Goslar. SPD, FDP, ein Arbeitskreis, Anwohner, Umweltschutzorganisationen und sogar ein stadtbekannter Investor laufen Sturm gegen die Pläne für den Fliegerhorst. Etliche neue Grundstücke sollen vermarktet werden. Eine Petition gegen Massenabholzung und weitere Kritikpunkte hat bereits 1.215 Unterschriften. Doch die Probleme beginnen schon bei dem, was bereits fertiggestellt wurde - Radwege fehlen ganz, Fußwege und Straßen sind zu schmal oder fehlen ebenfalls. Im kommenden Bauausschuss warten ganze vier Änderungsanträge oder Dringlichkeitsanfragen verschiedener Fraktionen darauf, diskutiert zu werden. Ein anderer Investor, Uwe Schwenke de Wall, äußert sich in einem Brandbrief an die Stadt drastisch: "Es besteht höchste Gefahr auf den Schulwegen für Kinder".
Schon im Oktober herrschte Entsetzen über die großflächigen Abholzungen am Fliegerhorst. Um neue Baugrundstücke zu erschließen, wurden hier von Bauinvestor Folkert Bruns im nördlichen Bereich des Geländes durch großflächige Abholzungen Fakten geschaffen - der Bebauungsplan, der diese Flächen als Wohngebiet festlegen soll und am Donnerstag im Rat diskutiert wird, legt diese Fläche noch als Waldgebiet fest. Eine Diskussion um Erhalt von Grün- und Baumflächen im und um das Neubaugebiet herum ist mit den erfolgten Abholzungen nicht mehr möglich.
Investor Folkert Bruns steht in der Kritik - unter anderem wegen der widerrechtlichen Abholzung von Waldflächen. Foto: Archiv
Schadensbegrenzung Sache von einem Jahrhundert
Hiergegen richtet sich ein Antrag der Grünen: "Dem Rat wurde durch das Vorgehen des Investors die Möglichkeit genommen eingegangene Einwände zum Bebauungsplan zu prüfen und gegebenenfalls Änderungen vorzunehmen. Das Waldgebiet ist unwiederbringlich zerstört", heißt es in dem Antrag. Die Grünen fordern nun Schadensbegrenzung und eine ökologisch gleichwertige Wiederaufforstung. "Es wird in der Folge trotzdem über 100 Jahre dauern bis der Bestand wieder die gleichen Funktionen erfüllen kann wie der vernichtete Bereich", so das abschließende Fazit der Grünen.
"Asbest und Schlacken" im Wald verscharrt
Weitere Konflikte bahnten sich im Dezember 2020 an. Eine Ortsbegehung durch BUND und NABU brachte eine Bauschuttdeponie zutage - in einem geschützten Grünflächenbereich. "Sonderabfall wie Asbest und Schlacken waren schon an der Oberfläche zu erkennen", so die NABU-Kreisgruppe Goslar in einer Pressemitteilung. "Da der Schutt fast komplett eingebaut, das heißt, zugeschoben und planiert ist, findet hier nicht nur Zwischenlagerung statt", heißt es weiter. Das entsprechende Gelände nahe der Mergelgrube am nordöstlichen Ende des Geländes sei eingezäunt, ohne Firmenschild und wie der NABU außerdem beklagt - wahrscheinlich ohne Genehmigung.
"Nichts deutet bisher auf eine ordentliche Genehmigung der Deponie hin. Das wird noch spannend und mir wird zunehmend klarer, wie dieses Geschäftsmodell läuft."
Die beiden Umweltschutzorganisationen haben Anzeige erstattet. Um die Hintergründe dieser Aktion aufzuklären, haben die Grünen unter Ratsfrau Sabine Seifarth eine Anfrage an die Stadt Goslar gestellt. Sie kündigte bereits an, dem Bebauungsplan mit ihrer Fraktion weder im Stadtrat, noch im Kreistag zustimmen zu wollen.
SPD-Antrag eine "Nebelkerze?"
Die SPD hat einen umfangreichen Änderungsantrag zum Bebauungsplan eingebracht, der am 14. Januar verabschiedet werden soll. Er beinhaltet etliche Optimierungsmaßnahmen zu Radwegen, Alleen, Waldergänzungen und einem Rundweg. Außerdem soll im gesamten Fliegerhorst Tempo 30 gelten. „Während der Weihnachtszeit haben wir auch durch viele Gespräche mit dem Investor Kompromisslösungen diskutiert und unter Abwägung aller Argumente in einem umfassenden Ergänzungsantrag im Sinne der Optimierung des Fliegerhorstes beschrieben“, so Fraktionsvize Martin Mahnkopf: „Das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen“, ergänzt Ratsherr Stefan Eble. Der Antrag sei eine Sammlung aus Vorschlägen, Anregungen und Kritikpunkten des Arbeitskreises Fliegerhorst, der auch die Petition ins Leben gerufen hatte, sowie umfangreichen Gesprächen bei Ortsterminen und auch mit dem Investor selbst. Als Alternativen zu den Vorschlägen der Grünen und der FDP, durch deren Vorschlag einer Teilaufforstung 5.000 Quadratmeter Baugrundstücke verloren gehen würden, schlägt die SPD eine zusätzliche Allee an der Straße „Im Fliegerhorst“ und/oder am Franzosenhai vor sowie Waldergänzungen, zum Beispiel auf dem Gebiet der aktuellen Lagerfläche des Bauschutts vor.
Die SPD-Vorschläge ernten jedoch ebenfalls Kritik. Anwohner und "Fliegerhorst-Aktivist" Joachim Jerke schreibt auf Facebook: "Aus meiner Sicht ist der Antrag eine Nebelkerze und an Hohn nicht mehr zu überbieten." Er hält die Pflanzung von Alleebäumen aufgrund der unterirdischen Versorgungsleitungen für nicht umsetzbar und sieht auch in den per Piktogramm auf den zu schmalen Straßen abgetrennten Fahrradwegen eher Gefahr für die Radfahrenden als einen Nutzen. "Zur Krönung sollen auf die Deponie Bäume gepflanzt werden. O-Ton: Es handelt sich lediglich um Erdaufschüttungen", meint Jerke und schlussfolgert: "So soll sprichwörtlich Gras über die Sache wachsen."
Investor schreibt Brandbrief an die Verwaltung
Schon im Vorfeld der bereits geschlossenen Bebauungspläne liefen etliche Institutionen, die für die Festsetzung einbezogen wurden, gegen viele Punkte Sturm. Dass ihre Bedenken größtenteils in den Wind geschlagen wurden, ist anhand der baulichen Situation auf dem Fliegerhorst offensichtlich. Festgesetzte Fußwege, Grünflächen, Lärmschutzwände fehlen. Auf dem Bebauungsplan als "zu erhalten" festgesetzte Bäume fehlen ebenfalls - mindestens 40, wie ein Anwohner in akribischer Kleinarbeit nach einer Ortsbegehung feststellte. Ersatzpflanzungen seien - anders als vorgesehen - ebenfalls nicht vorgenommen worden.
Uwe Schwenke de Wall (Senior) schrieb einen Brandbrief an die Stadt Goslar. Er entwickelte selbst als Investor mehrere Neubaugebiete. Foto: Archiv
Investor Uwe Schwenke de Wall (Senior) schrieb am 7. Januar einen Brandbrief an die Stadt Goslar. Er selbst entwickelte bereits mehrere Neubaugebiete im Landkreis, so beispielsweise die Weidenstraße in Wiedelah oder das Neubaugebiet Liethberg IV in Vienenburg. "Es ist eine Ungleichbehandlung von Investoren durch die Stadt Goslar festzustellen. Im Vergleich zu diesem Baugebiet wurden für diejenigen Baugebiete, für die ich selbst als Investor in der Stadt Goslar verantwortlich war, deutlich höhere Anforderungen in Bezug auf Straßenbreite, Gehweganlagen, Parkraum, Grünflächen und Baumanpflanzungen gestellt. Warum gelten diese Anforderungen nicht auch für den Fliegerhorst-Investor?", fragt Schwenke de Wall in seinem Brief.
Dramatische Unterschiede zu anderen Neubaugebieten
Die Differenzen zwischen den Eckdaten der Baugebiete sind stellenweise riesig. Am Liethberg (Größe: 40.778 Quadratmeter) gibt es 46 Baugrundstücke, im Bereich Fliegerhorst Nord (Größe: 64.000 Quadratmeter) ganze 64. Am Liethberg beträgt die Straßenbreite größtenteils elf Meter, am Fliegerhorst maximal sechs. Der Liethberg bietet 24 öffentliche Parkplätze außerhalb der Fahrbahn, am Fliegerhorst werden drei außerhalb der Fahrbahn vorgehalten - weitere 25 auf der gerade einmal sechs Meter breiten Fahrbahn. Gehwege fehlen, ebenso öffentliches Grün. "Da nach Fertigstellung unter Berücksichtigung der rund 100 Wohnungen voraussichtlich mehr als 120 Familien mit bis zu 200 Kindern das Baugebiet bewohnen werden, besteht höchste Gefahr auf den Schulwegen für Kinder", kommentiert der Investor die fehlenden Fußwege.
"Jeder eingesparte Quadratmeter öffentliche Fläche bringt zusätzliche Baulandfläche und Gewinn für den Investor, geht aber zulasten von Grünflächen, Umweltschutz, Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität"
Uwe Schwenke de Wall nimmt sich selbst nicht davon aus, auch mit seinen Investitionen eine möglichst hohe Rendite erzielen zu wollen: "Die Stadt muss aber Grenzen ziehen, die Interessen der Allgemeinheit vertreten und nicht jedem Wunsch nachgeben. Das ist hier offensichtlich versäumt worden."
"Wichtige Planungsaspekte der Profitmaximierung geopfert"
Auf Basis dieser Feststellungen hat die FDP-Ratsfraktion eine Dringlichkeitsanfrage an die Stadtverwaltung gestellt, der die offensichtlichen Unterschiede in den Prioritäten bei den Festsetzungen verschiedener Bebauungspläne von Neubaugebieten behandelt. "Die FDP-Ratsfraktion möchte, bevor die Ratsgremien den Satzungsbeschluss fassen und den Erschließungsvertrag mit seinen vielfältigen Anlagen beschließen, verschiedene Punkte von der Verwaltung rechtsverbindlich beantwortet haben."
"Es entsteht hier der Verdacht der vermeintlichen Vorteilsgewährung des Investors durch die Stadtverwaltung."
Die FDP-Ratsfraktion moniert unter anderem: "Für die Bürger ist es nicht nachvollziehbar, dass dieser Investor widerrechtlich durch das Abholzen des Waldes bestehendes Recht gezielt gebrochen hat und nun durch offensichtliche Sonderrechte (und damit Kosteneinsparungen) in Bezug auf Straßenbreiten, Gehweganlagen, Parkraum, Grünanlagen und Baumpflanzungen, beziehungsweise Baumerhalt belohnt werden soll. Die genannten Planungsaspekte für dieses Baugebiet werden der Profitmaximierung des Investors sang- und klanglos geopfert. Andererseits besteht die gleiche Verwaltung auf die strikte Einhaltung zum Beispiel der Altstadtsatzung und anderer Bauauflagen gegenüber den `normalen´ Bürgern. Wie begründet die Verwaltung, die nach den vorgelegten Zahlen zu vermutende Ungleichbehandlung von Investoren und anderen Bauherren?"
Diese und weitere Punkte werden in der kommenden Bauausschussitzung am Donnerstag um 17 Uhr im GoTec-Tagungszentrum behandelt. Interessierte Bürgerinnen und Bürger müssen sich anmelden, um einen Besucherplatz zu bekommen (regionalHeute.de berichtete). Die Anmeldung ist im Internet unter www.goslar.de möglich.
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