Hetze und Gewalttaten steigen – was sagen die Fraktionen? ***aktualisiert***

von Robert Braumann


Es gibt in Deutschland wieder rechtsmotivierte Straftaten. Wie bewerten das die Ratsfraktionen? Symbolbild: Werner Heise
Es gibt in Deutschland wieder rechtsmotivierte Straftaten. Wie bewerten das die Ratsfraktionen? Symbolbild: Werner Heise | Foto: Werner Heise



Braunschweig. Am Montag berichtete regionalBraunschweig.de über folgende Zahlen: 77 Prozent der Bevölkerung in Deutschland fürchten laut AWO-Sozialbarometer eine weitere Zunahme rassistisch motivierter Gewalt und Anschläge. Mehr als 72 Prozent der Befragten sehen in dieser Entwicklung eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Wie bewerten die Ratsfraktionen diese Entwicklung, auch vor dem Hintergrund der Steigerung rechtsextremer Straftaten in Braunschweig?

"In Deutschland brennen wieder Unterkünfte für Menschen anderer Herkunft. Das ist bedrückend und darf nicht schweigend zur Kenntnis genommen werden“, fordert Fersahoglu-Weber, Vorstandsvorsitzende des AWO-Bezirksverbandes Braunschweig. "Es mag eine kleine Gruppe von Rechtsextremisten sein, die diese menschenverachtenden Taten begehen. Doch klar ist, dass die Gewalttäter sich immer wieder ermutigt fühlen, wenn sie das Gefühl haben, im Namen einer schweigenden Mehrheit zu handeln", betonte Rifat Fersahoglu-Weber. Bis zum 26. Oktober wurden in Braunschweig 82 Fälle rechtsmotivierter Straftaten erfasst, teilt Polizeisprecher Joachim Grande mit. Dabei habe es sich um Propagandadelikte beziehungsweise Straftaten mit fremdenfeindlicher Motivation gehandelt. Er sagte weiterhin, dass man keine Befürchtungen habe, dass diese Zahlen weiter steigen würden. Die Steigerung könnte im Zusammenhang mit den Bragida-Demonstrationen am Anfang des Jahres stehen, daher der Anstieg im 1. Quartal, so Grande weiter. Ein fortlaufender Trend sei nicht Festzustellen.

"Braunschweig nach wie vor kein Hort rechter Gewalt"


Christoph Bratmann, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion sagte: "Es gehört zum Selbstverständnis der Braunschweiger SPD, sich eindeutig gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu positionieren. Dieses erklärt sich schon aus unserer Geschichte heraus, denn auch in Braunschweig gehörten SPD-Mitglieder zu den ersten Opfern des Nationalsozialismus. So wurde vor 82 Jahren das Volksfreundhaus im Magniviertel von den Nazis erstürmt und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wurden verfolgt, inhaftiert oder gar ermordet. Aus diesem Grund gilt für uns im Hinblick auf rechte Ideologien die Prämisse "Wehret den Anfängen".

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Christopher Bratmann. Foto: SPD Braunschweig



Der Anstieg rechtsextremer Straftaten in Braunschweig im ersten Quartal dieses Jahres erklärt sich vor allem durch die sogenannten Bragida-Kundgebungen. Insbesondere bei der ersten Kundgebung im Januar waren auf Seiten der Bragida-Bewegung rund 450 Teilnehmer, von denen nach Polizeiangaben ein Drittel bekannte Rechtsextremisten aus ganz Niedersachsen waren. Im Zuge dieser Kundgebung kam es zu mehreren Straftaten wie etwa Körperverletzung oder Landfriedensbruch, die die Polizei noch wochenlang beschäftigten. Die Aufklärung und Verfolgung rechtsextremer Straftaten obliegt Polizei und Staatsschutz, die in diesem Bereich gut aufgestellt sind. Darüber hinaus gibt es in Braunschweig bereits etliche Aktivitäten im Bereich der Präventionsarbeit an Schulen oder durch Ehrenamtliche, wie zum Beispiel das Bundesprogramm "Demokratie leben!". Aus unserer Sicht ist Braunschweig nach wie vor kein Hort rechter Gewalt und es ist erfreulich, dass die Bragida-Bewegung hier kaum mobilisieren konnte. Rechtsextremismus sowie auch rechtspopulistischen Tendenzen, die aktuell wieder um sich greifen, werden wir uns nach wie vor entschieden entgegenstellen."

Auf Präventionsarbeit konzentrieren


Die Piratenfraktion äußerte sich wie folgt: "Die Stadt Braunschweig ist nicht für die Strafverfolgung zuständig. Wir müssen uns daher auf Präventionsarbeit konzentrieren. Unser Ziel muss es sein, Hass und Ängste gar nicht erst entstehen zu lassen – zum Beispiel durch Antirassismus-Projekte, Trainingskurse für Zivilcourage, Ausweitung von Schulsozialarbeit. Denn mit Aufklärung, Bildung und Zivilcourage entziehen wir rechtem Gedankengut den Nährboden. Was jetzt zählt ist Mut aufzubringen rechtsextremen Äußerungen und Stammtischparolen zu widersprechen, auch gegenüber den Nachbarn, den Freunden oder der Familie."

Für Willkommenskultur


Holger Herlitschke, Fraktionsvorsitzender der Grünen, im Rat der Stadt Braunschweig, antwortete : "Wir Grünen beziehen auf allen politischen Ebenen immer wieder und ganz klar Stellung gegen rechte Hetze und Gewalt. Damit handeln wir im Sinne aller Bürger/innen, die wegen des Anstiegs rassistisch motivierter Anschläge in großer Sorge sind. In Braunschweig arbeiten wir seit langen Jahren im "Bündnis gegen Rechts" daran, dass Menschenfeindlichkeit jeglicher Art hier keinen Platz findet. Erfreulicherweise haben die Proteste der Zivilgesellschaft bislang verhindert, dass rechtsextreme Bewegungen in unserer Stadt Fuß fassen konnten. Das gilt auch für den kümmerlichen Haufen versprengter Anhänger/innen von "Pegida"/"Bragida"! Der Braunschweiger Rat hat unlängst einen Grünen Antrag beschlossen, der sich gegen deren Ideologie und für eine Willkommenskultur ausspricht (regionalBraunschweig.de berichtete).

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Holger Herlitschke sprach für die Grünen. Foto: T.Raedlein



Darüber hinaus ermittelt unsere Grüne Landtagsfraktion mit ihren Anfragen regelmäßig und konsequent die Entwicklung rechtsmotivierter Straftaten (s. http://www.julia-hamburg.de/presse/meldung/artikel/hamburg-steigende-zahlen-erfordern-entschiedenes-handeln.html). Dem Niedersächsischen Innenministerium zufolge sind in Braunschweig die rechten Straftaten und Gewaltdelikte übrigens vom 1. bis zum 3. Quartal 2015 zurückgegangen. Wir setzen uns dafür ein, dass solche kriminellen Handlungen konsequent verfolgt werden, denn nur so lässt sich der braune Terror stoppen!"

"Braunschweig ist ein absoluter Schwerpunkt rechter Straftaten"


Die Linke-Ratsfraktion sieht die Dinge ein wenig anders. Udo Sommerfeldt betonte: "Braunschweig ist ein absoluter Schwerpunkt von rechten Straftaten in Niedersachsen. In allen Kategorien rechter Straftaten nimmt Braunschweig einen unrühmlichen „Spitzenplatz“ ein. So wurden im 1. Quartal diesen Jahres insgesamt 322 rechte Straftaten in Niedersachsen von der Polizei registriert. In der Skala folgt Braunschweig mit 35 registrierten Straftaten auf das doppelt so große Hannover (46). Noch schlechter sieht es bei den polizeilich bekannt gewordenen rechten Gewalttaten aus. Von den niedersachsenweit 27 bekannt gewordenen Fällen entfallen 12 auf Braunschweig und 11 auf Hannover. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei rechten Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund. In ganz Niedersachsen wurden 113 solcher Straftaten gezählt.

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Udo Sommerfeld, Die Linke. Foto: Thorsten Raedlein



Davon entfallen 31 auf Hannover und 25 auf Braunschweig. Aus einer Anfrage an den Rat würde zudem hervorgehen, dass die Polizei tatsächlich ein Zusammenhang zwischen dem Anstieg rechter Straftaten und den Bragida-Veranstaltungen sieht. Man Braunschweig aber dennoch nicht als einen Schwerpunkt rechter Straftaten sehen würde. Das kann Udo Sommerfeld nicht nachvollziehen: "Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Polizei und Stadtverwaltung zwar einen Zusammenhang zwischen den vielen rechten Straftaten und Bragida-Aufmärschen sehen, andererseits aber Braunschweig nicht als Schwerpunkt rechter Straftaten gesehen wird. DIE LINKE. wird weiter daran arbeiten, dass sich diese verquere Denkweise ändert, endlich auch in Braunschweig der „Anstand der Zuständigen“ gelebt und der Protest gegen Hassbürger und Stichwortgebern des rechten Terrors gestärkt wird. Wir bedanken uns bei allen ganz herzlich, die seit fast einem Jahr gegen Bragida auf die Straße gehen und zivilgesellschaftliches Engagement leben."

Kritik an Bragida


Ähnlich bewertet Peter Rosenbaum, BiBS, die Situation: "Es ist nachgewiesen, dass die Bragida, die sich sehr gerne unter dem Deckmäntelchen der "besorgten Bürger" präsentiert, sehr stark durch rechtsextreme Elemente geprägt ist. Es ist auch klar, dass Pegida/Bragida durch die Art ihrer Diktion den Boden für fremdenfeindliche Gewalttaten vor allem gegen Flüchtlinge in Deutschland bereitet. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung der Stadt Braunschweig in keinster Weise nachvollziehbar und geradezu unerträglich, der Bragida ausgerechnet am Jahrestag der Reichspogromnacht am 9.11. zu erlauben, auf dem Platz der Deutschen Einheit vor dem Rathaus zu demonstrieren, während diejenigen, die für die Wahrung der demokratischen Grundrechte sowie für Respekt und Toleranz eintreten, auf einen Nebenplatz abgeschoben wurden.

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Peter Rosenbaum. Foto: T. Raedlein



Dass die Redner während der Bragida-Demos unbehelligt Hetze gegen den Islam, Linke, Bundeskanzlerin und –präsident verbreiten können, ist nicht hinnehmbar. Hier muss sofort eingegriffen werden. Die montäglichen Bragida-Demonstrationen schädigen die Würde der Opfer des Nationalsozialismus. Wir erwarten von unserem Oberbürgermeister und den Versammlungsbehörden, sich Umtrieben mit fremdenfeindlichen- und rechtsradikalem Hintergrund und den Bragida-Demos in der Stadt entschiedener als bisher entgegen zu stellen.“

***aktualisiert***


"Gegen jede Form von Extremismus"


Für die CDU-Ratsfraktion erklärt ihr Vorsitzender Klaus Wendroth: „Die CDU verurteilt weiterhin jegliche Form von Extremismus scharf. Egal, ob aus dem rechten oder linken Lager, extremes Gedankengut ist mit unserer Vorstellung eines offenen und toleranten Deutschlands inkompatibel. In Deutschland herrscht Demonstrationsfreiheit und von dieser sind auch Meinungen geschützt, die wir nicht teilen. Diese Freiheit wollen wir in der CDU weiterhin schützen und bewahren. Die Demonstrationsfreiheit deckt aber keinesfalls Gesetzverstöße wie Gewaltaufrufe oder Hetze gegen Minderheiten. Wir haben uns in solchen Fällen bereits in der Vergangenheit stets für die konsequente strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung ausgesprochen.




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Klaus Wendroth, CDU-Ratsfraktion. Foto: CDU-Braunschweig


Das Attentat auf die heutige Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker zeigt beispielsweise, dass es nicht immer bei Beleidigungen und Drohungen bleibt. Deswegen ist eine Präventionsarbeit in diesem Kontext sehr wichtig. Es darf niemand glauben, man könne beispielsweise im Internet Hetze oder Gewaltaufrufe verbreiten ohne von Konsequenzen betroffen zu sein. Wir nehmen jeden Fall von extremistisch motivierter Gewalt sehr ernst und erwarten, dass Ausländerfeindlichkeit und politische Hetze im Rahmen unseres Rechtstaates geahndet wird. Es wäre dennoch unzutreffend Braunschweig in irgendeine Art und Weise als Hochburg rechten Gedankengutes darzustellen. Die überwiegende Mehrheit der Braunschweiger ist weltoffen und tolerant. Bewegungen wie Bragida haben in Braunschweig bis heute nur sehr wenige Menschen mobilisieren können. So waren die Gegenveranstaltungen, wie zum Beispiel die „Demonstration für ein tolerantes Braunschweig“, zu der auch die CDU aufgerufen hatte, deutlich stärker besucht. Mit denjenigen, die trotzdem bei Bewegungen wie Bragida und in verschiedenen Internet-Foren eine Möglichkeit zum Kundtun ihrer Unzufriedenheit sehen, plädieren wir mit den Wörtern der Bundeskanzlerin: „Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!“.“



Hintergrund


Im Verfassungsschutzbericht für 2014 wird im übrigen von 825 gewaltbereiten Rechtsextremisten in Niedersachsen ausgegangen. Die Zahl der als  PMK rechts (Politisch Motivierte Kriminalität rechts) eingestuften Straftaten belief sich laut Angaben des Innenministeriums im Jahr 2014 auf 55 rechtsmotivierte Straftaten im Bereich der Polizeiinspektion (PI) Braunschweig (Stadt Braunschweig). Alle 55 Taten sind als rechtsextremistische Taten eingestuft worden.

Im ersten Halbjahr 2015 sind es deutschlandweit laut Innenministerium schon 8100 Fälle. Im Jahr davor waren es laut Tagesspiegel rund 7000. Bei den aktuellen Zahlen gab es 518 Gewalttaten. Knapp 400 Menschen seien dabei verletzt worden. Die meisten Gewaltdelikte, insgesamt 319 mit 244 Verletzten, waren fremdenfeindlich motiviert, erklärte das Innenministerium.


Zum Vergleich, es wird von 685 Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten in Niedersachsen ausgegangen. Dabei gab es im Bereich der Polizeiinspektion Braunschweig im Jahr 2014 insgesamt 38 linksmotivierten Straftaten. Darunter 15 linksextremistische Straftaten, teilte das Innenministerium auf Anfrage von RegionalBraunschweig.de mit.


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