KolumneHeute: Mein Kind kann

von Sina Rühland


| Foto: Anke Meyer



Braunschweig. Wenn man um die Dreißig ist, lässt sich beobachten, wie die befreundeten Paare um einen herum sukzessiv beginnen sich fortzupflanzen. Babys kommen irgendwann im Wochentakt zur Welt. Man ist permanent dabei, ein Vermögen für flauschige Kapuzenjacken in Größe 56 auszugeben oder eine halbe Stunde dabei zuzuschauen, wie das Kleine einfach nichts macht, außer zu schlafen und die frisch gebackenen Eltern damit in Verzückung zu bringen. Vorerst hat niemand mehr Zeit ins Kino zu gehen, und auf die Frage, ob man sich nicht mal wieder auf ein Bier treffen wolle, kommt nur ein hysterisches Lachen als Antwort.

Einige Jahre zuvor, ich erinnere mich, saßen wir alle beisammen in Achims Kneipe. Wir sprachen über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ob man mit einem Full-Time-Job überhaupt Zeit für Kinder hätte. Die Meisten von uns konnten sich damals noch nicht vorstellen, Eltern zu werden und auf Grundbedürfnisse, wie Schlaf und den neuesten Tatort, verzichten zu können. Mittlerweile sind viele Eltern. Sie haben Augenringe, streiten sich alle zwei Tage, wer den Nachtdienst übernimmt und sind gereizt.



Trifft man sich auf einen Kaffee, gibt es nur ein Thema: mein Kind kann. Natürlich sind alle unsere Kinder hochbegabt, ganz klar. Statt einen Zahn im Monat, hat der Kleine quasi Übernacht zwei auf einmal bekommen. Laufen? Sie läuft schon seit sie zehn Monate alt ist – nur gerade jetzt nicht, sie hat diese Nacht nur neun Stunden durchgeschlafen. Eine Freude für all diejenigen, die es wagen kinderlos mit am Tisch zu sitzen. Auf einmal spielt das Weltgeschehen keine Rolle mehr. Putin hat die USA annektiert? Habe ich nicht mitbekommen. Wetten das??? steht weltweit auf Platz eins der Zuschauer-Quoten-Liste? Stand nicht in der Eltern-Zeitung. Guck doch mal, wie süß er schläft.

Nimmt man sich noch als kinderloser Karrierist vor, niemals so zu werden, wie die Freunde es einem vormachen, wird man sich selbst vielleicht später doch überraschen. Möchte man Nachwuchs und ist dieser dann auf der Welt, richtet sich die Wahrnehmung neu aus. „Mein Kind kann“ ist kein Spiel, das die Freunde wahnsinnig machen soll, es ist aufrichtige Bewunderung gegenüber dem entstanden Leben. Es ist, trotz der psychologische Kriegsführung, die ein Kind gegen die eigenen Eltern zu führen scheint, das Größte, wenn die Kleinen das erste Mal durchschlafen. Es es das Größte, wenn das eigene Kind einen anstrahlt, wenn der erste Zahn kommt, wenn es zu Joy Division mit dem Windelpo wackelt. Und, wenn dies bedeutet, dass man sich einige Monate nur Gespräche über Windelgrößen, Stuhlgang und den richtigen Babybrei unterhalten kann, so kann man sich doch damit arrangieren, weil man weiß: es hört irgendwann wieder auf. Dann kommt die Pubertät und darüber will nun wirklich niemand reden.


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