Gesetzentwurf: Werden Opfer von Gewalt schlechter gestellt?

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Gerade für Beteiligte eines Terroranschlags wie vor zwei Jahren in Berlin könnte der neue Gesetzentwurf Nachteile mit sich bringen. Foto: Archiv
Gerade für Beteiligte eines Terroranschlags wie vor zwei Jahren in Berlin könnte der neue Gesetzentwurf Nachteile mit sich bringen. Foto: Archiv | Foto: Alexander Panknin

Berlin. Ende letzten Jahres legte das Bundessozialministerium einen Referentenentwurf für ein Gesetz vor, durch das künftig die Leistungen für Opfer von Terror und Gewalt geregelt werden sollen. Doch die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer Weißer Ring lehnten diesen Entwurf ab. Viele Betroffene würden so schlechter gestellt. Das teilt Markus Müller, Leiter der Außenstelle Salzgitter des Weißen Rings, mit.


„Das sind keine guten Nachrichten zum Jahreswechsel“, so Müller. Gerade angesichts der Erfahrungen mit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor zwei Jahren hätte man nach den vielen Versäumnissen und Pannen bei der staatlichen Opferhilfe und -betreuung deutliche Verbesserungen erwarten dürfen“.

Auch die Bundesgeschäftsstelle des Weißen Rings lehnt den Gesetzesentwurf in Gänze ab. Einschränkungen bei Schockschäden, Wegfall der Entschädigung für Einkommensverluste bei Hinterbliebenen von Opfern von Tötungsdelikten, regelmäßige Überprüfung der Anspruchsberechtigung auch bei Verlust von Gliedmaßen: Trotz geplanter Verbesserungen etwa für Opfer von Sexualstraftaten könnten künftig gerade die schwer Geschädigten schlechter gestellt werden, heißt es in der Pressemitteilung.

Keine Hilfe für Tatzeugen ohne direkte Opferbeziehung?


Wer beispielsweise als Tatzeuge des Terroranschlags auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin am 19. Dezember 2016 einen Schockschaden erlitten habe und stark traumatisiert worden sei, weil er mitansehen musste, wie Menschen von dem durch den Terroristen gelenkten LKW überrollt worden sind, müsste künftig als Tatzeuge eines vergleichbaren Ereignisses eine enge emotionale Beziehung zu einer der verletzten oder getöteten Personen nachweisen. Besteht diese nicht, soll der Betroffene trotz erheblicher gesundheitlicher Schädigung nicht mehr eine Rentenzahlung oder Rehabilitation erhalten.

„Tatzeugen erleben das Verbrechen und sind unmittelbar von der Tat betroffen. Folglich sind auch sie Opfer und haben daher ein Recht auf volle Entschädigung und bestmögliche Versorgung. So sieht es bisher auch ein Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahre 2006 vor", sagt Jörg Ziercke, Bundesvorsitzender des Weißen Rings und ehemaliger Präsident des Bundeskriminalamts.

Misstrauen der Bürokratie gegen Antragsteller?


Laut Entwurf ebenfalls neu beabsichtigt sei eine Regelüberprüfung der Anspruchsberechtigung bei Opfern, die durch eine Tat schwerste Schädigungen davongetragen haben. Selbst wer durch einen kriminellen Akt unwiderruflich Gliedmaßen oder etwa ein Auge verloren hat, könnte sich alle fünf Jahre einer Überprüfung ausgesetzt sehen. Das wäre eine Neuregelung, die Betroffene unnötig belastet und die der Gesetzgeber nach seiner Begründung wohl nicht gewollt hat. Hier muss zumindest die Formulierung aus der Begründung übernommen werden, die von einer Überprüfung spricht, die „in der Regel" erfolgen soll. „Andernfalls dokumentiert der Gesetzentwurf leider ein offenkundiges Misstrauen der Bürokratie gegen Antragsteller, die schwerste Schicksalsschläge geltend machen", sagt Ziercke.

Keine Hilfe mehr für die Hinterbliebenen?


Bei den Hinterbliebenen von Mord- und Totschlagsopfern wiederum sollen durch das Verbrechen erlittene Einkommensverluste künftig nicht mehr entschädigt werden. Ferner sollen Eltern eines Getöteten, die nicht mehr allein für ihren Unterhalt sorgen können, zukünftig keine Rentenzahlungen mehr erhalten. „Das strahlt, man muss es leider so nennen, eine soziale Kälte aus, die eines Sozialstaates unwürdig ist. Es darf nicht sein, dass Angehörige von schwer geschädigten Opfern wegen eines Verbrechens in die Sozialhilfe abrutschen", betont Ziercke.

Der Weiße Ring habe einen eigenen Entwurf für eine Weiterentwicklung der Opferentschädigung in Deutschland vorgelegt. Dieser setze auf den Vorschriften des bisherigen Entschädigungsrechts, geregelt durch das Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz, auf und ergänzt diese durch Verbesserungsvorschläge wie etwa den zur Beweiserleichterung für Opfer sexuellen Missbrauchs. Durch den Entwurf des Weißen Rings seien die Lücken im bestehenden Opferentschädigungsrecht beseitigt worden.


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