Braunschweig / Wendeburg. Wenn bestimmte Geschwindigkeiten und Taktfrequenzen nicht überschritten werden und wenn geeignete Zugtechnik zum Einsatz kommt, wäre ein regelmäßiger Personenzugverkehr zwischen Wendeburg und Braunschweig mit der hochsensiblen Messtechnik der PTB derzeit gerade noch vereinbar, teilen die Stadt Braunschweig, der PTB und die Gemeinde Wendeburg mit.
Das ist das Ergebnis von Testfahrten und entsprechenden Messungen, die von der Stadt Braunschweig und der Gemeinde Wendeburg in enger Abstimmung mit der PTB in Auftrag gegeben worden waren und deren Auswertung, zusammen mit begleitenden Messungen der PTB selbst, jetzt vorliegt. Grundlage ist der aktuelle Stand der Technik, sowohl im Blick auf den bislang erreichten Präzisionsgrad der Messtechnologie wie auch auf die Eisenbahntechnik. Anders ist es bei den bereits fahrenden Güterzügen: Sie stören, wie bereits bekannt, die Arbeit der PTB massiv.
Der Präsident der PTB, Prof. Dr. Joachim Ullrich, Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth und der Bürgermeister der Gemeinde Wendeburg, Gerd Albrecht, stellten die Ergebnisse am Freitag, 2. Februar, in einem Pressegespräch vor.
"Messungen dürfen nicht gefährdet werden"
Prof. Dr. Joachim Ullrich, Präsident der PTB, kommentiert die Ergebnisse der Testfahrten so: "Das Wichtigste für uns: Die Hochpräzisionsmessungen der PTB-Laboratorien dürfen nicht gefährdet werden, weder heute, noch morgen. Wir müssen zukunftsfähig bleiben. Was wir bei den Testfahrten gesehen haben, sind kleine und große Störenfriede für die PTB-Messungen. Auf dem gegenwärtigen Präzisionsniveau unserer Laboratorien wären vorbeifahrende Personenzüge tolerabel. Ganz anders bei vorbeifahrenden Güterzügen: Da ist an genaues Messen nicht zu denken."
"Nach dieser für uns in Braunschweig immens wichtigen Klärung, dass unter definierten Rahmenbedingungen eine Reaktivierung der Bahnstrecke auch für den regionalen Personenverkehr denkbar ist, liegt die Entscheidung zur Aufnahme neuer Untersuchungen jetzt beim Regionalverband Großraum Braunschweig. Alle Überlegungen werden wir auch weiterhin in enger Abstimmung mit der PTB führen", erklärt Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth.
Gute Nachrichten für Wendeburg
Wendeburgs Bürgermeister Gerd Albrecht ergänzt: "Das sind gute Nachrichten für die Gemeinde Wendeburg. Die Erwartungen in Wendeburg sind groß, dass es eine neue Chance gibt, mit den gesetzten Rahmenbedingungen der PTB eine Neubewertung zur Reaktivierung der Eisenbahnstrecke für den Personenverkehr durchzuführen. Die bereits erfolgten Investitionen des Volkswagenkonzerns in die Bahnstrecke einerseits sowie ein zusätzlicher Haltepunkt an der Gifhorner Straße mit Übergang zur Stadtbahn in Braunschweig und angepasste Linienkonzepte sollen Grundlage einer neuen Standardisierten Bewertung sein."
An einem Sonntag im Oktober letzten Jahres herrschte auf der Bahnstrecke durch Watenbüttel reger Schienenverkehr. Ein Güterzug und ein Personenzug pendelten mehrmals zwischen dem Abfallentsorgungszentrum in Watenbüttel und der Gifhorner Straße in Braunschweig hin und her, um zu überprüfen, wie sehr diese Züge die Präzisionsmessungen der PTB – dem nationalen Metrologieinstitut Deutschlands mit weltweit führender Stellung – beeinflussen. Die Testfahrten am 22. Oktober 2017 wurden auf der eingleisigen Bahnstrecke entlang des PTB-Geländes mit Güter- und Personenzügen in unterschiedlichen Fahrt-Szenarien durchgeführt. Variiert wurde zum einen die Geschwindigkeit sowie ein Halten bzw. eine Durchfahrt der Züge am Bahnübergang Hans-Jürgen-Straße in Watenbüttel. Insgesamt wurde ein "Fahrplan" von acht Fahrten aufgestellt.
Unterschiede zwischen Personen- und Güterzugverkehr
An vier Orten auf dem Gelände der PTB hatten die Ingenieure der beauftragten Firma Müller-BBM aus Planegg Messgeräte im Boden installiert, um die Erschütterungen (im Techniker-Fachjargon: die Schwingschnelle bzw. die Störschwingungspegel) zu erfassen. Dabei waren klare Unterschiede zwischen Personen- und Güterzugverkehr auszumachen. Müller-BBM stellt fest: "Der Güterzugverkehr hat für einen Großteil des PTB-Geländes erschütterungstechnische Auswirkungen. Eine Zunahme des Güterzugverkehrs mit Geschwindigkeiten von bis zu 40 km/h hätte dementsprechend weitere Verschlechterungen (höhere Erschütterungen und weniger schwingungsarme Zeiträume) zur Folge."
Ergänzend zu den Boden-Messungen von Müller-BBM hatten einige PTB-Laboratorien die Möglichkeit genutzt, um direkt die Auswirkungen auf die unterschiedlichen Laborexperimente und typischen PTB-Messaufgaben zu untersuchen. Es sind auch hier die Güterzüge, die in den Laboren für ganz wörtlich zu verstehende Unruhe sorgen, und dies vor allem bei einer höheren Geschwindigkeit von 40 km/h. Für die PTB ist damit das Votum den Güterverkehr betreffend klar: Nur langsam fahrende Güterzüge und diese nicht häufiger als derzeit sind für die PTB tolerabel.
Personenzüge sind tolerabel
Zu einem deutlich anderen Resultat kommen sowohl die Experten von Müller-BBM als auch die Wissenschaftler der PTB bei den Personenzügen. "Der Vergleich des aktuell gemessenen Güter- und Personenverkehrs zeigt, dass die Erschütterungen des Personenverkehrs um ca. den Faktor 5 (Personenzug mit 40 km/h) bzw. ca. Faktor 10 (Personenzug mit 25 km/h) geringer ausfallen als jene des Güterverkehrs", so Müller-BBM in ihrem Gutachten. Auch die PTB-interne Zusammenfassung der Labormessungen spricht davon, dass die bei den Messfahrten eingesetzten Personenzüge relativ geringe Störschwingungspegel erzeugten. An Werktagen wäre dies tolerabel, sofern die Personenzüge maximal 40 Kilometer pro Stunde fahren würden. Auf Wunsch der PTB sollte zudem maximal alle 30 Minuten ein Zug das PTB-Gelände passieren. Dies eröffnet unter anderem die Option, die derzeit besonders rauscharmen Verhältnisse nachts und an Wochenenden auch in Zukunft für Spezialaufgaben nutzen zu können.
Abschließend betonen sowohl Müller-BBM als auch die PTB – so wie es sich für redliche Messungen gehört -, dass diese Ergebnisse auf der Basis der aktuellen Gegebenheiten (also etwa die Qualität der Bahntrasse und die eingesetzte Zugtechnik) erzielt wurden. Diese Parameter dürften auf keinen Fall schlechter werden. Sondern ganz im Gegenteil: Jede Verbesserung in der Gleis- und Zugtechnik, welche das Eintragen von Schwingungen in den Boden verringern würde, wäre für die PTB freilich mehr als willkommen. Denn die Erschütterungsszenarien, die vielleicht jetzt gerade noch akzeptabel sind, sind es nicht unbedingt für alle Zeiten. Denn die Messtechnik entwickelt sich stetig weiter und wird immer genauer.
Maßnahmen zur Reaktivierung
Die Eisenbahnstrecke zwischen Braunschweig und Wendeburg ist eine betriebene Bahnstrecke. Der Wendeburger Gemeinderat hat mit einer Resolution die Gemeindeverwaltung beauftragt, Maßnahmen zur Reaktivierung der Strecke für den Personenverkehr zu fördern.
Hierzu wäre im ersten Schritt eine Voruntersuchung zur Standardisierten Bewertung notwendig, um den volkswirtschaftlichen Nutzen neuer Personenverkehre nachzuweisen. Nur mit einem positiven Ergebnis könnten Fördermittel des Landes für umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen entlang der Strecke eingeworben werden. Die Sanierung umfasst nach erster Einschätzung die Ausstattung der Strecke mit neuer Sicherungstechnik, den Ersatz der überalterten Schrankenanlagen und die grundlegende Sanierung des Gleisunterbaus und der Gleise. Für diese umfangreichen Maßnahmen wäre ein Planfeststellungsverfahren erforderlich. Die Entscheidung dafür trifft der Regionalverband Großraum Braunschweig als Aufgabenträger des regionalen ÖPNV.
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