Beim Leben oder Sterben helfen: In welch einer Gesellschaft wollen wir leben?

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Braunschweig. Aktuell beraten Politiker im Bundestag über den Gesetzesentwurf, der regeln soll, ob und wie Ärzte den Wunsch des Patienten nach Selbsttötung unterstützen dürfen. Die Bundesärztekammer ist dagegen, der Gesundheitsminister für ein Verbot und einige Abgeordnete für die explizite Erlaubnis. Was sagt der Verein Hospizarbeit Braunschweig dazu, der täglichen Umgang mit unheilbar kranken Menschen hat? Mit welchen Fragen sieht sich eine Palliativmedizinerin auf einen solchen Wunsch hin konfrontiert? 

"Mein Ende gehört mir" steht auf dem Plakat der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben – es wirbt für ein selbstbestimmtes Ende. Seit Monaten debattieren Befürworter und Gegner der Sterbehilfe, doch zumindest die Rechtslage ist bisher klar. Straffrei ist die Beihilfe zur Selbsttötung, wenn der Patient das verschriebene Medikament selbst einnimmt. Sollte zum Beispiel selbiger Mediziner bei Einnahme vor Ort sein und nicht einschreiten, gilt dies wiederum als unterlassene Hilfeleistung. Nicht strafbar ist auch die indirekt Sterbehilfe, bei der durch die medizinische Behandlung ein frühzeitiger Tod in Kauf genommen wird. Die passive Sterbehilfe bedeutet der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen – diese kann der Patient in der Patientenverfügung festhalten. Grundsätzlich setzen die Hilfen den ausdrücklichen Wunsch des Menschen voraus. Verboten ist in Deutschland die aktive Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen. Laut einer Umfrage des Statistik-Portals Statista sind 69 Prozent der befragten Deutschen für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, 26 Prozent sprechen sich dagegen aus.


Begleiten bis in den Tod


Die Rechtslage gilt bis auf Weiteres – doch welche ethischen Positionen vertreten die Menschen? Der Koordinator des Braunschweiger Hospizvereins betrachtet die Debatte differenziert. Durch seine täglichen Begegnungen mit schwer kranken Menschen, sieht Ulrich Kreutzberg weder ausschließlich schwarz oder weiß. "Wir wollen mit unserer Arbeit weder leidendes Leben unnötig verlängern, noch verkürzen – wir wollen es begleiten", sagt er. Die ehrenamtlichen Hospiz-Mitarbeiter unterstützen ambulant Menschen, die unheilbar krank sind. Sie sind da, wenn sie gebraucht werden, sitzen am Bett oder hören zu, sie begleiten die Menschen bis zu ihrem Lebensende. "Ich kann die Verzweiflung der erkrankten Menschen verstehen", sagt er. Er habe jedoch auch seine Bedenken, wie sich der attestierte Tod auf die Gesellschaft auswirken könnte. Was wäre, wenn sich ein schwer kranker Mensch für die Selbsttötung entscheide, weil er niemandem zur Last fallen wolle? "Diesen Satz: 'ich will doch niemandem zur Last fallen` hört man häufig in der Hospizbegleitung", sagt Kreutzberg.

Der Arzt entscheidet




Während die Hospizbegleiter als Lebensstütze vor Ort sind, versorgen Palliativmediziner die Patienten medikamentös. Dr. Heide Riefenstahl arbeitet als Allgemeinmedizinerin seit über 20 Jahren in der Palliativ-Versorgung und was sie sieht, ist manchmal grausam. "Ich kann verstehen, warum die Menschen in die Schweiz fahren", sagt sie. In der Schweiz ist die aktive Sterbehilfe zwar auch nicht erlaubt, jedoch sind dort die Ärzte eher dazu geneigt, den attestierten Tod auch durchzuführen. Den Satz "niemand muss unter starken Schmerzen leiden" kennt sie. "Und das stimmt nicht", sagt Dr. Riefenstahl. Hat ein Patient aufgrund seiner tödlichen Erkrankung diese unerträgliche Schmerzen, haben die zu verabreichenden, hoch dosierten Medikamente oft den Tod als Folge. Und das ist Sterbehilfe. Dosiert der Arzt etwa Morphin oder Schlafmittel derart hoch, stirbt der Mensch.

Der Arzt entscheidet. "Wir sprechen natürlich mit den Angehörigen, achten den Willen des Menschen – doch der Arzt entscheidet letztendlich, was getan wird. Und das ist auch gut so", sagt sie. Als Familienangehöriger könne man diese Entscheidung – leidendes Leben oder Tod – kaum treffen: "Der Arzt hat die Verantwortung und die kann einem auch niemand abnehmen – das ist unser Beruf."

Wenn es also die rechtliche und medizinische Möglichkeit gibt, durch den herbeigeführten Schlaf oder die erhöhte medizinische Dosis das Leiden des Patienten am Ende seine Lebens zu verkürzen, warum dann die Debatte? Es geht nicht nur um die Rechtslage – was darf der Arzt, was darf er nicht. Wann ist ein Mediziner bereit einen Menschen durch die Medikamentenvergabe auf seine eigenen Wunsch hin das Sterben zu ermöglichen? Viele Hausärzte würden die Begleitung eines schwer Kranken gar nicht erst übernehmen – zu schwer die Auseinandersetzung, zu unsicher für sie die Rechtslage. Auch ein Arzt hat Angst. "Man muss sich als Mediziner, der palliativ tätig ist, natürlich auch mit dem eigenen Tod auseinandersetzen", sagt Dr. Riefenstahl. "Es ist wichtig, dass wir begleiten, ohne selbst daran kaputt gehen. Es geht um ein gesundes Maß an Mitgefühl." Nicht immer hätte sie diese gesunde Maß in ihrer langjährigen Arbeit im Hospiz auch halten können, sagt sie.

Sterbehilfe bei Kindern




Auch Kinder liegen auf den Palliativ-Stationen. Gilt für die Kleinsten auch die Sterbehilfe? Die Jungen Liberalen (JuLi) möchten es unheilbar kranken Kindern ermöglichen, würdevoll und selbstbestimmt über das eigene Leben und den eigenen Tod zu entscheiden. Deshalb fordern sie die Schaffung einer rechtlichen Möglichkeit für die aktive Sterbehilfe bei unheilbar erkrankten Kindern. Dass Kinder durchaus in der Lage seien, den Tod zu verstehen, sagt Dr. Riefenstahl. "Kinder sind da sehr empfindsam und sie setzen sich bewusst mit dem Tod auseinander – sie spüren sehr viel früher, wenn es zu Ende geht", so die Medizinerin.

"Um voreilige und unreflektierte Entscheidungen in akuten Leidensphasen zu verhindern, wollen wir, dass die der Sterbewunsch und Mündigkeit des Kindes intensiv geprüft werden. Deshalb fordern wir eine Regelung, die zwei unabhängig voneinander urteilende Mündigkeitsgutachten zweier Kinderpsychologen voraussetzt, die übereinstimmend die Mündigkeit des sterbewilligen Kindes bestätigen. Außerdem müssen unserer Meinung nach die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten, der behandelnde Arzt sowie ein weiterer Mediziner verpflichtend hinzugezogen werden. Erst wenn diese Hürden genommen sind, soll das Kind, das letztlich selbst über die Inanspruchnahme aktiver Sterbehilfe entscheiden", sagt der JuLi-Bundesvorsitzende, Konstantin Kuhle, in einer Presseerklärung.

Neue Regeln müssen her


Für den Vereinskooradinator der Hospizarbeit Braunschweig, Ulrich Kreutzberg, ist eines klar: die Debatte solle denn Fokus mehr auf den Hospiz- und Palliativausbau legen. Er spricht auch die Arbeitsbedingungen in Pflegeheimen an: "Oft hat das Pflegepersonal keine Zeit für die Patienten. Dabei braucht gerade diese Situation Zeit. Wer ist nach der Diagnose-Stellung da?" Die Autonomie zu verlieren, zu verstehen, dass das, was man gerne will, nicht mehr geht – das auszuhalten bedarf Zeit. Man sollte Entscheidungen respektieren und alles tun, um Leid zu lindern. Der Sterbeprozess gehöre auch zum Leben, sagt Kreutzberg.

"Ärzte sollten mehr Möglichkeiten haben, den Menschen auch die Möglichkeit zu geben sterben zu können, wenn diese das möchten", sagt Dr. Heide Riefenstahl. Ein Mensch, der so schwer krank sei, solle das Recht haben, sein Leben selbstbestimmt beenden zu dürfen. "Es müssen neue, nicht kommerzielle, würdige Regeln geschaffen werden", sagt sie. Im kommenden Jahr will der Bundestag voraussichtlich ein Gesetz zur Sterbehilfe verabschieden, das vor allem ein Verbot von organisierten Vereinen zur Sterbehilfe als Folge hätte.


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