"Eine Bedrohung für den Rechtsstaat" - Innenministerium informiert über kriminelle Clans

Ein weiterer Polizist in Peine wurde bedroht. Innenminister Pistorius sieht aber keine Hotspots für Clankriminalität in Niedersachsen.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius. Archivbild
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius. Archivbild | Foto: Werner Heise

Hannover. Kürzlich sorgte der Fall einer Peiner Polizistin, die sich nach Bedrohungen aus dem Bereich krimineller Clans versetzen ließ, für Schlagzeilen (regionalHeute.de berichtete) und brachte das Thema Clankriminalität wieder in den Fokus. Am heutigen Freitag stellte nun der Niedersächsische Innenminister Boris Pistorius das erste öffentliche Lagebild zur Clankriminalität in Niedersachsen vor. Demnach habe es in Peine bereits einen weiteren Fall von Bedrohung eines Polizisten gegeben. Das teilt die Landesregierung in einer Pressemitteilung mit.


"Offenbar suchen die kriminellen Clans zugehörigen Personen oder Gruppen die offene Konfrontation mit dem Rechtsstaat geradezu", kommentiert Pistorius die aktuelle Situation in Peine. Das wolle man nicht akzeptieren. In Peine hatten in den vergangenen Wochen mutmaßliche Clanmitglieder eine im Innenstadtbereich wohnende Polizeibeamtin bedroht, zuvor war ihr Auto mehrfach beschädigt worden. Einen weiteren Beamten, der in dieser Sache ermittelt, hatten Clanmitglieder bis zu seinem privaten Wohnsitz verfolgt. "Diese Form der Bedrohung macht den Betroffenen Angst. Genau darum geht es den Clans dabei! Einzuschüchtern, Angst zu machen und zu verunsichern", so der Innenminister. Die Polizei treffe alle notwendigen Maßnahmen gegen Straftäter und Gefährder. "Die Polizei in Peine hat in der Vergangenheit bereits viel getan. Klar ist aber auch, dass dort eine Situation eingetreten ist, die es offensichtlich notwendig macht, nochmal einen Gang höher zu schalten. Das werden wir tun", kündigt Boris Pistorius an.

"Ein ernstzunehmendes Problem"


Allgemein sei Clankriminalität in allen ihren Ausprägungen in Niedersachsen ein ernstzunehmendes Problem. Auch wenn die Anzahl der Straftaten selbst im Promillebereich im Verhältnis zur Gesamtkriminalität stehe.

"Kriminelle Clanmitglieder sind gewalttätig, sie bedrohen ihre Konkurrenz genauso wie Angehörige der Polizei. Mitglieder aller kriminellen Clans in Niedersachsen treten mit überhöhtem Ehrgefühl und großer Respektlosigkeit auf, sie beachten geltende Regeln und Gesetze nicht. Sie bedrohen damit unseren Rechtsstaat und unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft. Sie akzeptieren unsere Rechtsordnung genau so wenig wie Vertreter des Rechtsstaats, die kommunal geltenden Regelungen und die Ordnungsbehörden. Darauf reagieren wir repressiv und unmittelbar mit allem, was uns insbesondere im polizeilichen Repertoire zur Verfügung steht!"

- Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport Niedersachsen


Die mit Abstand meisten Täter sind deutsche Staatsbürger


2019 wurden in Niedersachsen insgesamt 2.630 sogenannte Ereignisse im Zusammenhang mit Clankriminalität registriert, davon handelte es sich in 1.585 polizeilichen Vorgängen um Straftaten. Im Wesentlichen waren hier Körperverletzungs-, Bedrohungs- und Beleidigungsdelikte zu verzeichnen. 1.646 Personen wurden als Tatverdächtige oder Beschuldigte erfasst. Davon waren 87 Prozent männlich und mehr als 50 Prozent in einem Alter von unter 30 Jahren. Die Beschuldigten oder Tatverdächtigen kommen ursprünglich aus 49 verschiedenen Staaten. In Bezug auf die Herkunft dominiert allerdings die Bundesrepublik Deutschland mit 890 Personen, gefolgt vom Libanon (167), der Türkei (162), Syrien (83) und Rumänien (53). Insgesamt wurden Vermögenswerte in Höhe von knapp 5,7 Millionen Euro vorläufig gesichert. 355 Personen (21,6 Prozent) traten 2019 mehrfach als Täter in Erscheinung.

"Keine Hotspots in Niedersachsen"


Die Tatorte verteilen sich - in unterschiedlicher Ausprägung - nahezu über das gesamte Flächenland Niedersachsen und zwar sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten. Urbane Hotspots, wie sie aus anderen Ländern bekannt und in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt sind, sind in Niedersachsen in der Intensität aber nicht erkennbar.

Zur Einschätzung des Dunkelfeldes der Clankriminalität sagt der Präsident des Landeskriminalamtes Niedersachsen, Friedo de Vries: „Wir gehen davon aus, dass wir im Dunkelfeld noch etwas mehr Straftaten clankriminellen Personen und Gruppierungen zuschreiben müssten. Es liegt aber gerade in der Eigenart der Clankriminalität, dass die Polizei aufgrund der familiären Abschottung und durch Einschüchterungshandlungen von einem gewissen Teil der Straftaten erst gar nicht erfährt."

Erstmals gibt es einen öffentlichen umfangreichen Einblick


Das jetzt vorgelegte Lagebild zur Clankriminalität für das Jahr 2019 gewährt erstmals öffentlich einen umfangreichen Einblick in die verschiedenen Ausprägungen der Clankriminalität, Details behördlicher Bewertungen und Maßnahmen. Niedersachsen hatte - als eines der ersten Bundesländer - einen Schwerpunkt in der Bekämpfung der Clankriminalität gesetzt und bereits seit 2013 interne Lagebilder erstellen lassen, die aber bisher lediglich für dienstliche Zwecke Verwendung fanden, insbesondere um Einsatz- und Ermittlungsmaßnahmen zu unterstützen. Pistorius: „Wir haben schon sehr früh auch mit einem Lagebild den Fokus auf kriminelle Clanmitglieder gelegt, das waren insbesondere kriminelle Personen türkisch-arabischer Abstammung. Sie waren seit Jahren durch Gewalttätigkeiten, Aggressivität und auch Widerstandshandlungen gegen Polizeikräfte aus teils nichtigem Anlass in Erscheinung getreten. Diese Entwicklung führte dazu, die vorhandenen Daten und Erfahrungen erstmals vor sieben Jahren auch in ein landesweites Lagebild zu überführen."

Die wesentlichen Kriterien zur Erstellung der Lagebilder wurden von 2013 bis zu dem jetzt vorgelegten Lagebild immer deutlicher definiert. So wurden Straftaten zunächst vor allem durch eindeutig zuzuordnende Nachnamen von bekannten Gefahrenverursachern und Straftätern der Clankriminalität retrograd zugeordnet, also in der Regel erst lange, nachdem sich die Straftat ereignet hatte. Diese Vorgehensweise hat sich mit dem Jahr 2019 - also mit dem jetzt vorgelegten Lagebild - entscheidend verändert. Dieses neuartige Lagebild generiert sich insbesondere daraus, dass die Polizei in jahrelanger fachlicher Annäherung einen ausgereiften Merker für Straftaten mit Bezug zur Clankriminalität entwickelt hat.

Bundesweit einzigartige Methodik


Diese bundesweit so einzigartige Methodik setzt im Gegensatz zum bisherigen retrograden Vorgehen bereits in der Erfassung der Daten in NIVADIS, dem polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem, an. Innenminister Pistorius: „Wir befinden uns auch noch in der Einführungs- oder, wenn man so will, Lernphase. Die Einführung entsprechender Merker in die Praxis dauert mit Blick auf das Nutzungsverhalten meist eine gewisse Zeit. Das kennen wir aus anderen Phänomenbereichen. Wir können mit diesem neuen Ansatz Sachverhalte schneller der Clankriminalität zuordnen, was gerade im dynamischen Feld dieser Kriminalitätsform enorm wichtig für die Arbeit der Polizei ist. Unser Ziel ist es, immer vor der Lage zu sein! Diese neue Systematik der Erfassung und Zuordnung geht deutlich über hauptsächlich ethnische Kriterien - wie bis zum Lagebild 2018 - hinaus. Namen, Herkunftsländer und Nationalitäten sind keine allein bestimmenden Kriterien mehr. Es geht um typisch Clan-kriminelles Verhalten!"


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