Toxisches Erbe: Dioxinvergiftete Erde lagert ungeschützt am Fliegerhorst

Das Material ist so stark belastet, dass es verbrannt werden muss. Landkreis und Investor haben offenbar einen ambitionierten Zeitplan, um die Fläche in einen bewohnbaren Zustand zu bringen.

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Dioxinbelastete Erde am Görgweg. Noch im unabgedeckten Zustand vor dem 4. Mai.
Dioxinbelastete Erde am Görgweg. Noch im unabgedeckten Zustand vor dem 4. Mai. | Foto: Privat

Goslar. Tiefrote Haufen säumen den Zaun des Görgwegs am Grauhöfer Holz. Wie Anwohner am gestrigen Mittwoch mitteilten, wurden nun dickere Planen über das giftige Vermächtnis eines Sportplatzes geworfen, der nun zu einem Wohngebiet werden soll. In den Haufen steckt hochgiftiges Dioxin in einem Maße, dass es laut Presseäußerungen des Landkreises nur in einer Verbrennungsanlage entsorgt werden kann. Der Messwert auf dem "Sportplatz E" überschreitet den Grenzwert für Kinderspielflächen teils um das 340-fache. Bei Dioxin handelt es sich um Umweltgift, welches im "Kieselrot" genannten roten Material alter Sportplätze steckt. Am Fliegerhorst lag es mehrere Wochen nahezu ungeschützt herum und konnte sich durch Wind in der Umgebung verteilen - nur maximal 190 Meter von einem Kindergarten entfernt.


Der Landkreis hat nun eine Nachuntersuchung beauftragt, wie aus einer kürzlich ergangenen Mitteilung an den Kreistag hervorgeht. Erst nach einigen Wochen wurden die Haufen notdürftig abgedeckt, während Sturmtief Eugen an die Tür klopfte. Zu spät, wie seitens der Umweltverbände BUND und NABU kritisiert wird. Augenzeugen berichteten vorher, dass Staub den bei Wanderern beliebten Görgweg rot färbte. Der Landkreis hat nun eine Nachuntersuchung beauftragt, wie aus einer kürzlich ergangenen Mitteilung an den Kreistag hervorgeht. Wie der Landkreis regionalHeute.de gegenüber mitteilt, müsse nun ein Sanierungszielwert festgelegt werden, der auch die Nutzung als Kinderspielfläche erlaubt. Bis Ende Juni soll das geschafft sein.

Was ist Dioxin?


Bei den im einfachen Sprachgebrauch "Dioxin" genannten chemischen Verbindungen handelt es sich um einen Überbegriff für mehrere chemische Verbindungen, sogenannte Polychorierte Dibenzo-[1,4]dioxine (PCDD) und polychorierte Dibenzofurane (PCDF). Aus beiden Stoffgruppen sind insgesamt 210 verschiedene Verbindungen mit unterschiedlichen chemischen und physikalischen Eigenschaften bekannt. Die giftigste Variante ist das sogenannte Seveso-Gift, das nach einem Chemieunfall in Italien traurige Bekanntheit erlangte. Es gilt als giftiger als Cyanid. Die Verbindungen sind allesamt in unterschiedlichem Maße giftig für organische Lebensformen und gelten als stark krebserregend. Um aus 210 möglichen Verbindungen unter dem Dachbegriff "Dioxin" einen einzelnen Wert zu berechnen, werden sogenannte "Toxizitätsäquivalente" (TEQ) herangezogen, welche die Varianzen bei der toxikologischen Wirkung berücksichtigen. Für Kinderspielflächen besteht beispielsweise ein Grenzwert von 100 ng/kg I-TEQ. Das "I" bedeutet, dass hierfür die Datenbank der NATO für den Toxizitätsäquivalenzfaktor herangezogen wurde, das ng/kg steht für Nanogramm der nachweisbaren Substanzen auf einen Kilogramm der Probe. Dieser Wert soll bei der Bodensanierung am Fliegerhorst auch erreicht werden.

Dioxinwerte um das Hundertfache über Grenzwert


Auf dem sogenannten "Sportplatz E" am Görgweg haben der Landkreis Goslar und ein unabhängiger Gutachter nach eigenen Angaben den Investor zur Untersuchung auf Kieselrot aufgefordert. Der vom Labor offiziell freigegebene Prüfbericht erging am 12. April 2021. "Rechtzeitig zu Beginn der Bauarbeiten konnte die Straßenbaufirma durch den Investor auf den Sachstand hingewiesen werden", kommentiert der Landkreis Goslar. Der Prüfbericht wies Messwerte zwischen 6.630 ng/kg I-TEQ und 34.400 ng/kg I-TEQ für PCDD/F auf dem Sportplatz aus. Am 15. April wurde eine größere Untersuchung mit einer Mischprobe aus 28 Einzelproben vorgenommen. Sie ergab 10.400 ng/kg I-TEQ, noch immer das 104-fache des Grenzwertes für Kinderspielflächen und mehr als das Zehnfache des Grenzwertes für Wohngebiete. Selbst für Industrie- und Gewerbegrundstücke wäre das zu viel.

Die Lage der Sportplätze auf dem Fliegerhorst. A/B/C und D wurden bereits 2014 untersucht. Sie unterschritten den Grenzwert von 100 ng/kg I-TEQ.
Die Lage der Sportplätze auf dem Fliegerhorst. A/B/C und D wurden bereits 2014 untersucht. Sie unterschritten den Grenzwert von 100 ng/kg I-TEQ. Foto: Openstreetmap / CC-BY-SA 2.0



Vorgehen bei Sanierung wirft Fragen auf


Nach Eingang des Prüfergebnisses auf Dioxine und Furane am 12. April 2021 begannen die Bauarbeiten. "Durch eine für den Investor auf dem Fliegerhorst tätige Erdbaufirma wurden die Bereiche im Verschnitt Laufbahn/Straße abgezogen und das Laufbahnmaterial wurde seitlich auf der Laufbahn gesichert bereitgestellt." Somit hätte die Straßenbaufirma ohne Kieselrotkontakt die Sportplatzfläche queren können. Ein Experte äußerte im Gespräch mit regionalHeute.de Zweifel an diesem Vorgehen und beruft sich auf Kieselrotsanierungen in anderen Städten. In Goslar sei die kontaminierte Erde einfach vor den Zaun am Görgweg geschoben worden, statt in geschlossene LKW zum Abtransport in die Verbrennungsanlage geladen zu werden. Üblich sei außerdem die Einrichtung einer sogenannten schwarz-weiß-Anlage - beim Betreten des Arbeitsbereiches müssen die Arbeiter Schutzkleidung anziehen, beim Verlassen legen die Arbeiter ihre Schutzkleidung ab und wechseln ihre Stiefel. Auch verwendete Baugeräte müssten gereinigt werden. Zeuge der Tatsache, dass dies nicht erfolgte, sind rote Reifenspuren im Nordbereich des Fliegerhorstes. Auch eine Beregnungsanlage zum Befeuchten des Bodens, um den Austrag von Staub zu verhindern, sei offenbar nicht zum Einsatz gekommen. Der Experte, der ohne offiziellen Prüfauftrag nicht genannt werden möchte, berief sich dabei auf ein Beispiel, bei dem der Bodengrund "nur" auf eine Sonderdeponie verfrachtet werden musste. Der Abfall auf dem Fliegerhorst ist hingegen so hochgradig kontaminiert, dass er verbrannt werden muss.

Staub auf dem Görgweg


An der Beregnung mangelte es nicht nur, als die Laufbahnen ausgehoben wurden, auch hinterher geschah nicht mehr viel mit den nun aufgehäuften Altlasten am Görgweg. Bis zum 4. Mai, als Sturmtief Eugen starke Windböen erwarten ließ. Der Landkreis begründet das so: "Als die Haufwerke aufgeschoben wurden, bestand keine Verwehungsgefahr aufgrund der feuchten Witterung. Als sich herausstellte, dass sich die Festlegung des fachgerechten Entsorgungsweges verzögern und die Witterung trockener wird, wurde gemeinsam mit dem vor Ort tätigen Gutachter entschieden, die Haufwerke abzudecken. Die Baustelle war vorschriftsmäßig eingezäunt und eine maschinelle, den Arbeitsschutzvorschriften entsprechende Bearbeitung umgesetzt." Am gestrigen Mittwoch wurde Anwohnern zufolge zusätzlich zur ersten Plane eine weitere Abdeckung auf dem Kieselrot-Haufen aufgebracht. Obwohl die Erschließung des neuen Baugebietes bis Ende Juni erfolgen soll, besteht für die Entsorgung noch kein Zeitplan. In einer Mitteilung an den Kreistag heißt es: "Sobald der Entsorgungsweg unter Beteiligung der Niedersächsischen Gesellschaft zur Endlagerung von Sonderabfall mbH (NGS) geklärt ist, wird das Material abgefahren zur Verbrennungsanlage nach Deutzen." Gegenüber regionalHeute.de spricht der Landkreis von einer "zeitnahen" Entsorgung.

Kindertagesstätte wohl sicher


Zurzeit laufen noch weitere Arbeiten. Die Randbereiche des Sportplatzes, einschließlich der Betonhochborde und angrenzender Austragungsflächen, werden ausgehoben und getrennt in Containern zur Beprobung bereitgestellt. Die Ergebnisse der Bodenuntersuchungen "Im Bereich visuell erkennbarer Austragungen und Auswehungen" im Abwindbereich der Hauptwindrichtungen werden erwartet. Der Landkreis erklärt: "Eine Belastung des Außenspielbereiches der nahegelegenen Kindertagesstätte ist nicht zu befürchten, da die oberen 30 Zentimeter des Bodens des Grundstücks im Rahmen des Anbaus Richtung Süden abgetragen wurden und die Kindertagesstätte außerdem nicht im Abwindbereich des Sportplatzes liegt."

Politische Auswirkungen


Vorgänge wie die Anzeige des NABU wegen möglicher Umweltverstöße während der Altlastensanierung, die illegale Abholzung von Baumbeständen und Mängel bei der Planung und Ausführung der Verkehrswege und nun auch der Umgang mit hochbelasteten Böden gehen offenbar nicht spurlos an den ehrenamtlichen Politikern vorbei. Wie ein Insider uns vertraulich mitteilte, sei man einfach nur noch entsetzt: "Das Vertrauen in die Verwaltung schwindet einfach immer mehr".


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