Braunschweig. Der Abbau des stadtweiten Endenergiebedarfs um 23 Prozent, energetische Gebäudesanierung für knapp 30.000 Wohneinheiten und Gewerbebetriebe, 80.000 gemeldete Elektro-Fahrzeuge, Ausbau von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sowie eine vielfache Steigerung von Erneuerbaren Energien wie Photovoltaik und Windenergienutzung sowie dem Einsatz von Wärmepumpen – das sind nur einige der Eckpunkte, mit denen Braunschweig das ehrgeizige Ziel, Treibhausgasneutralität möglichst bis 2030 zu erreichen will.
Insgesamt 38 Maßnahmen, 19 davon mit besonderer Priorität, umfasst das Integrierte Klimaschutzkonzept 2.0, das heute den Ratsgremien zur Entscheidung in der Ratssitzung am 27. September vorgelegt wurde und das Oberbürgermeister Dr. Thorsten Kornblum heute der Presse vorstellte. Das Konzept ist vom Fachbereich Umwelt in Begleitung eines Fachbüros erarbeitet worden.
Zeitplan gestrafft
Das Konzept 2.0 baue auf dem Grundsatzbeschluss vom vergangenen Herbst auf, erläuterte Kornblum. Allerdings hatte der Rat damals seine Zustimmung mit der zusätzlichen Auflage verbunden, dass eine Treibhausgasneutralität nach Möglichkeit bereits bis 2030 erreicht werden soll. Deshalb habe die Verwaltung den Zeitplan gestrafft und das Konzept mit weiteren Personal- und Sachmitteln versehen. "Heute hat das Konzept eine Dimension, die dem großen Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2030 angemessen ist", sagte der Oberbürgermeister. "Die Maßnahmen, die es schon gibt, sei es die Verkehrswende mit dem Stadtbahnausbau, sei es die energetische Sanierung oder der Photovoltaikausbau, werden hier jetzt zusammengeführt und mit Ressourcen hinterlegt und entfalten noch einmal eine ganz neue Wucht."
Jahrhundertprojekt für Braunschweig
Der Oberbürgermeister sprach von einem "Jahrhundertprojekt". "In den kommenden Jahren wird sich erweisen, ob wir es als Gesellschaft in Deutschland und weltweit schaffen, die Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen zu erhalten. Braunschweig wird dazu seinen Beitrag leisten." Mit den jetzt vorgelegten Maßnahmen formuliere das Klimaschutzkonzept äußerst ambitionierte Ziele. Das gelte etwa für die energetische Gebäudesanierung angesichts der beschränkten Kapazitäten im Handwerk.
"Gleichzeitig wird deutlich: Ein Großteil der Ziele können wir als Stadtverwaltung zwar anstoßen, dafür werben, Initiativen kanalisieren, beraten. Doch wir brauchen die Mithilfe der Stadtgesellschaft, von Institutionen, Unternehmen, jeder Bürgerin und jedem Bürger. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, und wir können nichts verordnen. Vieles, etwa die Umstellung auf Elektromobilität der Automobilindustrie, können wir auch nicht beeinflussen", hob der OB hervor. Für Anderes würden regionale Kooperationen nötig, etwa wenn es um Flächen geht. "An vielen Stellen bestimmen zudem Bundesgesetzgebung und Förderpolitik unsere Möglichkeiten." Von vielen Faktoren hänge also ab, ob das für Braunschweig verbleibende CO2-Budget von 9,2 Millionen Tonnen, bei dessen Einhaltung das 1,5 Grad-Ziel nicht überschritten wird, bis 2030 aufgebraucht ist und keine ergänzende Kompensation benötigt wird.
Die Stadt wolle alles tun, um die Menschen auf dem Weg mitzunehmen. Der Oberbürgermeister dankte allen Beteiligten, die sich in den mehrjährigen Beteiligungsprozess zur Erarbeitung des jetzt vorgelegten Konzepts eingebracht haben. Dieses sieht auch die Einbindung der Öffentlichkeit über ein Nachhaltigkeitszentrum sowie die Stärkung des Handwerks über einen "Jobmotor Energiewende" vor. Es gebe bisher kaum eine andere Kommune, die ein solches Konzept vorgelegt habe, bei dem das Ziel "2030" konkret mit verbindlichen Maßnahmen, Ressourcen und Zeitplänen hinterlegt wurde, sagte der Oberbürgermeister. "Und wir haben klare Vorgaben auch für ein Monitoring unserer Projekte. Und wir passen es kontinuierlich an, denn viele Entwicklungen können wir derzeit noch gar nicht absehen." Für das Vorgehen zur Erarbeitung des Konzepts hat die Stadt den Klimaschutzpreis des Landes erhalten.
38 neue Stellen
Welche Bedeutung die Stadt diesem Thema einräume, zeige die geplante Schaffung von Ressourcen, die zur Umsetzung des Konzepts vorgesehen sind. Rund 38 Stellen sollen in den Jahren 2022 bis 2024 geschaffen werden, vor allem in den Bereichen Umwelt und Hochbau, aber auch bei der Wirtschaftsförderung. Kornblum betonte, für viele Projekte sei in der Vergangenheit bereits Personal ausgebaut worden. Er nannte rund elf Stellen für den Stadtbahnausbau, 14 für das Radverkehrskonzept, sowie weitere Stellen für das E-Mobilitätskonzept und zahlreiche Projekte im Hochbau- und Grünbereich.
Zudem sieht der Konzeptentwurf zusätzliche Sachmittel in Höhe von etwa 11,5 Millionen Euro in den Jahren 2023 bis 2024 vor. "Natürlich gilt auch hier: Gewaltige Summen sind bereits in der Vergangenheit mobilisiert worden etwa für die genannten Projekte. Jetzt schlagen wir noch einmal deutlich mehr vor, etwa für die Erhöhung von energetischen Standards für unsere städtischen Gebäude bei Sanierungen oder Neubauten."
Umweltdezernent Holger Herlitschke betonte, Braunschweig sei bereits auf einem sehr guten Weg. "Ich habe das Gefühl, das Thema ist in der Stadtgesellschaft angekommen. Die Verwaltung stellt sich mit großen Schritten dafür auf, Unternehmen, Institutionen und Bevölkerung auf dem Weg zu klimaschonender Wärme, Energie und Mobilität zu unterstützen. Die Energiegenossenschaft ist dafür ein hervorragendes Beispiel, das sehr gut angelaufen ist und mit dem wir das Thema "Erneuerbare" in die Stadtgesellschaft tragen können."
Kornblum sagte abschließend: "Wir brauchen einen langen Atem, viel Mut und Entschlossenheit zur schnellen Umsetzung. Ich bin überzeugt, das Klimaschutzkonzept 2.0 bringt Braunschweig dem Ziel näher, Vorreiter im Klimaschutz zu werden."
Die wichtigsten Ziele
• Der Bedarf nach Endenergie (Wärme, Strom, Treibstoffe) wird bis 2030 in Summe um 23 Prozent reduziert. Genauer bedeutet dies eine Reduzierung fossiler Treibstoffe um etwa 50 Prozent, des Wärmebedarfs um 27 Prozent und des Strombedarfs um 5 Prozent (mehr ist wegen der stärkeren Elektrifizierung der Sektoren Mobilität und Wärme nicht möglich).
• Der Wärmebedarf wird durch eine verstärkte energetische Gebäudesanierung Insgesamt betrifft dies knapp 24.000 voll zu sanierende Wohneinheiten und über 4.000 Gewerbebetriebe. Des Weiteren ist eine grundlegende Umorientierung vom Neubau hin zu Umnutzung und Weiterbau vorhandener Immobilien (Stichwort: Graue Energie).
• Der Biomasse-Einsatz (Holz und Biogas bzw. Biomethan) in den lokalen Heizkraftwerken wird bei vollständigem Ersatz der Kohle im Heizkraftwerk Mitte auf nahezu 50 Prozent bis 2024 erhöht und bis 2030 möglichst vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt. Die von BS|ENERGY für 2035 angekündigte Treibhausgasneutralität muss ab 2030 auf geeignete Weise für den Übergang kompensiert werden. Auch auf Gebäudeebene werden Erdöl und Erdgas zunehmend verdrängt. Die Anzahl von mit Wärmepumpen beheizten Wohneinheiten steigt von ca. 1.200 in 2022 auf rund 8.100 bis 2030.
• Eine kommunale Wärmeplanung soll als strategischer Fahrplan für eine erfolgreiche Wärmewende dienen, von der operative Maßnahmen abgeleitet werden (z. B. die Schaffung energetischer Quartierskonzepte, inklusive förmlicher Sanierungsgebiete, Abwärmenutzung, Fernwärmeausbau).
• Der Treibstoffbedarf im Verkehrssektor soll weiter über einen umfangreichen Ausbau des Umweltverbunds (ÖPNV, Fuß, Rad, Stadtbahn) reduziert werden. Neben dem Ziel von 80.000 in Braunschweig angemeldeten Elektro-Pkw wird künftig ein Mix aus Push-Pull-Faktoren für den motorisierten Individualverkehr (MIV) benötigt. Dazu können zählen: angepasste Gebühren für (Anwohner-)Parken, die Ausweisung verkehrsberuhigender Bereiche, die Verkleinerung mehrspuriger Hauptverkehrsstraßen, Stellplatzreduzierungen u.a.
• Durch angepasste Stadtstrukturen, etwa durch die Bündelung von Arbeit und Wohnen innerhalb eines Quartiers oder durch Planung von autoarmen Quartieren, soll Verkehr reduziert werden, ohne die Mobilität einzuschränken.
• Der Ausbau verschiedener erneuerbarer Energien wird deutlich erhöht: Photovoltaik ist das Rückgrat der künftigen Energieversorgung und ihre installierte Leistung muss von 25,5 Megawatt (MW) auf fast 830 MW steigen. Dafür werden auch Freiflächen-Photovoltaik und Photovoltaik über Parkplätzen nötig. FFPV sind in einer Großstadt eine planerische Herausforderung. Regionale Lösungen werden daher nötig werden. Der Regionalverband plant ein Energiekonzept mit den Verbandsgemeinden. Ein gesamtstädtisches Konzept mit Potentialflächen ist nötig.
• Die Windenergienutzung (Repowering der lokalen Anlagen und hauptsächlich möglichst regionaler Import) steigt um das 40-Fache. Weitere Energiequellen (u. a. Solar- und Geothermie, Abwärme/Abwasser) müssen im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung sukzessive erschlossen werden.
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