Goslar. Seit September 2023 galt zwischen der Bahnhof- und Kirchhofstraße sowie Am Hüttenberg in der Ortsdurchfahrt Oker probeweise die Höchstgeschwindigkeit von Tempo 30. Weitere eingebundene Straßen waren der Stadtstieg, Große Horst, Teile der Hüttenstraße, Reichenstraße und der Harzburger Straße. Ziel der probeweisen Anordnung sollte die Beantwortung der Fragen sein, ob eine Reduzierung der Geschwindigkeit dazu beiträgt, eine subjektive und objektive Verbesserung des Wohnumfeldes für die Anwohnenden zu erreichen und ob Akzeptanz für eine solche Maßnahme in der Bevölkerung besteht. Dies teilte die Stadt mit.
Bereits zu Beginn der Maßnahme sei kommuniziert worden, dass nach Ablauf von sechs Monaten entschieden werden soll, ob die Anordnung bestehen bleibt, die Strecke verringert oder insgesamt aufgehoben wird. Die sechsmonatige Maßnahme wurde durch Lärmmessungen und statistische Geschwindigkeitsmessungen begleitet – auch das Unfallgeschehen wurde festgestellt. Die durchgeführten Lärmmessungen ergaben im Probezeitraum mit Werten zwischen 51 und 63 dB(A) keine Veränderungen beziehungsweise Verbesserungen.
Auch die statistischen Geschwindigkeitsmessungen hätten mit der Einführung der Tempo-30-Zone zu keiner nennenswerten Geschwindigkeitsreduzierung geführt: Lag die durchschnittliche Geschwindigkeit vor Beginn der Maßnahme bei 53 Stundenkilometern, so lag der Durchschnitt während der Maßnahme immer noch bei 49 Stundenkilometern. Beide Werte sind für eine innerörtliche Bundesstraße nicht ungewöhnliche Werte und zeigten, dass die Akzeptanz von 30 Stundenkilometern in der Bevölkerung an einer gut ausgebauten Ortsdurchfahrt nicht vorhanden ist. Während der sechsmonatigen Probephase ereigneten sich sieben leichte, nicht geschwindigkeitsbedingte Unfälle. Demgegenüber stehen zwölf Unfälle für einen achtmonatigen Zeitraum von Januar bis August 2023.
Bevölkerung stellt sich gegen Tempo-30
Die Maßnahme der Temporeduzierung seien seitens der Bevölkerung kaum unterstützt worden und eine Lärmreduzierung ist nicht erfolgt, so das Fazit der Verwaltung. Aus Sicht der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, der Polizei Goslar sowie der Stadtbus GmbH führte der Modellversuch zwar nicht zu Einschränkungen im Verkehrsfluss – allerdings hätten sich auch keine erkennbaren Verbesserungen ergeben. Für die Ortsfeuerwehr Oker verschlechterte sich zudem die Zufahrtszeit zum Feuerwehrhaus – sie lehnt die Temporeduzierung deshalb vollständig ab. "Unter Berücksichtigung aller Ergebnisse wurden die geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen mit Beendigung der Probephase zurückgebaut", erklärt die Verwaltung.
Umfrage ist eindeutig
Eine Befragung der Bevölkerung untermauerte das festgestellte Ergebnis. Im Vorfeld wurden an rund 450 Haushalte Informationen zu der geplanten Maßnahme verteilt. 66 Personen nutzten die Gelegenheit und beantworteten die Fragen. 68 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass eine störende hohe Lärmbelästigung vorhanden sei. 32 Prozent stellten zu diesem Zeitpunkt keine Lärmbelästigung fest. Immerhin 18 Prozent werteten die nächtliche Lärmbelastung mit acht bis zehn auf einer Scala bis zehn. 33 Prozent gaben dabei auch das Vorhandensein von gesundheitlichen Beeinträchtigungen an. Die genannten Lärmquellen verteilten sich weitgehend gleich auf Motorradfahrende, PKW- und den Schwerlastverkehr.
71 Prozent der Teilnehmenden unterstützten im Vorfeld die Geschwindigkeitsreduzierung. Im März wurde der Personenkreis erneut gebeten, Fragen zu beantworten. Die Rücklaufquote lag nun bei 142 Teilnehmenden und hat sich somit mehr als verdoppelt. 60 Prozent der
Teilnehmenden fühlten sich weniger beziehungsweise nach wie vor nicht durch den Lärm belästigt.
Jeweils ein Drittel der Teilnehmenden bewertete die aktuelle Situation als lauter, gleich laut oder leiser als vor der Einführung der Geschwindigkeitsreduzierung. Die Unterstützung der Maßnahme lag nur noch bei 42 Prozent. Auch die Belästigung zur Nachtzeit empfanden nur noch 13 Prozent als störend. Deutlich war die Aussage zur Akzeptanz der Reduzierung: 58 Prozent sprachen sich dagegen aus. Von den Teilnehmenden bemerkten 57 Prozent zudem eine Verschlechterung im Verkehrsfluss, während bei 74 Prozent den Eindruck hatten, dass sich fast niemand an die zulässige Geschwindigkeit hielt. Aus den Reihen der Bevölkerung wurde durch die Maßnahme auch eine höhere Umweltverschmutzung vermutet. Zudem wurden eher die Anzahl der Fahrzeuge, aber auch der Bahnhof sowie die Bahnstrecke als belastende Lärmbelästigung erachtet.
Stark belastete Straße
"Ohne die Einrichtung von regelmäßig zu bedienenden Messtellen lässt sich eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf Tempo 30 auf gut ausgebauten Ortsdurchfahrten nicht darstellen. Regelmäßige Geschwindigkeitskontrollen sind jedoch aufgrund der unterschiedlichen Unfalltypen und -zahlen nicht zu rechtfertigen", so die Verwaltung. Die Bahnhofstraße in Oker ist nach dem Lärmaktionsplan der Stadt Goslar (mehr dazu) eine der am höchsten belasteten Straßen sowohl hinsichtlich der Anzahl der Fahrzeuge als auch hinsichtlich des davon ausgehenden Lärms. Im Lärmaktionsplan sind Vorschläge zum Einbau von lärmminderndem Asphalt und zu der Einführung von Tempo 30 gemacht worden.
Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sind Ausweichverkehre in andere Straßen ausgeschlossen, sodass eine Verlagerung der Belastungen in andere Straßen ausgeschlossen ist. Es entstand die Idee, den Vorschlägen aus dem Lärmaktionsplan für einen begrenzten Zeitraum zu folgen. Zeitlich beschränkte Temporeduzierung zwischen Stadtstieg und Harzburger Straße können nach anstehenden, noch nicht terminierten Sanierungsarbeiten in diesem Bereich neu geprüft werden.
Lebenswerte Städte
Aufgrund des Beschlusses des Rates vom 25. April 2023 ist die Stadt Goslar der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ beigetreten. Die Initiative, der sich mittlerweile über 1.050 weitere Städte angeschlossen haben, hat das Ziel, die
Einrichtung von Tempo 30 leichter als bisher vornehmen zu können. Es soll Kommunen erleichtert werden, Tempo 30 als verkehrlich, sozial, ökologisch und baukulturell angemessene Geschwindigkeit dort anzuordnen, wo sie es für sinnvoll erachten. Weitere Informationen sind unter www.lebenswerte-staedte.de zu finden.
Gleichzeitig hatte die Verwaltung die Entscheidung getroffen, sich an der Europäischen Mobilitätswoche, kurz EMW, zu beteiligen. Die EMW ist eine seit 2002 jährlich stattfindende Initiative der Europäischen Kommission für nachhaltige Mobilität in Städten. Dabei sind Kommunen aufgerufen, sich eine Woche dem Thema nachhaltige Mobilität zu widmen.
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