Berlin. Die jüngsten finanz- und energiepolitischen Forderungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) stoßen auf scharfe Kritik bei den Koalitionspartnern SPD und Grüne. "Wir brauchen eine Zeitenwende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik - was wir nicht brauchen, sind Vorschläge, die der Finanzminister über die Feiertage aus verstaubten FDP-Wahlkampfkisten gezogen hat", sagte Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, dem "Spiegel".
"Noch mehr Geld an die Reichsten verteilen bringt keine wirtschaftliche Dynamik", betonte Audretsch. "Der Vorschlag, die Steuern für die obersten zehn Prozent zu senken, sollte endlich in der Mottenkiste bleiben." Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Fraktion, erinnerte den Finanzminister an den Koalitionsvertrag: "Dass Christian Lindner im Unternehmensbereich die Super-Abschreibung für Digitalisierung und Klimaschutz offenbar erneut verschieben will, auch wenn sie im Koalitionsvertrag für 2022 vorgesehen war, und dann gleichzeitig ein zweites Mal die rund zehn Milliarden Euro schwere Gießkanne `degressive Abschreibung` vorzuschlagen scheint, ist einfach nicht vertretbar", sagte Beck dem "Spiegel". Zudem kritisierte sie Lindners Mahnung, bei der geplanten Kindergrundsicherung Arbeitsanreize für Geringqualifizierte zu schmälern: "In Deutschland lebt jedes fünfte Kind in Kinderarmut, da wäre ein möglicher Aufschub oder gar eine Absage dieses Projekts ein absolut nicht nachvollziehbarer Vorschlag", so Beck.
Großen Unmut löst bei den Grünen auch Lindners Appell für einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke über April 2023 hinaus und für ein Ende des Fracking-Verbots aus. "Wer Fracking in Deutschland will, meint es offensichtlich nicht ernst mit der Modernisierung hin zu einer erneuerbaren und günstigen Energieversorgung", sagte Fraktionsvize Audretsch. "Die Leitmärkte der Zukunft werden klimaneutral sein. Die USA investieren massiv in den ökologischen Wandel, auch Deutschland ist gut beraten, mehr Investitionen in nachhaltige Technologie zu lenken."
Dieter Janecek, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen, sagte dem "Spiegel": "Wirksame Entlastung schaffen wir nur, wenn wir jetzt alle Bremsen lösen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien." Im Gegensatz zu "abstrakten Fracking-Debatten" würden Erfolge hier schnell und unmittelbar sichtbar. Größere Spielräume für Steuersenkungen sehe er nicht, so Janecek, "denn der Staat muss handlungsfähig bleiben zum Beispiel für Investitionen in die marode Bahninfrastruktur". Ähnliche Kritik äußert auch die SPD.
"Atom und Fracking sind keine Freiheitsenergien", sagte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch dem "Spiegel". "Daran ändert auch der russische Angriffskrieg nichts."
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