Piraten: "Schwerer Weg zur Leichten Sprache"


Foto: Braunschweiger Rathaus/ Robert Braumann | Foto: Robert Braumann



Braunschweig. Inklusion, also die Möglichkeit der selbstbestimmten Teilhabe an der Gesellschaft, ist ein wichtiges Anliegen der Piratenpartei. Neben vielen unterschiedlichen Ansätzen der Barrierefreiheit stellt Leichte Sprache eine der grundlegenden Inklusionsmaßnahmen dar. Daher hat die Piratenfraktion im Rat der Stadt Braunschweig beantragt, zum rechtlich verbindlichen Bescheid zur Grundsicherung selbigen zusätzlich in Leichter Sprache mit zu versenden.

Unabhängig von Lern- oder Verständnis-Schwierigkeiten, mangelnden Deutschkenntnissen, Hör- und Sehbeeinträchtigungen ist die Stadt
Braunschweig dazu aufgerufen, jeden bei der selbstbestimmten Gestaltung seines Lebens zu unterstützen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dazu gehört natürlich auch, dass Bescheide von Ämtern so formuliert beziehungsweise ergänzt werden, dass jeder die Möglichkeit hat sie zu verstehen.

"Dieser Antrag ist ein naheliegender Schritt, wenn man Braunschweig inklusiv mit Leben füllen will", erklärt Ratsfrau Claudia Jonda. "Ich
hätte allerdings nicht damit gerechnet, dass der Antrag im Ausschuss für Soziales und Gesundheit zu so einer kontroversen Diskussion führt." Während der Diskussion wurde seitens der Fraktion DIE LINKE. der Vorwurf der Stigmatisierung laut. Nur den Bescheid der Grundsicherung in Leichter Sprache zu versenden und alle anderen nicht, würde laut Udo Sommerfeld unterstellen, dass explizit Grundsicherungsempfänger nicht in der Lage seien, rechtssichere Bescheide zu verstehen.

"Natürlich ist das nur ein Anfang. Langfristig sollen nicht nur die Bescheide für die Grundsicherung mit einer Version in Leichter Sprache ergänzt werden, am liebsten hätte ich viel mehr in Leichter Sprache, am besten alles: die Webseite der Stadt, die Webseite des Jobcenters,andere Bescheide, gern auch Formulare. Doch irgendwo müssen wir ja anfangen, warum dann nicht bei den Bescheiden zur Grundsicherung?", argumentiert Jonda dagegen. "Daraus eine Stigmatisierung von Grundsicherungsempfängern zu konstruieren ist für mich nicht nachvollziehbar. Zum Einen geht es in dem Antrag gerade darum, niemanden zu stigmatisieren. Schließlich wird jeder den Bescheid in beiden Ausführungen erhalten, was ein zusätzliches Angebot an den Empfänger darstellt. Zum Anderen ist es für mich unverständlich, wie es durch Barrierefreiheit überhaupt zu einer Stigmatisierung kommen soll. Ich fühle mich ja auch nicht angegriffen, wenn jemand neben eine Treppe noch eine Rollstuhlrampe baut, obwohl ich sie nicht benötige."

Nach der Diskussion konnte sich der Ausschuss lediglich dazu durchringen, den Änderungsantrag der SPD-Fraktion dem Rat zur Annahme zu
empfehlen – dieser baut allerdings neue Hürden auf. Diese Barrieren sehen auch Braunschweiger Verbände, die tagtäglich die
jetzigen Bescheide den Empfängern erklären müssen. Sie verstehen die Entscheidung des Ausschusses nicht. "Ich habe mit Bedauern die Empfehlung des Sozialausschusses zur Kenntnis genommen. Erst vor wenigen Wochen sind die Leitlinien zur Inklusion verabschiedet worden, die zum Ziel haben, diese auch in Braunschweig umzusetzen. Hier fehlte wohl der Mut für diesen wichtigen und richtungsweisenden Schritt die Bescheide in Leichte Sprache umzusetzen", kommentiert Heinz Kaiser, ehemaliger Vorsitzender vom Behindertenbeirat e.V. die Entscheidung. "Statt wirkliche Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben zu geben, wird ein Änderungsantrag empfohlen, der Hürden wie Computerkenntnisse, Internetzugang, Alphabetisierung und gute deutsche Sprachkenntnisse voraussetzt."

Bescheide in Leichter Sprache werden ebenfalls von Frau Nicole Kumpis-Giersig, Refugium Flüchtlingshilfe e. V. befürwortet. Die
Geschäftsführerin erläutert konkret: "Die jetzigen Bescheide benötigen in der Übersetzung viel Zeit und Kreativität, da es für viele Begrifflichkeiten gar keine Übersetzungen gibt. Das kostet wertvolle Zeit, die an anderer Stelle dringender benötigt wird. Bescheide in Leichter Sprache nehmen die Menschen mit und wären für alle eine erhebliche Erleichterung, zum Einen beim Verstehen, zum Anderen beim
Übersetzen. Auch ist es unverständlich, dass derartige Vorschläge nicht bereits umgesetzt werden. Das Bundesamt für Migration druckt und
versendet seine Bescheide neben der juristischen Version im Amtsdeutsch bereits in der jeweils benötigten Heimatsprache des Geflüchteten", erläutert sie die Praxis auf Bundesebene.

Die Schwierigkeiten beim Übersetzen der Bescheide sind ebenfalls dem Haus der Kulturen bekannt. Diesen Verständnisproblemen durch zusätzliche Grundsicherungsbescheide in Leichter Sprache entgegenzuwirken findet hier positiven Anklang, teilte Adama Logosu-Teko gegenüber der Piratenfraktion auf Nachfrage mit. Damit könnte eine zusätzliche Hürde vermieden werden.

Auch die Volkshochschule begrüßt generell die Bestrebungen, Inklusion und Integration in Braunschweig voran zu bringen. "Die Leichte Sprache ist ein wichtiger Teil einer barrierefreien Gesellschaft. Die Erfahrung zeigt, dass aus unterschiedlichsten Gründen juristische Texte nicht verstanden werden. Bescheide in Leichter Sprache räumen diese Schwierigkeiten teilweise aus und erleichtern somit den Zugang in eine selbstbestimmte Kommunikation mit den Behörden", erläutert Herr Lorenzen von der Volkshochschule GmbH.

"Es bleibt zu hoffen, dass der Rat in seiner morgigen Sitzung auf diese Stimmen hört und sich nicht der Empfehlung des Ausschusses anschließt", ergänzt Claudia Jonda. "Und damit allen klar wird, dass so ein Bescheid in Leichter Sprache keine Stigmatisierung sondern eine Unterstützung ist, haben wir für den Rat einen solchen durch das Braunschweiger Büro für Leichte Sprache erstellen lassen. Schließlich ist eine fundierte Entscheidung nur möglich, wenn auch alle wissen, worüber gesprochen wird.


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