15. Februar 2015: Der Tag, der Braunschweig veränderte

von Thorsten Raedlein


| Foto: W. Heise



Braunschweig. Die Fassung zu bewahren fällt Zugmarschall Gerhard Baller sichtlich schwer. Als Polizeipräsident Michael Pientka kurz nach 11 Uhr den Gästen seines Zugmarschallempfangs vor dem Start des Schoduvels in der Volkswagen-Halle die schlechte Nachricht von der Absage des Karnevalsumzuges (BraunschweigHeute berichtete den ganzen Tag über mit einem Live-Ticker) überbringt, ist er den Tränen nahe. Ein Jahr harter Arbeit von einer Minute auf die andere nicht mehr von Bedeutung, da Islamisten laut Polizei mit einem Anschlag auf den Lindwurm gedroht hatten.



Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth nimmt Baller am Ende in den Arm. Er weiß, wie sich der Karnevalist mit Leib und Seele jetzt fühlt. Genau wie er, als er in aller Frühe die Nachricht von der Terrorwarnung erhalten hat. "Da fällt man aus sämtlichen rosaroten Wolken und schlägt tief auf", sagt der OB im Interview. Auch für die anwesenden Gäste ist die Nachricht wie ein Schlag in die Magengrube. Wo vor wenigen Sekunden noch die Vorfreude auf den Umzug in den Gesichtern zu sehen war, ist nun nur noch Fassungslosigkeit, Entsetzen und – Traurigkeit. Die Absage des Schoduvels hätte aus Sicherheitsgründen erfolgen müssen; dafür haben alle Verständnis. Kein Verständnis haben sie jedoch für die Verursacher und die damit verbundenen Beweggründe.

Fröhlichkeit? Kaum noch vorhanden




Auch vor der Halle ist die Fröhlichkeit verflogen. Hier wird diskutiert, wird telefoniert und wird abgewartet. Trotzig wird "Brunswiek Helau" gerufen, trotzig werden Bollchen geschmissen. Sollen wir uns wirklich das Feiern verbieten lassen und nach Hause gehen? Die Polizei nimmt den Karnevalisten die Entscheidung ab. Beamte gehen die Strecke ab und fordern die Bürger auf, die Straßen zu verlassen. Ein Lautsprecherwagen fährt den Weg ebenfalls ab und informiert über die Absage. In den sozialen Netzwerken breitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer aus. Ebenso in den Medien. Selbst internationale Sender wie CNN oder die BBC berichten. Viele halten die Meldung für einen üblen Scherz, doch je mehr Zeit vergeht, desto mehr wird allen die traurige Wahrheit bewusst. Kinder verstehen nicht, was am 15. Februar 2015 in Braunschweig geschehen ist. Sie weinen und wollen nicht nach Hause gehen. Sie zu trösten – keine leichte Aufgabe für die Eltern.



Und plötzlich sind die Straßen leer. Nur noch wenige Karnevalisten sind zu sehen. Braunschweig gleicht einer Geisterstadt. Besonders rund um das Altstadtrathaus herrscht eine bedrückende Stimmung. Dort, wo alles für die Fernsehübertragung vorbereitet war, dort, wo sonst die meisten Leckereien geworfen werden, hat die Polizei alles weiträumig abgesperrt. Bombenspürhunde werden hier entlang geführt – und finden zum Glück nichts. Zwei verdächtige Gegenstände erweisen sich als harmlos. Die Nachrichten in sozialen Netzwerken von Schüssen und einer Explosion am Altstadtrathaus erweisen sich zum Glück als falsch.

Die Organisatoren vom Komitee Braunschweiger Karneval haben sich in der Zwischenzeit entschlossen, die für 16 Uhr geplante Zugparty vorzuziehen. Um 14 Uhr soll hier gefeiert werden – falls überhaupt jemandem noch zum Feiern zu Mute ist. Die Polizei hat die Halle gründlich durchsucht. Auch hier kamen Bombenspürhunde zum Einsatz. Die Besucher werden vom Sicherheitsdienst durchsucht. Am Ende wird die Stadthalle nur spärlich gefüllt sein. Um 17 Uhr ist dann auch hier mit dem offiziellen Teil Schluss.

Auswirkungen nicht nur auf Braunschweig


Welche Bedrohung genau zur Absage des Umzuges geführt hat, möchte Polizeipräsident Michael Pientka zum derzeitigen Zeitpunkt nicht verraten. Der Einsatz von Bombenspürhunden lädt allerdings zu Spekulationen ein. In einer improvisierten Pressekonferenz am Nachmittag spricht er von einem "schädigendem Ereignis", mit dem nicht das Zeigen von Transparenten gemeint sei. Die Ermittlungen werden seinen Worten zufolge in den nächsten Tagen fortgeführt. Die gewonnenen Erkenntnisse würden nicht nur in Braunschweig für künftige Gefährdungseinschätzungen Einfluss haben.


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