Die Redaktion erreichte ein Leserbrief von Frank Gundel zur Kommunalwahl, dieser wird ungekürzt und unkommentiert veröffentlicht.
Freie Wahlen sind etwas, wovon Menschen in vielen Ländern nur träumen können. Bei uns dagegen hofft man, dass wenigstens 50 Prozent der Wahlberechtigten bei den anstehenden Wahlen für den Rat der Stadt sowie die Bezirksvertretungen ihre Stimme abgeben.
Die geringe Wahlbeteiligung erklären die Parteien gerne mit einer ‚Politikverdrossenheit’ der Wähler. In den öffentlichen Diskussionen reift aber neuerdings die Erkenntnis, dass es sich eher um eine Verdrossenheit über die Parteien und deren Vertreter handelt. Die Wahlen in den letzten Monaten haben für die regierenden oder sich für eine Regierungsbeteiligung positionierenden Parteien in vielen Fällen schmerzhafte Veränderungen im Wahlergebnis gebracht! Erstaunlicherweise sind dabei neuerdings deutliche Fragen aufgeworfen worden danach, was denn die etablierten Parteien in der letzten Wahlperiode im Interesse ihrer Wähler – und nicht primär für Lobbygruppen/“Investoren“ - betrieben haben. Die Unzufriedenheit der Wähler mit ihrer Vertretung war und wird ausweislich der letzten Wahlen in diesem Jahres immer deutlicher.
Egal, auch wenn Sie den Frust teilen: wenn Ihrer Meinung nach irgendeine Partei keinesfalls gewählt werden sollte, dann müssen Sie zur Wahl gehen! Denn andernfalls bestätigen Sie durch Nicht-Wahl das Gesamtwahlergebnis, das heißt auch das Wahlergebnis von für Sie unakzeptablen Parteien beziehungsweise deren Kandidaten !
Nach den letzten Wahlen in Braunschweig sowie im Land waren die Hoffnungen auf Änderungen durch die SPD-geführten Mehrheiten groß. Es ist jetzt an jedem Einzelnen zu entscheiden, wie zufrieden man mit etwaigen ‚Ergebnissen’ ist.
Kein Wahlplakat verweist auf irgendwelche handfesten Erfolge, und die neuen Versprechungen für nach der Wahl sind auch kaum konkret. Ausnahme: fast jede Partei fordert günstigen Wohnraum. Beispielhaft kann man an diesem Thema über die Substanz solcher plakativen Aussagen urteilen. Man muss sich nur daran erinnern, dass die vorherige, von OB Hoffmann angeführte CDU Regierung über 1000 Wohnungen zum Spottpreis von ca. 17.000 EUR pro Wohnung verkauft hat, und ein Aufschrei der SPD ausblieb, ganz im Gegenteil, der heutige SPD OB war damals Sozial(!)-Dezernent der Stadt. Nachdem das Wohnungsproblem seit Jahren immer virulenter wird, versucht man in den letzten Tagen dieses Rates zumindest so etwas wie einen realen Einstieg in das Thema darzustellen.
An dem intransparenten, primär an den Wünschen mächtiger Lobbyisten/Investoren orientierten, Politikstil hat sich in Braunschweig nicht viel geändert. Die Bürgerinteressen kommen nach wie vor erst hinten an.
Als ‚Flughafen-BI’-Infizierter möchte ich beispielhaft für das Nichts-tun Aspekte aus dem Nordosten, d.h. aus dem weiteren Flughafenumfeld anführen, die aber letztlich alle Bürger, die unter den Flugrouten leben, betreffen:
- 7 Jahre nach der gerichtlichen Freigabe der Start- und Landebahnverlängerung stehen verkehrliche Regelungen für Fußgänger, Radfahrer und Autos nach Unterbrechung der Grasseler Straße und des Querumer Forstes immer noch aus. 2009 hat das Gericht eine qualifiziertere Evaluierung gefordert.
- Unnötiger Betriebslärm des Flughafens wird seit Jahren beklagt, aber niemand nimmt sich des Themas an.
- Die hiesige, in Deutschland einmalige Nachtflugregelung ist definitiv kein Nachtflugverbot ! Dies ist die größte Bedrohung für die zukünftige Entwicklung der Lebensqualität und Immobilienwerte in den von Flugbahnen betroffenen Stadtgebieten.
Nachdem das VW Top-Management auch in Folge der Dieselabgas-Affäre sein Flugverhalten normalisieren will – inklusive Verkauf des VW-eigenen Airbus A 319 ! – sollte ein normales Nachtflugverbot jetzt unbedingt auch in Braunschweig eingeführt werden.
Stellt sich die Frage: wen sollte man wählen?
Mein Tipp sind die Vertreter der kleinen, aber etablierten Parteien bzw. Wählerlisten, die sich unabhängig von ‚Verpflichtungen’ für die Interessen der Bürger im Bezirk wie im Rat eingesetzt haben.
Auch aus einem weiteren Grund ist jetzt der optimale Zeitpunkt für einen Denkzettel für die großen Parteien. Im Herbst steht die Entscheidung über CETA an. CETA ist ein Handelsabkommen zwischen EU und Kanada. Dies gilt als fertig verhandelt und soll im Herbst ‚vorläufig’, d.h. ohne Zustimmung der nationalen Parlamente, in Kraft gesetzt werden. CETA ist praktisch die Blaupause für TTIP und damit genauso unakzeptabel!
Neu ist bei diesen Verträgen u.a. der Anspruch auf „regulatorische Kooperation“ für Konzerne, d.h. ein Mitwirkungsanspruch schon in der Frühphase von Gesetzesverfahren. Damit wird praktisch Lobbyismus zum gesetzlichen Anspruch. Mit Handelsschiedsgerichten, unabhängig von unserem nationalen Rechtssystem, soll dann auch noch der Erfolg von Lobbyismus praktisch garantiert werden!
CETA, wie TTIP, greifen auch auf weiteren Feldern auf unakzeptable Weise in unsere demokratischen, Verbraucher- und sozialen Rechte ein. Trotz der großen öffentlichen Proteste wollen die CDU und der Wirtschaftsminister der SPD schon im Herbst für CETA entscheiden. Deshalb sollte ein Denkzettel für diese Parteien bei der Wahl zum Rat überlegenswert sein. Ein Beispiel zum Verständnis: nach Wirksamwerden von CETA, wie auch TTIP, sind Änderungen in der Daseinsfürsorge zum ‚Nachteil’ von amerikanischen Wirtschaftsinteressenten, wie z.B. die Einführung eines Nachtflugverbotes, mit potentiellen Strafen für ‚entgangene Gewinne’ belastet.
Also unbedingt zur Wahl gehen!
Frank Gundel
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