Politische Kriminalität in Niedersachsen steigt wieder an

Ausschlaggebend sind die politisch rechts und links motivierten Taten sowie Delikte rund um die Europawahl. Religiös motivierte Taten gingen dagegen zurück. Auch haben die Gewalttaten abgenommen.

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Symbolbild | Foto: Werner Heise

Hannover. Die Anzahl der politisch motivierten Straftaten ist 2019 in Niedersachsen im Vergleich zu den beiden Vorjahren angestiegen. War 2018 mit 2.741 Taten noch ein Rückgang gegenüber 2017 zu verzeichnen (2.927 Straftaten), ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Jahr 2019 um 17,04 Prozent auf 3.208 Taten gestiegen. Ausschlaggebend dafür sind vor allem die Anstiege in den Phänomenbereichen „rechts" (1.434 auf 1.632), „links" (von 556 auf 801) und „nicht zuzuordnen" (von 353 auf 476). Das teilt das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport in einer Pressemitteilung mit.


Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, sagt zu dem Anstieg der Gesamtzahlen: „Einerseits gehen unsere Expertinnen und Experten davon aus, dass tatsächlich mehr Taten begangen wurden, auch vor dem Hintergrund der Europawahl im vergangenen Jahr. Andererseits registrieren wir eine deutlich höhere Sensibilität und eine geringere Toleranzschwelle beim Anzeigeverhalten bei den Opfern politisch motivierter Straftaten. In diesem Sinne hatten wir bei unseren Regionalkonferenzen auch sehr deutlich an die möglichen Adressaten solcher Taten appelliert, diese unbedingt anzuzeigen. Das ist offenbar auch passiert, was ich sehr gut finde. Denn nur wenn die Polizei von diesen Sachverhalten erfährt, kann sie auch ermitteln."

Rechtsmotivierte Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sind von elf auf sieben Fälle gesunken. Pistorius dazu: „All diese Taten wurden rechtzeitig erkannt, so konnte zum Glück Schlimmeres verhindert werden. Diese Entwicklung ist dennoch ein deutliches Warnsignal und ein Beleg für die große Gefahr, die aktuell aus dem Rechtsextremismus und -populismus hervorgeht."

Bei den Gewaltdelikten liegen linke Tatmotive vorn


Die Anzahl von Gewaltstraftaten im Bereich der politisch motivierten Kriminalität ist gegenüber dem Jahr 2018 mit 221 auf 163 deutlich auf die niedrigste Fallzahl im Zehnjahresvergleich gesunken. Den größten Anteil bilden dabei 74 Gewaltstraftaten mit einer linken Tatmotivation (2018: 85). Eine „rechte" Tatmotivation wurde bei 59 Gewaltdelikten (2018: 54) festgestellt. Der Bereich der rechtsmotivierten Gewaltdelikte ist damit der einzige, der sich gegen den Trend entwickelt hat. So haben im Vergleich zum Vorjahr auch die Gewaltdelikte aufgrund einer ausländischen Ideologie deutlich abgenommen. Sie sanken von 52 auf elf Fälle. Der Anstieg der Gewaltdelikte aus dem Vorjahr in diesem Bereich stand vor allem im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen nationalistischen Türken und pro-kurdischen Aktivisten aufgrund der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien.

Anstieg der rechten Straftaten um 13,8 Prozent


Im Bereich der PMK „rechts" sind die Taten von 1.434 in 2018 auf 1.632 (13,8 Prozent) im vergangenen Jahr angestiegen. Den größten Anteil mit 1.037 bilden dabei Propagandadelikte durch das öffentliche Zeigen oder Aufbringen von verbotenen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, wie beispielsweise Hakenkreuzschmierereien. Auch antisemitische Straftaten haben als Teil der Hasskriminalität zugenommen. Ihre Anzahl ist im Vergleich zum Vorjahr mit 123 Taten auf 179 Taten angestiegen. In 170 dieser Fälle ist eine rechte Tatmotivation gegeben.

Pistorius: „Die feigen Terroranschläge von Halle und Hanau haben uns deutlich vor Augen geführt, wozu menschenverachtende Äußerungen, fremdenfeindliche und antisemitische Hetze im Netz und fremdenfeindliche Parolen führen können. Ich habe es schon mehrfach gesagt: Worten folgen Taten! Deswegen werden wir weiter entschieden jede Form der Hasskriminalität verfolgen. Die im vergangenen Jahr im LKA Niedersachsen eingerichteten Zentralstelle zur Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet kommt neben den bereits bestehenden und gut funktionierenden Staatsschutzdienststellen dabei eine besondere Bedeutung zu."

Vier rechte Fälle von Terrorismus


Vier Fälle im Bereich der PMK „rechts" werden als terroristische Taten eingeordnet. Es handelt sich dabei zunächst um zwei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gem. § 89a StGB. Eines dieser Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, in dem anderen kam es zu zwei Verurteilungen wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und gegen das Waffengesetz. Außerdem wird aktuell ein ebenfalls noch nicht abgeschlossenes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. § 91 StGB geführt. In dem vierten Fall handelt es sich um ein ebenfalls noch laufendes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a StGB.

Im Bereich der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter gehen die niedersächsischen Sicherheitsbehörden von einem Potenzial von etwa 1.300 Personen aus. Ihnen werden für das Jahr 2019 insgesamt 77 Straftaten zugeschrieben, bei denen es sich überwiegend um Beleidigungen und Nötigungen handelte und von denen 34 rechtsmotiviert waren. Im Vorjahr wurden hier noch 106 Taten registriert.

Amtsträger werden häufiger zum Opfer


Die Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sind von 106 auf 180 im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen. Davon waren 57 rechts- und 44 linksmotiviert. Ein Fall konnte einer religiösen Ideologie zugeordnet werden. In 78 Fällen konnte keine Zuordnung erfolgen. Pistorius: „Wir haben aktuell das Problem, dass Mandats- und Amtsträger oder Ehrenamtliche immer häufiger zur Zielscheibe von verbalen Attacken und auch von Angriffen werden. Das ist gefährlich für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Demokratie. Denn wenn Menschen aus Angst vor Repressalien, Bedrohungen und Übergriffen gegen sich oder ihre Familien aufhören, Mandate anzunehmen, oder Ämter niederlegen, stirbt die Demokratie von unten. Wir haben deswegen in diesem Bereich für die Betroffenen mittlerweile einiges getan. So haben wir zum Beispiel in regionalen Informationsveranstaltungen die Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger informiert und sensibilisiert. Die Polizei und die Justiz können nur effektiv tätig werden, wenn sie von den Taten wissen. Der Anstieg der Fallzahlen dürfte darum zum Teil auch mit einem veränderten Anzeigeverhalten einhergehen, weil schlichtweg mehr Sachverhalte zur Anzeige gebracht werden."

Schwerpunkte linker Gewalt in Hannover und Göttingen


Unter den insgesamt 74 linksmotivierten Gewaltdelikten waren zwei Brandstiftungen (2018: neun). Eine Tat richtete sich gegen den Privat-PKW eines Mitglieds der AfD. Die andere Tat verursachte einen Brandschaden von mehreren hunderttausend Euro an dem Gebäude der Ausländerbehörde in Göttingen. Regionale Schwerpunkte der PMK „links" bilden nach wie vor Hannover und Göttingen.

Insgesamt stieg die Anzahl der linksmotivierten Straftaten von 556 im Vorjahr auf 801 an (44,06 Prozent). Nach dem niedrigsten Fallzahlenwert des vergangenen Jahres im Zehnjahresvergleich liegt die aktuelle Anzahl auch weiterhin unter dem Durchschnittswert der vergangenen zehn Jahre (827). Rund ein Fünftel der Taten stand in einem Zusammenhang mit der Europawahl. Dabei handelte es sich überwiegend um Diebstähle und Sachbeschädigungen, die sich vornehmlich gegen rechtsgerichtete Parteien richteten. Minister Pistorius: „Wer Gewalt anwendet, wer Autos und Gebäude ansteckt, der nimmt zwangsläufig billigend in Kauf, dass dabei auch Menschen zu Schaden kommen können. Diese Taten und die dahinter steckenden Motivationen und Ideologien sind verwerflich und ich verurteile das auf das Allerschärfste. Die Sicherheitsbehörden in Niedersachsen haben die entsprechenden Szenen genau im Blick."

Was bedeutet „nicht zuzuordnen"?


Die Anzahl der Straftaten im Bereich „nicht zuzuordnen" ist 2019 mit 476 Delikten um insgesamt 123 Taten angestiegen (2018: 353). Ein großer Anteil der Taten wurde im Zusammenhang mit der Europawahl begangen. Hierbei handelte es sich in der Mehrzahl um Sachbeschädigungen und Diebstähle zum Beispiel von Wahlplakaten von Parteien aus dem rechtspopulistischen Spektrum, auch Beleidigungen und Nötigungen gehörten dazu. Auch wenn zu den einzelnen Taten oft vermeintlich naheliegende Beweggründe bestehen, werden sie als „nicht zugeordnet" bezeichnet, wenn die Motivation nicht eindeutig zu erklären ist.

„Ausländische" und „religiöse Ideologie"


Eine Neuerung im Bereich der Erfassung und Einordnung politisch motivierter Kriminalität ist seit dem Jahr 2017 bundesweit eine differenzierte Betrachtung der Tatmotivation basierend auf einer religiösen Ideologie oder einer ausländischen Ideologie. Der Anstieg der Gewaltdelikte 2018 im Bereich der ausländischen Ideologie stand im Zusammenhang mit dem Vorgehen nationalistischer Türken und pro-kurdischer Aktivisten in Nordsyrien. Die aktuelle Anzahl der Gewaltdelikte ist auf elf zurückgegangen. Im Bereich der religiösen Ideologie hat die Bedrohung durch den islamistisch geprägten Extremismus/Terrorismus weiterhin eine herausragende Bedeutung, auch wenn die Anzahl registrierter Straften im Vergleich zu 2018 von 59 auf 34 rückläufig ist. Auch die Anzahl der terroristischen Straftaten ist weiterhin rückläufig. So sind neun terroristische Straftaten aus einer religiösen Ideologie (2018: 19) und drei terroristische Straftaten aus einer ausländischen Ideologie (2018: 5) zu verzeichnen. Minister Pistorius: „Der Rückgang der Fallzahlen im Bereich des islamistisch geprägten Terrorismus bedeutet nicht, dass wir hier Entwarnung geben können. Die Gefahr von Anschlägen auch in Deutschland besteht weiterhin."

Corona-Einschränkungen als thematisches Zugpferd für Straftaten gegen die Polizei?


Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie sagte Pistorius abschließend: „Die Ordnungs- und Sicherheitsbehörden nehmen ihre Kernaufgaben auch aktuell vollumfänglich wahr. Daran ändert Corona nichts - im Gegenteil. Die Polizei ist präsent, teils sogar intensiver als sonst. Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten werden genauso konsequent verfolgt und bearbeitet, wie zu Normalzeiten. Das sage ich insbesondere vor dem Hintergrund, dass Extremisten aktuell zu Straftaten gegen Polizeikräfte und andere Repräsentanten des Staates aufrufen und die Corona-Einschränkungen dabei als thematisches Zugpferd für sich nutzen wollen."


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