dass Familie und Freunde ihre Situationen nicht nachvollziehen können." Oft wollten sie auch keine Schwäche gegenüber ihren Lieben zeigen. Die Therapeuten, die die beiden Frauen um sich sammeln, wollen den gestressten Medizinern und Pflegern nicht nur ein offenes Ohr bieten. Sie wollen ihnen helfen am nächsten Tag wieder aufzustehen. Den Kampf weiterzuführen.

Dabei ist das Angebot gratis. Die Therapeuten helfen völlig unentgeltlich und das rund um die Uhr. Die Gespräche können über E-Mail, WhatsApp und natürlich telefonisch geführt werden. Der Kontakt wird dabei direkt über Geck und Jürgens hergestellt. "Wir geben dann je nach Wunsch die Handynummer oder die E-Mailadresse raus." An der Beratung Interessierte, aber auch neue "Zuhörer" können unter der E-Mail-Adresse unser.ohr@gmail.com Kontakt mit der Initiative aufnehmen. Damit die, die sich in erster Reihe gegen die Pandemie stellen, professionell den Rücken gestärkt bekommen.

Website: unserohr.de


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