"Spaziergänge" werden härter: "Verhalten wird nicht folgenlos bleiben"

Verstöße gegen Versammlungsauflagen sollen auch per Video im Nachhinein geahndet werden können. Eltern, die ihre Kinder zur Verhinderung polizeilicher Maßnahmen in die erste Reihe schieben, riskieren Meldungen ans Jugendamt.

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(Symbolbild) | Foto: Werner Heise

Region. Nicht nur seitens verschiedener Gruppierungen und Parteien wie "Die PARTEI" oder dem "Bündnis gegen Rechts Braunschweig" mehrt sich die Kritik an dem Auftreten der Polizei gegenüber den häufig nicht angemeldeten Montagsspaziergängen. Das Innenministerium hat hierzu schon bei einer Pressekonferenz erklärt, die Taktik künftig zu ändern. Auf konkrete Nachfragen von regionalHeute.de berichtet das Innenministerium, Verstöße mittels Videoaufzeichnungen auch im Nachhinein ahnden zu wollen. Eltern, die ihre Kinder zur Verhinderung polizeilicher Maßnahmen in die erste Reihe des Demozugs schieben, riskieren sogar eine Meldung beim Jugendamt, so ein Ministeriumssprecher.


Bei der letzten Veranstaltung am 27. Dezember wurde der Zug der Demonstrierenden von bekannten Vertretern der rechtsextremen Parteien "Die Rechte" und der NPD, sowie von zahlreichen, teils alkoholisierten Anhängern der Hooligan-Szene angeführt und gelenkt. Das berichtet nicht nur das Bündnis gegen Rechts, sondern auch unabhängige Journalisten und Augenzeugen in den sozialen Medien übereinstimmend. Aus dieser Gruppe wurde später, so die Polizei, ein Journalist körperlich angegriffen, infolgedessen wurde ein Polizeibeamter verletzt.



Dass "Montagsspaziergänge" auch immer wieder Rechtsextreme anziehen, habe auch das Innenministerium auf dem Schirm, wie dessen Sprecher Pascal Kübler berichtet: "Die Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umzüge ist meist heterogen; immer wieder ist jedoch auch festzustellen, dass die Proteste durch insbesondere rechte und rechtsextremistische politische Gruppierungen oder sogenannte Reichsbürger vereinnahmt werden sollen." Alexander Wertmüller, Gewerkschafter und tätig im Bündnis gegen Rechts richtet deutliche Worte an jene, die diesem Block gefolgt sind: "Distanzieren Sie sich endlich von den Nazischlägern und gewalttätigen Hooligans und lassen Sie sich von diesen nicht auch noch durch die Stadt leiten!"

Versammlungen unterliegen der Anzeigepflicht


Innenminister Boris Pistorius (SPD) weist zudem darauf hin, dass man den "vermeintlich unpolitischen Begriff des Spaziergangs" nicht benutzen werde. "Versammlungsrechtlich gibt es keine 'Spaziergänge'. Jeder und jedem, die oder der insbesondere nach Ankündigungen in den einschlägigen Telegram-Gruppen mitläuft, sollte klar sein, dass es sich um Versammlungen handelt." Zu einer Versammlung gehöre auch, die Vorgaben der Behörden und der Polizei einzuhalten. Kübler ergänzt: "Versammlungen unterliegen grundsätzlich einer Anzeigepflicht, damit die Versammlungsbehörde mögliche Gefahren prüfen und ihnen in einem Kooperationsgespräch oder durch beschränkende Verfügungen rechtzeitig entgegenwirken kann. Bei nicht angezeigten Versammlungen muss die Polizei vor Ort entsprechende Regelungen treffen, was insbesondere dann problematisch sein kann, wenn sich verantwortliche Personen nicht zu erkennen geben."



Die Versammlungsfreiheit im Grundgesetz unterliegt übrigens den Einschränkungen des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes, das von der Anmeldepflicht eine Ausnahme vorsieht - Fällt die Bekanntgabe der Versammlung mit deren Beginn zusammen, so entfällt die Anzeigepflicht. Da die Versammlungen aber im Voraus in den sozialen Medien angekündigt, geplant und beworben werden, greift diese Regelung hier nicht. Eine Anmeldung erfolgte bisher in den seltensten Fällen. Laut Polizeidirektion Braunschweig waren gerade einmal 12 von 44 Versammlungen seit dem 29. November angemeldet.


Wieso Demos überhaupt noch anmelden?


Dennoch wurden die Veranstaltungen meist ohne große Eingriffe von den Polizeikräften begleitet und geschützt. Wir fragen das Innenministerium: "Wieso sollen Menschen überhaupt noch Demonstrationen ordnungsgemäß anmelden, wenn auch die Nichtanmeldung folgenlos bleibt?" Kübler dementiert diese Sicht auf das Geschehen: "Dieses Verhalten blieb und bleibt nicht folgenlos. Bereits in der Vergangenheit wurden entsprechende Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz, die geltenden Corona-Verordnungen und die Allgemeinverfügungen der Kommunen konsequent geahndet, also Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren eingeleitet – dies wird durch die zuständigen Behörden auch zukünftig erfolgen." Unterstützend hierzu dienen sollen die Allgemeinverfügungen der Kommunen, die eine Maskenpflicht für jegliche Art von Versammlung festlegen.



Das polizeiliche Einschreiten, so Kübler weiter, richte sich immer nach der einzelfallbezogenen Lagebewertung. Dazu gehöre auch, die Kommunikationskanäle bestimmter radikaler Gruppierungen zu beobachten. Neben der Durchführung von Eingriffsmaßnahmen vor Ort zählen dazu unter anderem auch weitere Ermittlungsmaßnahmen - zum Beispiel die Auswertung von Videomaterial - zur Feststellung und Ahndung von Verstößen.

Auflösung bleibt letztes Mittel


Die Auflösung einer Veranstaltung - selbst wenn sie nicht angemeldet ist - unterliegt den engen Richtlinien des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes. Ein Verbot oder eine Auflösung der Versammlung könne daher, so erklärt Kübler, auch weiterhin nur das letzte Mittel im Sinne der Gefahrenabwehr sein, sofern andere, mildere Mittel - wie zum Beispiel Beschränkungen - nicht mehr in Betracht kommen.

Kinder als Schutzschild - Polizei meldet beim Jugendamt




In Niedersachsen kenne man die Taktik schon, in unserer Region ist sie am 27. Dezember bei einer Versammlung in Wolfsburg das erste Mal aufgefallen - Eltern schieben Kinder und Kinderwägen in die vorderste Reihe des Demonstrationszuges, um erwartete polizeiliche Maßnahmen zu verhindern. Bei diesem Vorgehen wurde vor knapp einer Woche im bayrischen Schweinfurt ein Kind durch Pfefferspray verletzt, wie die dortigen Behörden berichten. Beim Versuch, eine Polizeikette zu durchbrechen, kam der Junge mit Pfefferspray in Kontakt und musste medizinisch versorgt werden. Laut der Polizei Unterfranken erfolgte eine Meldung beim Jugendamt. Das will die Polizei auch hier so handhaben, sollte es noch einmal dazu kommen: "Wenn Kinder tatsächlich auf diese Art instrumentalisiert werden, ist das besonders verwerflich und kann die Kinder in unmittelbare Gefahr bringen", hebt Kübler hervor. Das Wohl der Kinder stünde im Vordergrund, unabhängig vom Fehlverhalten der Eltern. "Die Frage, ob eine Kindeswohlgefährdung gegeben ist, ist dagegen durch das jeweils zuständige Jugendamt zu prüfen. Derartige Vorfälle werden daher den Jugendämtern gemeldet", so Kübler abschließend.

Offen bleibt die Frage, wie die Polizei künftig zielgerichtet den Personalbedarf bei Versammlungen aus dem Spektrum der "Montagsspaziergänge" decken will. Nach den Ankündigungen aus dem Innenministerium - sowohl via Pressekonferenz als auch auf Anfrage von regionalHeute.de - dürfte sich jedoch für die morgigen Veranstaltungen einiges ändern, auch vor dem Hintergrund der nun vielerorts geltenden Allgemeinverfügungen.


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