Zwischen Armut und Gastfreundschaft – Eine Reise auf den Balkan

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Braunschweig. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus endete das Zusammenleben unterschiedlicher Volksgruppen in Jugoslawien. Der 20-jährige Student Torge Daus bereiste nun im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Hilfsorganisation "Schüler Helfen Leben" (SHL) den Balkan – und sah, welche Auswirkungen der europäische Jugoslawien-Krieg noch heute auf die Bevölkerungen hat.

Gemeinsam mit vier Vorstandskollegen trat Torge Daus seine Reise am 16. März in den Südosten Europas an. Die Intention: sie wollten die von der Jugendorganisation geförderten Projekte besuchen, sich mit eigenen Augen ein Bild davon machen, ob die Spenden der Schüler auch dort angekommen sind, wo sie hin sollten. Die erste Station war Tuzla in Bosnien und Herzegowina, wo der SHL-Vorstand das 2014 neu gewählte Projekt „Perspektiven für vergessene Flüchtlinge“ besuchte. "In diesen Flüchtlingsunterkünften wachsen mittlerweile ganze Generationen heran. Es mangelt an einigem – vor allem jedoch an Perspektiven", sagt Torge. So hätten Kinder zwar die Möglichkeit eine Schule zu besuchen, jedoch gebe es keine Busverbindung in das acht Kilometer entfernte Dorf. Prostitution, Gewalt und Drogen seien dort ein großes Problem. Die Fördermittel aus der jugendgeführten Organisation fließen in das Projekt, das Psychologen zur Arbeit mit den dortigen Bewohnern abstellt. Beratungsgespräche, Bildungsarbeit und soziale Eingliederungsmaßnahmen sollen den Menschen ihren Anfang außerhalb der Unterkunft erleichtern.

Homosexuellen wird oft mit Gewalt begegnet




Die Reise führte Torge weiter in die Bosnische Landeshauptstadt Sarajevo. Dort besuchte das fünfköpfige Team das Zweigbüro der Stiftung und tauschte sich mit der Jugendpresse vor Ort aus. Weiter ging es dann nach Serbien, wo der Student in Novi Sad die Auslandsfreiwillige Rahel besuchte, die im Jugendzentrum CK13 arbeitet. "Das Zentrum soll gerade auch homosexuellen Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich im geschützten Rahmen wie sie selbst verhalten zu dürfen. In Serbien begegnet man Homosexuellen oft mit Gewalt. Es ist zwar nicht verboten – das würde die EU wohl nicht mitmachen – aber in vielen Familien gilt diese Liebe oft als Schande oder Fluch." In der Tat ist Homosexualität in Serbien seit 1994 legal, seit 2009 ist Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gesetzlich verboten. Und doch werden immer wieder Übergriffe auf Homosexuelle dokumentiert.

Nationalismus ist ein Problem




Über die serbische Landeshauptstadt Belgrad reiste Torge weiter in den Kosovo, wo er ebenfalls ein von der Organisation betriebenes Jugendzentrum besuchte. Nahe der kosovarischen Hauptstadt Prishtina liegt das Zentrum, das sich um den Austausch zwischen serbischen und albanischen Jugendlichen kümmert. "In vielen Staaten des Balkan ist Nationalismus ein großes Problem", erzählt Torge. Nationalistische Strömungen wurden mit dem Ende der Föderativen Republik Jugoslawien im Jahr 1992 stärker, aus Nachbarn wurden Feinde – bis schließlich mehrere Kriege dazu führten, dass das frühere Jugoslawien in seine Einzelteile zerfiel. Diese Feindschaft zwischen den Bevölkerungsgruppen zeigt sich sporadisch noch in der Gegenwart. Territoriale Machtansprüche, kulturelle und religiöse Unterschiede zwischen Christen, Muslimen und Orthodoxen tragen sich, wenn auch vermindert, fort. Bis heute ist der Kosovo von einigen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen nicht anerkannt.

Gastfreundlich trotz bitterer Armut




Torge kam eher zufällig mit Südosteuropa in Berührung. Nach seinem Abitur entschloss er sich, nicht sofort mit einem Studium zu beginnen und begann seine Arbeit als Freiwilliger innerhalb eines sozialen Jahres bei Schüler Helfen Leben. Torge fährt dort hin, wohin sich Touristen eher selten verirren, wo Armut allgegenwärtig ist, wo Kulturen divergent sind. "Als ich von meiner Reise zurück kam, wusste ich zu schätzen, was wir hier haben. Hier reicht der Strom nicht nur für vier Stunden, wir duschen morgens mit warmem Wasser." Auch Konflikte und Armut sehen in Deutschland anders aus. Berührt war Torge vor allem, als er gesehen hat, wie ein bettelnder Junge geschlagen und getreten wurde. Gewalt gegenüber Kindern wird in vielen Ländern der Welt toleriert und nicht gesellschaftlich oder juristisch geahndet. Nicht desto trotz fühlt sich Torge sicher und wohl während seiner Reisen auf den Balkan. "Ich habe mich nie bedroht gefühlt – im Gegenteil. Die Gastfreundschaft der Menschen ist sehr liebenswert, Selbst die, die nichts haben, teilen mit dir. Mich faszinierend die unterschiedlichen Kulturen, die den Südosten geprägt haben, die Vielfalt an Menschen", sagt Torge. "Und doch, gibt es noch einiges zu tun. Viele Menschen dort sind ratlos, perspektivlos. Sie können nicht in die EU, weil sie, bis auf Kroatien, nicht in der EU sind." Da die Länder des ehemaligen Jugoslawien als "ruhig" gelten, haben die Menschen lediglich die Möglichkeit ein Visum zu beantragen. Diese und die daraus resultierenden Lebensumstände möchte der Student mit seiner Arbeit positive beeinflussen – Hilfe zur Selbsthilfe leisten, sagt er.

Projektgelder kommen von Schülern


Schüler Helfen Leben e. V. ist eine Jugendinitiative, die während des Jugoslawienkrieges 1992 Schülern gegründet wurde. Seit 1998 richtet der Verein den inzwischen jährlich stattfindenden Sozialen Tag aus. Bei dieser bundesweiten Spendenaktion gehen Schüler für einen Tag arbeiten und spenden ihren Lohn an die Projekte von Schüler Helfen Leben. Diese umfassen überwiegend die Jugend- und Bildungsarbeit in Südosteuropa sowie die Hilfe für syrische Flüchtlinge in Jordanien. Beim vergangenen Sozialen Tag im Juli erarbeiteten fast 80.000 Schüler rund 1,5 Millionen Euro für den guten Zweck. Auch einige Braunschweiger Schulen haben sich angemeldet, um an dem Sozialen Tag, am 9, Juli, teilzunehmen.


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