Schadensersatzklage im Organspendeskandal: Land muss zahlen


Das Land Niedersachsen muss über eine Million Euro an den Arzt zahlen. Symbolbild: Anke Donner
Das Land Niedersachsen muss über eine Million Euro an den Arzt zahlen. Symbolbild: Anke Donner

Braunschweig/Göttingen. In dem Schadensersatzverfahren eines ehemaligen Transplantationsmediziners der Universitätsmedizin Göttingen gegen das Land Niedersachsen hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig am gestrigen Freitag das Urteil verkündet. Das Land Niedersachsen wurde verurteilt, an dem Kläger 1.087.899,19 Euro zu zahlen und den Kläger von seiner Verpflichtung gegenüber seinem Bruder freizustellen, eine Zinszahlung in Höhe von 80.000 Euro an einen Darlehensgeber zu leisten. Die weitergehende, auf die Erstattung von Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der Formulierung und Einlegung einer (erfolglosen) Verfassungsbeschwerde gerichtete Klage wurde hingegen abgewiesen. Dies teilt das Landgericht Braunschweig mit.


Der Kläger war bis zum Jahr 2013 Leitender Oberarzt an der Klinik „Universitätsmedizin Göttingen“. Er sei in einer Abteilung beschäftigt gewesen, die unter anderem für die Transplantationschirurgie zuständig war. Nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts von Korruptionsdelikten im Jahr 2011 wurde der Kläger vom 11. Januar 2013 bis zum 16. Dezember 2013 in Untersuchungshaft genommen. Nach der Zahlung einer Kaution in Höhe von 500.000 Euro wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt und der Kläger gegen Auflagen freigelassen. So habe er seinen Reisepass abgeben müssen.

Mit Urteil des Landgerichts Göttingen vom 6. Mai 2015 wurde der Kläger freigesprochen und das Land Niedersachsen verpflichtet, den Kläger für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen. Das Landgericht Göttingen sei zwar davon ausgegangen, dass die Manipulation von medizinische Daten moralisch verwerflich, dieses zu dem damaligen Zeitpunkt jedoch nicht strafbar gewesen sei. Nachdem der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen am 28. Juni 2017 verworfen hatte, habe der Kläger für die erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung in Höhe von 8.500 Euro erhalten und die Kaution wurde zurückgezahlt. Mit der Klage auf Entschädigung in Höhe von insgesamt 1.207.311,99 Euro habe der Kläger den Ersatz eines Zinsschadens für die Bereitstellung der Kaution sowie Verdienstausfall und die Kosten für die Einlegung einer im Ergebnis erfolglosen auf seine Freilassung gerichteten Verfassungsbeschwerde verlangt.

Zur Urteilsbegründung


Zur Begründung habe der Vorsitzende Richter der 7. Zivilkammer, Dr. UIllrich Broihan ausgeführt, dass der Kläger Anspruch gegen das Land Niedersachsen auf Entschädigung in Höhe von 1.167.899,19 Euro habe. Die grundsätzliche Verpflichtung des Landes Niedersachsen zur Entschädigung des Klägers sei bereits durch das Urteil des Landgerichts Göttingen vom festgestellt worden, was für die Kammer bindend sei. Der Kläger habe Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Untersuchungshaft entstandenen Vermögensschadens. Vermögensschaden sei jede durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Beschuldigten, die sich in Geldwert ausdrücken lässt, eingeschlossen die Nachteile im Fortkommen und Erwerb, vor allem der Verdienstausfall und der entgangene Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falles hätte erwartet werden können.

Hierunter seien auch die Zinsen zu fassen, zu deren Zahlung der Bruder des Klägers sich gegenüber einem Darlehensgeber verpflichtet habe. Die Kammer habe es als erwiesen angesehen, dass der Bruder des Klägers bei einem Geschäftsmann ein Darlehen in Höhe von 500.000 Euro aufgenommen habe, um die Kautionssumme für den Kläger zu stellen. Darüber hinaus sei die Kammer nach Studium der Vertragsurkunden und der Vernehmung des Bruders des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 9. August 2019 davon überzeugt, dass der Bruder des Klägers für die Bereitstellung des Darlehens Zinsen in Höhe von 80.000 Euro an den Darlehensgeber zu entrichten habe, wobei die Verpflichtung zur Zahlung der Zinsen den Kläger habe treffen sollen. Hiervon sei der Kläger freizustellen.

Verdienstausfall sei erwiesen


Die Kammer sehe es darüber hinaus als erwiesen an, dass dem Kläger durch die Untersuchungshaft ein Verdienstausfall in Höhe von 1.079.656,18 Euro entstanden sei. Nach Anhörung eines leitenden Arztes einer jordanischen Klinik sei die Kammer davon überzeugt gewesen, dass der Kläger Anfang 2013 eine Tätigkeit in dieser Klinik hätte aufnehmen sollen, die mit einem monatlichen Gehalt von 50.000 US-Dollar vergütet worden wäre und dass der Kläger diese Tätigkeit lediglich wegen seiner Inhaftnahme nicht habe ausüben können. Die Kammer schenke dem Zeugen Glauben. Laut den überzeugenden Bekundungen des Zeugen sei Ende 2012 fest vereinbart worden, dass der Kläger Anfang 2013 in einer Klinik in Amman anfangen sollte zu arbeiten. Ob es sich bei der Vereinbarung aus dem Jahr 2012 um einen mündlichen Arbeitsvertrag oder einen mündlichen Vorvertrag gehandelt habe, sei unerheblich. Es komme lediglich darauf an, dass der Kläger mit Arbeitsaufnahme Anfang 2013 das zugesagte monatliche Festgehalt von 50.000 US-Dollar erhalten hätte, er die Arbeit aber wegen der Inhaftierung nicht habe aufnehmen können. Von diesem Umstand sei die Kammer überzeugt.

Da der Reisepass des Klägers nach Außervollzugsetzung des Haftbefehls in amtliche Verwahrung genommen worden sei, sei es dem Kläger auch nach seiner Freilassung nicht möglich gewesen, die berufliche Tätigkeit in Jordanien aufzunehmen, weshalb ihm auch für diesen Zeitraum bis zu seinem Freispruch durch das Landgericht Göttingen ein erstattungspflichtiger Verdienstausfall entstanden sei. Die Aufnahme einer Tätigkeit als Arzt in Deutschland sei in diesem Zeitraum aufgrund der damals gegen den Kläger erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe unrealistisch gewesen. Der Kläger habe dagegen keinen Anspruch gegen das beklagte Land auf Erstattung der Kosten für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde in Höhe von 35.700 Euro, da es sich bei diesen Aufwendungen nicht um erstattungsfähige Kosten handele. Sie seien zum Erreichen der Freilassung des Klägers weder zweckdienlich gewesen noch erschienen sie als geboten. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, beide Parteien können hiergegen innerhalb eines Monats ab Urteilsverkündung Berufung einlegen.

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