Berlin. Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt hat in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Bundesweit wurden 179.179 Opfer polizeilich registriert, was einem Anstieg von 9,3 Prozent gegenüber dem letzten Pandemie-Jahr 2021 entspricht, berichtet die "Welt am Sonntag".
Als Täter werden Partner, Ex-Partner und Familienangehörige erfasst. Zwei Drittel der Opfer sind Frauen. Die Dunkelziffer ist hoch, weil sich viele nicht trauen, Anzeige zu erstatten. Beim Vergleich der Bundesländer verzeichnet das Saarland mit 19,7 Prozent (3.178 Opfer) den stärksten Zuwachs.
Dahinter kommen Thüringen (plus 18,1 Prozent, 3.812 Opfer) und Baden-Württemberg (plus 13,1 Prozent, 14.969 Opfer). Insgesamt melden 15 Bundesländer deutlich mehr Opfer. Deren Zahl sank nur im Land Bremen (minus 13,6 Prozent, 2.615 Opfer). Nordrhein-Westfalen weist 37.141 Opfer (plus 8,5 Prozent) aus.
Auffällig ist, dass im bevölkerungsreichsten Bundesland die Zahl der Körperverletzungen bei häuslicher Gewalt im Fünf-Jahres-Vergleich um 26,2 Prozent gestiegen ist. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte dazu: "Die Zündschnur ist bei vielen Menschen kürzer geworden und der allgemeine Ton rauer. Das gesellschaftliche Klima hat sich verändert." Dies mache auch an den Haustüren nicht Halt.
"Zu Hause ist mehr Gewalt eingezogen." Die Daten der Länder fließen in ein Lagebild ein, das vom Bundeskriminalamt erstmals erstellt wird. Dessen Präsident Holger Münch, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) präsentieren es am 3. Juli in Berlin. Zudem lassen sie derzeit eine große "Dunkelfeldstudie" erstellen.
"Häusliche Gewalt geschieht oftmals im verdeckten, im privaten Bereich. Scham- und Schuldgefühle der Betroffenen führen häufig dazu, dass die Taten im Dunkeln bleiben und nur selten polizeilich angezeigt werden. Dieses Dunkelfeld ist ungleich größer als das Hellfeld", so Paus. Sie plant auch eine staatliche "Koordinierungsstelle", die häusliche Gewalt ressortübergreifend bekämpfen soll.
Faeser fordert mehr Kontrollen der Polizei, wenn diese Täter nach gewaltsamen Übergriffen aus der Wohnung verwiesen hat. "Das muss konsequent kontrolliert werden, damit Täter nicht schnell wieder zurückkehren", sagte sie. Denn häusliche Gewalt sei keine Privatsache, sondern ein gravierendes gesellschaftliches Problem. "Gewalt fängt nicht erst mit Schlägen oder Misshandlungen an: Es geht auch um Stalking und Psychoterror."
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, macht Nachwirkungen der Corona-Pandemie für den Anstieg der Gewalt verantwortlich. "Offenkundig hat die angespannte Lebenssituation der Corona-Jahre sich in erhöhter familiärer Gewaltbereitschaft niedergeschlagen. Die finanziellen und gesundheitlichen Sorgen, die räumliche Enge, die Unsicherheit über die Zukunft haben als eine Art Brandbeschleuniger für Gewalt in Partnerschaft und Familie gewirkt", sagte sie. Mit dem Ende der Pandemie lasse sich das nicht einfach zurückdrehen. "Es sind Konfliktmuster entstanden, die schmerzlich fortwirken." Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik bei der Diakonie, nannte die Zunahme bei den Gewaltopfern erschreckend. "Ein Grund für den Anstieg könnte sein, dass das Bewusstsein für häusliche Gewalt insgesamt gestiegen ist und nach den unsicheren Jahren der Pandemie Frauen jetzt eher Fälle von Gewalt anzeigen", sagte sie der "Welt am Sonntag".
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