Goslar. Der Deutsche Verkehrsgerichtstag (VGT) und Goslar sind nun schon seit 63 Jahren untrennbar verbunden. So bekannt, wie der VGT in Expertenkreisen auch ist, – was stellen sich aber junge Leute darunter vor? „Eine erste Veranstaltung der jährlich stattfindenden Verkehrsgerichtstage richtet sich deshalb an die junge Generation“, so sein Präsident Prof. Dr. Ansgar Staudinger. Seine Idee: Die Goslarer Jugend über das alljährliche Event zu informieren und ihnen die Inhalte näherzubringen.
Im Christian-von-Dohm-Gymnasium (CvD) begrüßte neben Schulleiter Martin Ehrenberg dazu zunächst Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner die knapp 80 Oberstufenschülerinnen und -schüler in der Sporthalle. Schwerdtner, die sich auf „interessante 90 Minuten“ freute, übergab gleich an Prof. Dr. Ansgar Staudinger, der über seinen Werdegang und die Themen des Verkehrsgerichtstages anhand anschaulich untermalter Beispiele referierte. Auch die Schülerinnen und Schüler konnten Fragen stellen, die aktiv diskutiert wurden.
VGT-Präsident über die Themen der Tagung
Mit vielen Anekdoten gespickt, referierte Staudinger über die Themen des Verkehrsgerichtstages und das Drumherum. „Mehr als 1.900 Tagungsteilnehmende besuchen gerade Ihre schöne Heimatstadt und erarbeiten in acht Arbeitskreisen Empfehlungen für Berlin – als „Denkanstöße“ für die Gesetzgebung. In acht Arbeitskreisen werden Themen aus den unterschiedlichsten Gebieten des Verkehrsrechts diskutiert: Von „Cannabis-Missbrauch im Straßenverkehr“ und „MPU-Vorbereitung unter der Lupe“ über „Hinterbliebenengeld und Schockschaden“ geht es auch um „Kfz-Schadensgutachten: Gut ist nicht genug“ oder um „Aktuelle Probleme bei Fahrgastrechten im Schienenersatzverkehr“. Die erarbeiteten Empfehlungen richten sich an den Gesetzgeber sowie an die verkehrsrechtliche Praxis und haben in der Vergangenheit stets große Bedeutung im Gesetzgebungsverfahren erlangt.
VGT befasste sich Germanwings-Absturz
Es kommt aber auch vor, dass sich die Expertenrunden des VGT über die Jahre hinweg wiederholt mit einem Fall beschäftigen. So war beispielsweise der Absturz des Germanwings-Flugzeuges über den französischen Alpen, mit dem ein in den USA ausgebildeter deutscher Co-Pilot seinerzeit Selbstmord beging, bereits zum 50. VGT ein Thema. Staudinger berichtete nun, dass der Fall immer noch nicht abgeschlossen sei. Seinerzeit waren 150 Menschen auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf ums Leben gekommen und noch immer ist rechtlich nicht geklärt, welches Landesrecht für einen Schadensersatz für die Angehörigen der Opfer anzuwenden ist. Warum ist das so schwierig? „Im Gegensatz zu anderen Ländern gab es zuvor in Deutschland ohne den ärztlichen Nachweis eines Schockerlebnisses kaum Schadensansprüche für Hinterbliebene“, so der VGT-Präsident. Erst seit 2017 ist es mit einer Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) einfacher geworden. Dennoch gibt es im Schnitt nur 10.000 Euro. „In anderen Ländern gibt es zum Teil deutlich mehr, Rechtssysteme haben eben unterschiedliche Strukturen“, erklärte Staudinger weiter und nannte exemplarisch Italien, wo die Familie demnach einen viel höheren Stellenwert als hierzulande habe.
Im Arbeitskreis „Hinterbliebenengeld und Schockschaden“ wird sich der Expertenkreis deshalb mit der Fragestellung beschäftigen, ob die Empfehlung zu geben sei, das Schadensgeld zu erhöhen. „Am Freitag Mittag wissen wir mehr“, so Ansgar Staudinger, der darüber hinaus anschaulich vermittelte, dass auch Tiere in Zeiten „wo nicht mehr jeder Topf einen Deckel findet“, den Familienbegriff neu interpretieren. „Allerdings würden ja auch einige ihr Auto fast mehr lieben als ihre Familie“, führte Staudinger fort und schilderte einen kuriosen Versicherungsfall mit dem Fazit, dass eine Sache dann doch nicht mit einem Lebewesen als Familienmitglied vergleichbar sei: Ein Auto mit einem Restwert von 390 Euro gilt bei Reparaturkosten von über 130 % als wirtschaftlicher Totalschaden. Ein Pferd mit demselben Wert wurde jedoch für 14.000 Euro operiert – ein Fall, der tatsächlich so passiert ist. Dies verdeutliche, wie unterschiedlich Wertmaßstäbe in verschiedenen Rechtsbereichen sein können.
Zum Abschluss der Diskussionsrunde verwies der Präsident noch auf ein anderes Format des Verkehrsgerichtstages mit einem vor allem für jüngere Menschen interessantem Thema: In einem „Nachschlag!“-Streitgespräch am Freitag wird über E-Scooter diskutiert – und ob sie eine gefährliche Plage oder ein smarter Beitrag zur Mobilitätswende sind.