Amtshilfe im Gesundheitsamt: Mit Studenten und Soldaten an der Pandemiefront

Auch wenn die Infektionszahlen wieder sinken, kämpfen die Gesundheitsämter immer noch gegen die vierte Welle. In Wolfenbüttel helfen dabei jetzt Heeresflieger aus Bückeburg. regionalHeute.de hat sie begleitet.

Romea M. arbeitet seit dem Beginn der Pandemie für das Gesundheitsamt. Die Studenten hat "Es wird alles gut" auf ihren Schutzschirm geschrieben.
Romea M. arbeitet seit dem Beginn der Pandemie für das Gesundheitsamt. Die Studenten hat "Es wird alles gut" auf ihren Schutzschirm geschrieben. | Foto: Niklas Eppert

Wolfenbüttel. Sie sind wieder da: Die Amtshilfe leistenden Soldaten. In der ganzen Region unterstützen sie beim Testen, der Quarantänekontrolle und der Kontaktnachverfolgung, so auch im Wolfenbütteler Gesundheitsamt. 16 Bundeswehrangehörige sind hier im Einsatz. Aufgeteilt in Gruppen von acht Mann nehmen sie dem Gesundheitsamt wochenweise etwas Last von den Schultern. regionalHeute.de hat die Soldaten und freiwilligen Helfer einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitet.



Eigentlich finden in der Kuba-Halle Konzerte statt. Unter anderem trat Ende November die Metalband Ost+Front dort auf, bereits unter 2G+-Regeln. Jetzt aber ist in der Halle Ruhe eingekehrt. Pandemiebedingt, natürlich. In dem Komplex befindet sich aber nicht nur die Halle selbst, hier sitzen auch ein Fitnessstudio, eine Physiotherapiepraxis und eben ein Teil des Wolfenbütteler Gesundheitsamtes. Und genau dort tun seit der vergangenen Woche wieder Soldaten ihren Dienst. Sie leisten Amtshilfe, um das Gesundheitsamt bei der Coronanachverfolgung zu unterstützen, Fragen zur Quarantäne zu beantworten, zu testen. Sie sollen die anderen Freiwilligen bei ihrer täglichen Arbeit entlasten.

Und es sind samt und sonders Freiwillige, die dort arbeiten. Studenten vornehmlich, besonders aus dem Bereich soziale Arbeit, aber auch eine Bürokauffrau, ja selbst eine gelernte Tanzlehrerin haben ihren Weg an die Telefone des Gesundheitsamts gefunden. Zusammen mit den Soldaten kommt das Ermittlungsteam auf 38 Personen. Die Aufsicht über diesen "bunten Haufen" aus vornehmlich jungen Leuten hat Dr. Monika Schulze Kökelsum, Amtsleiterin des Gesundheitsamts des Landkreises Wolfenbüttel. Auch, wenn eigentlich immer ein Arzt vor Ort sein soll, ist Schulze Kökelsum die einzige Medizinerin der Gruppe.

Die Soldaten sind eine Entlastung


Schulze Kökelsum sitzt auch als Amtsleiterin im Großraumbüro zwischen den Helfern. Um sie herum wird telefoniert und geschrieben, die Soldaten werden von den Zivilisten eingearbeitet. "Mit den Soldaten haben wir richtig Leben in die Bude bekommen", freut sich die Medizinerin. Die Einarbeitung laufe völlig komplikationslos, gerade wird die zweite Gruppe der insgesamt 16 Soldaten angelernt. Bis zum Sommer habe das Gesundheitsamt noch mehr eigene Kräfte gehabt. Dann gingen die Zahlen runter, Verträge liefen aus, Studenten machten ihren Abschluss und wechselten in ihren eigentlichen Beruf. Als die Coronainfektionen wieder stiegen, kamen die Übriggebliebenen schnell nicht mehr hinterher. Unterstützung durch die Bundeswehr habe man anfangs nicht anfordern können, aus rechtlichen Gründen. Die Inzidenz im Landkreis war noch zu niedrig.

Die Lage wurde aber teilweise dramatisch. Romea M., die eigentlich gerade ihren Master in präventiver sozialer Arbeit an der Ostfalia macht, ist seit Beginn der Pandemie als Freiwillige dabei. Auf dem Schirm, der um ihren Schreibtisch aufgestellt ist, hat sie mit einem Filzstift 'Alles wird gut' geschrieben. Es passt zur Stimmung zwischen den Schreibtischen.


"Zwischendurch hatte ich 190 Fälle zur Bearbeitung", erklärt die 26-Jährige. Sie häuften sich auf, Tag für Tag, bis die Nachverfolgungen, gerade außerhalb der Familien von Infizierten, nicht mehr für eine Person zu bewältigen gewesen seien. Inzwischen aber bessere sich die Lage, auch wenn von Entspannung noch keine Rede sein kann. Einerseits entlaste die Bundeswehr, andererseits sänken die Zahlen. Nach den Feiertagen aber rechnet jeder der Anwesenden wieder mit einem starkem Steigen der Zahlen. Dann sind aber auch die Soldaten eingearbeitet. Man sei dann besser auf die Lage vorbereitet.

Wenn Robert Koch selbst die Lage klärt


In den Büroräumen der Kuba-Halle sitzt auch Tom T.. Er betreut das sogenannte "Q-Telefon" und hält mit Menschen in Quarantäne Kontakt. Sein Job sei vergleichsweise entspannt. "Ich werde meist angerufen", sagt T. Die Leute wollten dann etwas von ihm, er müsse kaum schlechte Nachrichten überbringen. Entsprechend freundlich seien die Menschen am Telefon. Mittlerweile sinke auch die Anspannung wieder etwas. Sein Studium helfe dabei. Auch T. studiert soziale Arbeit an der Ostfalia. Der Landkreis habe über seine Fakultät angefragt, ob sich Studenten freiwillig melden wollten. T. tat das. Es sei einfach naheliegend gewesen.


Dass es auch anders geht, beweist eine Kollegin aus der Kontaktnachverfolgung, die während des Gesprächs zum Q-Telefon kommt. Mit etwas verzweifeltem Blick schildert sie einen Anruf, der gerade zu Ende gegangen war. Eine positiv getestete Frau war am Telefon, sie habe mit Robert Koch höchstselbst gesprochen und der habe ihr gesagt, dass sie nicht in Quarantäne bräuchte. Ihre Virenlast sei einfach zu gering, da wäre auch kein Test mehr nötig. Als die Kontaktermittlerin ihr gesagt habe, dass sie das für unglaubwürdig halte, sei die Frau ausfallend geworden und kündigte an, dass sie sich an rein gar nichts halte würde. Der Namenspatron des Robert-Koch-Instituts ist allerdings schon längst tot. Seit 1910, um genau zu sein. Manchmal, könnte man meinen, ist es zum Verzweifeln.

Die täglichen Telefonate


Der allergrößte Teil der Menschen, mit denen das Ermittlerteam in Kontakt steht, sei aber sehr kooperativ und verständig. Sie hielten sich an die Auflagen, wirklich ausfallend würde kaum jemand, auch wenn die Leute am Telefon oft genug als Frustventil herhalten müssten. Viele seien eben unzufrieden mit der Coronapolitik von Landes- und Bundesregierung. Da käme so ein Mensch am Telefon gerade recht. Das berichtet etwa Romea M.: "Auf diese Diskussionen lasse ich mich aber schon lang nicht mehr ein", so die 26-Jährige. Anfangs sei sie mit mehr Idealismus dabei gewesen, mittlerweile habe sie aber gelernt, dass sie die Welt nicht allein retten könne. Auch, wenn der Job selbst natürlich wichtig sei.

Mit Motivation sei sie trotzdem dabei. Sie habe aber lernen müssen, dass eine Pause zwischendurch nicht das System zum Einsturz bringe. Bei der Bewältigung des manchmal belastenden Alltags helfe aber auch, dass das Team so jung sei. Da passten die Soldaten gerade richtig rein. "Die Arbeit ist aktuell angenehm", findet M.. Die Stimmung sei locker, man verstehe sich. Ein junges Team eben.

Aus dem Hubschrauber ans Telefon


Das bestätigt auch Oberfeldwebel Tobias Schwannecke, der Gruppenführer des Bundeswehrkontingents. Der Soldat ist eigentlich Bordmechanikeranwärter am Internationalen Hubschrauberausbildungszentrum in Bückeburg. Mit Telefonen und Computern habe er dort wenig am Hut gehabt. Das änderte sich in Wolfenbüttel schlagartig. Statt am Hubschrauber zu schrauben, hat er jetzt den Hörer am Ohr, während er am Schreibtisch sitzt. Sicher habe er bei der Bundeswehr gelernt, mit SAP zu arbeiten, dafür sei er extra auf einen sechswöchigen Lehrgang gegangen. Hier habe er aber gerade eine Woche zur Einarbeitung an einem anderen Programm, in einem völlig unterschiedlichen Aufgabenfeld. Es klappt trotzdem. Die ungewohnt zivil gekleideten Kollegen sorgten schon dafür.

Das Arbeiten selbst sei aber ein ganz anderes, berichtet der Unteroffizier. "Als Soldaten haben wir eigentlich eine klare Verteilung der Aufgaben. Wir haben unsere Bereiche links und rechts abgesteckt. Das hier ist eine andere Welt." Spannend sei es trotzdem. Die Fälle seien täglich neu, die Herausforderungen andere. Durch die "herzliche Aufnahme" in die Gruppe sei das abgefangen worden. "Man spürt bereits jetzt die Dankbarkeit", glaubt Schwannecke. Nach der Einarbeitung will er sich auch mit Dienstgrad am Telefon melden. Es sei ihm wichtig, dass die Bundeswehr in dieser Sache repräsentiert werde. Er ist Überzeugungstäter und sei zur Bundeswehr gegangen, um etwas zurückzugeben, nachdem ihm der deutsche Staat durch eine schwere Zeit geholfen habe. Und genau das wolle er am Telefon verkörpern.

Die Soldaten werden wohl länger bleiben


Koordiniert wird das Ganze von Oberstleutnant Joseph Landers. Er repräsentiert das Kreisverbindungskommando für den Landkreis Wolfenbüttel. Der Reserveoffizier stellt quasi das Scharnier zwischen ziviler Verwaltung und Bundeswehr dar und war auch schon im letzten Winter im Einsatz. Im "echten Leben" ist er Unternehmer. Immer an seiner Seite ist Stabsfeldwebel Peter Schnell, ein ehemaliger Berufssoldat. Für den 64-Jährigen ist das sein letzter Einsatz. Im Januar wird er 65, dann scheidet der Pensionär auch aus dem Reservedienst aus.


Vorerst sei der Einsatz der Heeresflieger aus Bückeburg bis zum 26. Januar geplant, die beiden Gruppen jeweils im wöchentlichen Wechsel. Landers rechnet aber mit einer Verlängerung. Auch wenn die Zahlen aktuell sinken, böte das eine trügerische Sicherheit. "Ich bin überzeugt, dass die Zahlen nach Feiertagen wieder steigen", so der Oberstleutnant. Und dann bliebe der Bedarf, vielleicht steige er sogar. Erst gestern hat die neue Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) das Kontingent für die Amtshilfe auf 17.500 Soldaten aufgestockt. 8.000 davon seien bereits im Einsatz. Wie viele davon noch nach Wolfenbüttel kommen, kann wohl niemand sagen. Aktuell aber sind die Freiwilligen aber froh über jede helfende Hand.


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